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Aus der Welt gefallen – Finanzministerium reagiert auf US-Kritik wegen Exportüberschüssen

Nachdem schon seit einigen Jahren in der G20 Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell, das auf dauerhaften Exportüberschüssen und damit auf der Verschuldung von anderen Staaten (insbesondere der Euroländer) beruht, geübt wurde, wird diese Kritik nun noch offizieller. In einem Halbjahresbericht [1] findet das US-Finanzministerium deutliche Worte gegenüber der paradoxerweise in Europa auch noch als Sparzuchtmeister auftretenden Bundesregierung.

Germany has maintained a large current account surplus throughout the euro area financial crisis, and in 2012, Germany’s nominal current account surplus was larger than that of China. Germany’s anemic pace of domestic demand growth and dependence on exports have hampered rebalancing at a time when many other euro-area countries have been under severe pressure to curb demand and compress imports in order to promote adjustment. The net result has been a deflationary bias for the euro area, as well as for the world economy. Stronger domestic demand growth in surplus European economies, particularly in Germany, would help to facilitate a durable rebalancing of imbalances in the euro area.

Sinngemäß übersetzt:

Deutschlands anhaltende Exportüberschüsse sind höher als die von China, weil die Binnennachfrage in Deutschland weiter stagniert. Während Deutschland also nichts zu einer Reduzierung der Ungleichgewichte beiträgt, sind viele andere Euroländer zur Drosselung ihrer Binnennachfrage (Lohnkürzung, Anm. d. Verf.) gezwungen, was in der Eurozone und der Welt deflationäre Tendenzen freisetzt.  Eine höhere Binnennachfrage in Deutschland würde bei der Beseitigung der Probleme der Eurozone helfen.

Eine logische Analyse, die wir und viele andere teilen [2]. Heiner Flassbeck [3] warf der deutschen Politik und Medienlandschaft zurecht eine merkantilistische Denkweise vor.

Das Bundesfinanzministerium kann dagegen “die Analyse nicht nachvollziehen”. Es gäbe zwar einen Exportüberschuss, aber dieser wäre weder für die Eurozone noch für die Welt ein Grund zur Sorge. Ein korrekturbedürftiges Ungleichgewicht gäbe es in Deutschland nicht, weil die Binnenkonjunktur angezogen hätte. Deutschland sei außerdem ein globaler Wachstumsmotor.

Die Beratungsresistenz der Bundesregierung ist unübertroffen. Es bleibt ihr Geheimnis, wie andere Länder ihre Schulden abbezahlen sollen, wenn die deutschen Überschüsse nicht abgebaut werden. Und dass man mit Lohnzurückhaltung und Sparprogrammen für alle “globaler Wachstumsmotor” wird, gehört zu einer der größten neoklassischen Legenden.

Tatsächlich ist – konsistent mit der US-Analyse – die Eurozone laut Eurostat im Oktober mit einer Preissteigerung von 0,7% massiv unter der Zielinflation von 1,9% geblieben.

Zusatz Jascha:

Für diejenigen, denen der Hintergrund nicht ganz vertraut ist, seien noch ein paar Darstellungen angeführt. Deutschlands dominante Rolle innerhalb der Eurozone lässt sich nicht einzig darauf zurückführen, dass es das ökonomisch stärkste Land innerhalb der Eurozone ist und somit die größten Beiträge etwa für den ESM zahlt. Dies ist die einzige Begründung, die in den meisten Mainstreammedien zu hören ist. Ein ganz wesentlicher Aspekt der deutschen Dominanz besteht hingegen darin, dass Deutschland viele andere Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone durch seine aggressiven Exportüberschüsse in die Auslandsverschuldung getrieben hat, deren Gläubiger ist und dadurch Kürzungsprogramme forcieren kann, die diese Länder in den Ruin treiben und die Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen zerstören. Da die Exportüberschüsse hierbei durch die massive Lohn”zurückhaltung” in Deutschland erzeugt wurden, haben dadurch nicht nur die meisten Menschen in den von den Kürzungsprogrammen besonders betroffenen Ländern zu leiden, sondern auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung hierzulande wurde um seinen Lohn betrogen, den er hätte erhalten müssen, wären die Löhne insgesamt gemäß Zielinflationsrate (1,9%) plus Produktivitätszuwachs (ca. 1,3%) gestiegen. Die folgende Grafik von Hannes verdeutlicht, welch enorme Lohnsumme den Arbeitnehmer_innen zwischen 1999 und 2012 kumuliert vorenthalten wurde:

prod-d [4]

Zwischen dem Stundenlohn, der gemäß Steigerung der Arbeitsproduktivität hätte gesamtwirtschaftlich gezahlt werden müssen, und jenem, der dann tatsächlich gezahlt wurde, klafft im betrachteten Zeitraum eine Lücke von 1350 Mrd. Euro. Zu bedenken ist, dass diese Gelder nun etwa in Kranken-, Renten- und Pflegekassen fehlen. Der demographische Wandel wäre unter Berücksichtigung der Produktivitätsentwicklung und Beteiligung der Löhne an dieser überhaupt keine Schwierigkeit. Altersarmut und unterfinanzierte Pflege sind innerhalb dieser Betrachtung ebenso Dinge, die sich schnell als Scheinprobleme (oder eben rein politisch, und durch Lobbygruppen forcierte Entwicklungen) darstellen.

Wie sehr das deutsche Wirtschaftsmodell darauf beruht, dass die Nachfrage aus anderen Ländern geklaut wird (und somit auch dort Beschäftigungsmöglichkeiten genommen werden), macht folgende Grafik deutlich:

WachstumdurchExportüberschuss [5]

Der Außenbeitrag, also jener Anteil am BIP-Wachstum, der auf Exportüberschüsse zurückgeht, machte rund die Hälfte des deutschen Wirtschaftswachstums seit 1999 aus. Wäre die Nachfrage im Ausland also nicht von Deutschland abgesaugt worden, hätte die Lohn”zurückhaltung” hierzulande geradewegs Wirtschaftsflaute bedeutet (orange Linie). Da Löhne nämlich der zentrale Verteilungs- und Nachfragemechanismus in modernen Volkswirtschaften sind, können wirtschaftliche und politische Eliten sie den Arbeitnehmer_innen nur dann vorenthalten, wenn man einen Ersatznachfrager im Ausland hat, der sich dabei verschuldet, da er Waren nicht mit Waren, sondern mit Schulden bezahlt. Gerade diesen selbst erzeugten Umstand nutzt die neoliberale Einheitspartei samt der Wirtschaftseliten und gedeckt von den Medien, um nun gegen die Schuldner vorzugehen und sie in den ökonomischen Ruin und das gesellschaftliche Elend zu treiben.