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Die Kluft zwischen Arm und Reich wird nur noch mit Worten überbrückt

Da wurde nach langer Zeit endlich eine Seitenstraße zur sozialen Realität gefunden, die freilich nur an gewisse Aspekte dieser heranführte, doch war dies bereits zu viel für unsere neoliberale Endzeitregierung und es wurde sogleich wieder umgelenkt auf die siebenspurige Autobahn der Realitätskonstruktion. Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung fand in seiner Ursprungsversion noch einige kritische Worte zum Lohnverfall und der immer schlagseitigeren Vermögensverteilung hierzulande. Die nun überarbeitete Version wurde von derartigen Passagen, die ohnehin nicht mehr waren, als eine Andeutung der nüchtern beobachtbaren Entwicklung in diesem Land, politisch “bereinigt”. Das propagandistische Designergebnis bietet Heike Hänsel in einer Gegenüberstellung an.

Welche Wortwahl die angemessenere wäre,möge man sich überlegen, wenn man allein unsere wenigen Grafiken zur Ungleichheitsentwicklung des letzten Jahrzehnts betrachtet. Weiterhin wird versucht, den gesellschaftlichen Canyon zwischen Arm und Reich, zwischen Mangel und Überfluss, zwischen moderner Ausbeutung und neu definierter Leistungselite, zwischen Tagelöhnerei und Vermögenszuwachsgarantie durch Wortschönfärberei (Sichtwort: “strukturelle Verbesserungen am Arbeitsmarkt”) mit einer als gerecht umgedeuteten Ungerechtigkeit zu überbrücken. Die neoliberalen Erhaltungsmärchen werden wirklich abenteuerlich.

Wohin die bisherige Reise geführt hat, zeigt Arte in einem hochwertigen Beitrag auf, der die Armut innerhalb Europas und auch innerhalb des Eurogewinnerlandes Deutschland, der hoch gelobten Exportwirtschaft, beleuchtet. Mehrere Millionen Kinder in Armut auch hierzulande, eine ganze Generation von jungen Menschen ohne Perspektive in Südeuropa: “Gemachte Armut”.

Weshalb es sich um gemachte Armut handelt, schildert in dem Beitrag etwa Prof. Butterwegge, der kritisch anmerkt, dass es darum gehe, dass Ängste dafür sorgen, dass die Menschen so funktionierten, wie es dem System adäquat ist. Eine Alternativformulierung (aus Überzeugung) hat erst kürzlich ein einschlägiger Systemvertreter selbst aus dem Nähkästchen geplaudert, indem Hans Werner Sinn im Interview mit der Berliner Zeitung zu den Krisenprogrammen der EU bemerkte: “Die Sparprogramme führen zu Wirtschaftsflaute und Arbeitslosigkeit. Damit sinken die Löhne und das Preisniveau, und die Wettbewerbsfähigkeit wird wieder hergestellt. Das geht im Euro nur durch ein Tal der Tränen.” Dass dem “Tal der Tränen” ein Gipfel des allgemeinen Wohlbefindens folgt, dürfen wir nach mehreren Jahrzehnten des Neoliberalismus bezweifeln, vielmehr bleiben die einen stets im immer tieferen Elendstal, während die relativ wenigen anderen auf dem Gipfel der falschen Glückseligkeit auf Kosten der anderen durch die Wolken stoßen. Wann erkennt die real oder perspektivisch prekarisierte Mehrheit nur, dass sie eine Mehrheit ist oder ihre Demokratie eben keine Demokratie?

Jascha Jaworski

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