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“Gefahrengebiet EU” für DIE LINKE als Grüne 2.0?

Wer zu den regelmäßigen Maskenfall-Leser_innen zählt, weiß, dass wir der Partei DIE LINKE häufiger Raum zugestehen, um sie als parlamentarische Alternative gegen das mainstreammediale Bollwerk und die von ihm protegierte neoliberale Einheitspartei – gemeint sind die Hartz-IV- und NATO-Parteien, die sich seit Angedenken die Regierung aufteilen, um ja nichts am anti-sozialen Wesentlichen hierzulande zu verändern – wahrnehmbarer zu machen.

An diesem Wochenende wird DIE LINKE auf ihrem Europaparteitag in Hamburg über ihr Wahlprogramm zur Europawahl abstimmen. Neben dem Wahlprogramm, das der Parteivorstand als Entwurf vorschlägt (S. 6), haben die Abgeordneten Dieter Dehm und Wolfgang Gehrcke einen Alternativentwurf (ebenda, S. 39) eingereicht, der sich u.a. auf deutlich weniger Seiten beschränkt und mit einer konkreteren Sprache arbeitet (ein Vergleich findet sich hier). Bei den Abstimmungen wird es auch um zahlreiche Formulierungen gehen, die geändert oder ergänzt werden sollen. tagesschau.de berichtet, wie etwa eine Auseinandersetzung im Parteivorstand über die Formulierung im eigenen Entwurf aufkam, dass die EU zu einer “neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht” geworden sei. Nach Angaben von tagesschau.de wurde diese Formulierung bereits gestrichen.

War diese Formulierung inhaltlich falsch? Wer die EU-Verträge betrachtet und das Agieren vieler EU-Institutionen, wer zur Kenntnis nimmt, wie das grundlegende Steuerungsprinzip innerhalb der EU der Wettbewerb auf allen Ebenen ist, der in den EU-Verträgen rund um Maastricht und Lissabon kodifiziert wurde, wohingegen das deutsche Grundgesetz sich noch  als wirtschaftspolitisch neutral verstand, wer das gnadenlose EU-Grenzregime mit seiner rasch fortschreitenden Militarisierung zur Kenntnis nimmt, wer den marktfixierten Macht- und Expansionswillen der EU registriert, wie er etwa in der “Global Europe” Strategie zum Ausdruck kommt und die ärmsten Länder der Welt unterdrückt, wer den Willen der EU-EntscheiderInnen und der durch sie beschlossenen Regelwerke zur Kenntnis nimmt, weltweit Kriege zu führen und hierfür aufzurüsten1, wer die Kürzungspolitik mitverfolgt, unter der u.a. Südeuropa seit mehreren Jahren immer weiter in die Hoffnungslosigkeit gestürzt wird, wer zur Kenntnis nimmt, wie die europäischen Eliten sich für diese Politik auch noch auf die Schulter klopfen und dabei die Demokratie offenbar als Störfaktor betrachten, kann eigentlich keinen Zweifel haben, dass die momentan führenden Kräfte innerhalb der EU, sowie die von Eliten ohne öffentliche Diskussion und Beteiligung der europäischen Zivilgesellschaften in Verträge gegossenen Vorstellungswelten eben “neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch” sind.

Wenn die Formulierung also inhaltlich trifft, kann es nur noch eine Sache des Strategischen sein, auf klare Worte zu verzichten. Doch wohin wird dieser Weg einer Entschärfung der Analysebegriffe DIE LINKE führen? DIE LINKE, die trotz medialer Blockade und Meinungsmache gegen sie, trotz massiver Ausgrenzung durch die anderen Parteien nicht zu beseitigen war, sieht sich dann mit der Gefahr konfrontiert, auch über die inhaltliche Ebene schleichend entsorgt zu werden, wenn Formulierungen und Positionen fortan zuvörderst im Hinblick darauf aufgesetzt werden, dass sie “anschlussfähig” an die mit Regierungsbeteiligung winkenden Kräfte aus SPD und Grünen sind.

Innerhalb derart ungleicher Machtverhältnisse, wie sie im momentan Bestehenden gegeben sind und sich besonders auch auf ideologischer Ebene äußern, wo die massiven Kräfte von Medien und Parteienspektrum darum bemüht sind, den Status quo weiterhin als “einzige aller möglichen Welten” zu verkaufen, braucht es doch eigentlich dringender denn je eine klare Sprache. Sprache gibt schließlich vor, in welchen Bedeutungen Menschen ihre Umwelt unterteilen, in welcher Realität sie also leben. Wer in einem Zustand, der bekämpft werden muss, weil er menschenfeindlich ist, übergeht zu Begriffen, die das Kämpferische fallen lassen, zugunsten wohlklingender, abstrakter Formulierungen, läuft Gefahr, im Rausch des falschen Mainstreams einfach unterzugehen. Und auch die eigenen Anhänger_innen werden auf lange Sicht eines Maßstabs beraubt, so dass sie das Handeln ihrer Organisation durch mangelnde Klarheit in den Formulierungen und somit auch im Denken nicht mehr kritisch beurteilen und kontrollieren können. Dann droht die reine Herrschaft einer Logik der Pragmatik, die die eigene Politik schließlich dahin bringen könnte, wie jene der anderen allein an Wahlprozenten und der “Einigkeit innerhalb der Partei” gemessen zu werden. Das wäre nichts anderes als die Verschmelzung mit dem Bestehenden, um sich einzulassen auf den gemeinsamen Tanz um das “nationale Stammesfeuer” (Moshe Zuckermann) oder in diesem Falle eben seine EU-europäische Variante. Neu wäre dies freilich nicht, wird DIE LINKE also zu einer Art Grüne 2.0?

Wer sich noch einmal vor Augen führen möchte, welche inhumanen Entwicklungen es innerhalb der EU zu bekämpfen gilt, sei auf die heutige Sonderausgabe der jungen Welt verwiesen, die sicherlich auch an einem Kiosk ganz in der Nähe erhältlich ist:

  1. Siehe etwa Art. 42 im Vertrag über die Europäische Union: “[…] Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (im Folgenden “Europäische Verteidigungsagentur”) ermittelt den operativen Bedarf und fördert Maßnahmen zur Bedarfsdeckung, trägt zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors bei und führt diese Maßnahmen gegebenenfalls durch, beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung und unterstützt den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten. […]” []

Jascha Jaworski

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