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No 277

“Die Konsequenzen, die das hat, wenn das noch zehn Jahre so weitergeht, hat man Anfang letzten Jahres [2011, Anm. d. Verf.] in Großbritannien beobachten können. Damals habe ich viele Interviews gegeben zu den sog. >>Riots<<. Sie haben das im Fernsehen gesehen, die Viertel in Liverpool oder London, die sozialen Brennpunkte, wo die Läden geplündert worden sind, wo Häuser brannten und Ähnliches. Damals bin ich gefragt worden: >>Haben wir in Deutschland auch so etwas zu erwarten?<< Da habe ich gesagt: >>Im Augenblick nicht, was wir im Augenblick nämlich nicht haben, ist eine Ghettobildung wie in Großbritannien und eine lang andauernde Perspektivlosigkeit<<. In Großbritannien ist dieser Prozess unter Thatcher Mitte der 80er Jahre begonnen worden, in Deutschland läuft er seit gut zehn Jahren, aber wenn der zehn Jahre so weiterläuft, kann man in zehn Jahren dasselbe hier beobachten. Es gibt eine zunehmende Auseinanderentwicklung der Wohnsituation, es gibt inzwischen Wohnquartiere, die immer größer werden, die man per se als arm bis sehr arm bezeichnen kann, und es gibt halt die Wohnquartiere der Reichen und Wohlhabenden, und die haben immer weniger miteinander zu tun. Die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen wird sich vertiefen von Jahr zu Jahr, weil die Chancen immer geringer werden […] Und irgendwann wird Perspektivlosigkeit wie in Großbritannien, oder wie ein paar Jahre früher in den Banlieues rings um Paris, in Gewalt umschlagen.”

(Michael Hartmann, Soziologe und Elitenforscher – Arm und Reich in Deutschland, Vortrag bei der Tele-Akademie, Oktober 2012)

Jascha Jaworski

3 Kommentare

  1. Ich hoffe, dass die Politiker schlau genug sind, um die Verhältnisse, die wir im Augenblick in Kiel schon haben, umzukehren. In den Stadtteilen Mettenhof und Gaarden haben wir bereits die Verhältnisse, die Hartmann beschrieben hat. Die Armut und die Perspektivlosigkeit sind dort am höchsten. Wir hören immer und immer wieder, dass Deutschland so reich ist. Warum kommt der Reichtum nicht bei den Armen an? Die Politiker wollen die Armut in den Entwicklungsländern abschaffen, ein gutes Vorhaben. Aber ist es nicht auch notwendig, um Aufstände hier im Land zu verhindern, die Menschen hier von der Armut zu befreien?
    Auf diese Fragen hätte ich gerne Antworten!

    Paul Weidmann

    • Keine Sorge, auch der Kampf gegen Armut in den “Entwicklungsländern”, ist, wie die erpresserische EU-Handelspolitik, die geringen Entwicklungsausgaben, der Nicht-Schuldenerlass gegenüber den ärmsten Ländern, sowie die Unterlassung von Maßnahmen gegen Land Grabbing im Zusammenhang mit europäischen Investoren etc. zeigen, bloßes Illusionstheater. Gruß, Jascha

  2. Ja, wie ungerecht,
    dass zum Beispiel in St. Denis bei Paris, in Kiel-Mettenhof, in München-Milbertshofen und -Hasenbergl wie auch in Berlin- Neukölln und –Wedding Zigaretten an unter Fünfzehnjährige nicht wie in Ländern sämtlicher Kontinente der Welt täglich verschenkt werden! (Die Weltkarte die dies zeigte, in einem SZ Beilagenartikel abgedruckt, ist nirgends mehr zu finden, bei meiner Büchse!)
    Wen juckt denn heute noch Ungerechtigkeit? Ist doch „strukturell“ verursacht, so unseren Hirnen eingebrannt oder als gottgegeben vorauszusetzen, von den „Vernünftigen“ jedenfalls.
    Eigentlich sollte doch Struktur als Begriff hellhörig dafür machen, dass etwas gebaut (Stein auf Stein, das Häuschen…) ist also Baupläne von wenigen daran interessierten Menschen einmal gemacht worden sind. Folglich könnte bei Bedarf auch alles abgebaut werden, erweitert oder ganz umgebaut. Ich assoziiere inzwischen allerdings auch längst das Wort „Struktur“ mit „ Beschaffenheit, die als unabänderlich oder gottgegeben angesehen werden soll“. Beschaffenheit jeweils eines institutionellen Aspekts des durch den Neoliberalismus gewordenen gesellschaftlichen Gesamtkosmos. Persönlich könnte ich auf den Gebrauch des Wortes Struktur lediglich nicht im textilen Bereich verzichten, dachte ich zunächst. Wie sonst, soll ich den Oberflächeneindruck des aus Fäden gewählter Materialien in bestimmter Spinnqualität durch das Spiel von Schuss und Faden entstehende Gewebe nennen?
    Jedoch „Struktur“ wurde schon allzu lange tiefgezogen, so wie Blisterpackungen um (billige!) Pralinen ganz einzeln und doch in Gruppen verpacken und veräußern zu können. Für flache Hierarchien und rhythmische Beiträge von Kette und Schuss interessiert sich ja der Liebhaber des Wortes strukturell selten. Auch nicht für Vollbeschäftigung noch für die Anzahl der Liter Trinkwasser, die bei Konsum einer Kalorie „normaler“ menschlicher Nahrung derzeit vergiftet werden. Hinterfragen tabuisiert!
    Ich bevorzuge nun weitgehend das Wort „bauen“ wenn es sich um sowas handelt und schaue mir das muntere Auf und Ab der Fäden gerne genau an.
    Wallonisches Gewebe würde ich sofort ein paar laufende Meter vom Webstuhl weg kaufen. Für Vorschußfinanzierung aller roter Fäden!
    „Organisierung im Kiez als transformatorisches Projekt“, Miriam Pieschke in:
    http://www.zeitschrift-luxemburg.de/vom-kurzen-flirt-zur-langfristigen-beziehung/

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