- Maskenfall - https://www.maskenfall.de - Logo

Lohnentwicklung ab 1970 – Teil 1: Seit Hartz IV bricht die Ausbeutungsrate Rekorde

Wir haben uns bereits in vielen Artikeln mit der Lohnentwicklung in Deutschland seit 1999 und ihrer Bedeutung für die europäische Krise auseinandergesetzt, nun soll es auch um die 70er, 80er und 90er Jahre gehen. Der Maßstab für die Entwicklung der durchschnittlichen Reallöhne1 [1] ist die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität. In der folgenden Abbildung sind die Daten des statistischen Bundesamts für die Entwicklung des realen Bruttolohns pro Stunde und der realen Arbeitsproduktivität2 [2] für das frühere Bundesgebiet und ab 1991 für Gesamtdeutschland3 [3] dargestellt.

prodvslohn-1970-2013 [4]

Die Löhne (rote Kurve) steigen in den 70ern im Einklang mit der Produktivität (schwarze Kurve) an, was man auch als verteilungsneutrale Entwicklung bezeichnet. Während der 2. Ölkrise (1979/80) kommt es kurzzeitig zur Verlangsamung der Produktivitätsentwicklung und die Löhne stagnieren aufgrund der verschlechterten Verhandlungsposition der Arbeitnehmer (starker Anstieg der Arbeitslosigkeit) sogar innerhalb der gesamten 1. Hälfte der Dekade. In der 2. Hälfte der 80er erholt sich das Lohnniveau wieder und die Produktivitätsentwicklung nimmt wieder Fahrt auf wie in den 70ern. Nach der Wende beginnen die Kurven bei einem neuen durchschnittlich Lohn- und Produktivitätsniveau Gesamtdeutschlands. Während der Konsolidierungsphase der neuen BRD stagniert die Produktivitätsentwicklung und das Lohnnivau steigt, wenn auch deutlich weniger als noch in den 70ern und 80ern. Ab 1995 legt die Produktivität wieder deutlich zu und nimmt danach bis heute etwas geringer, aber kontinuierlich und stärker zu als die Lohnsteigerungen. Als die Löhne von 2003 – 2008 im Zuge der Agenda 2010 zum ersten Mal in der Geschichte der BRD spürbar abfallen, entwickeln sich Löhne und Produktivität stark scherenartig auseinander. Die darauffolgende leichte Erholung der Löhne kann diesen Trend  zwar etwas verringern, ist aber nicht annäherungsweise stark genug, um die Schere – auch nicht in naher Zukunft – wieder zu schließen.

Insgesamt stieg der durchschnittliche Bruttolohn (in Preisen von 2013) von 12,51 Euro/Stunde 1970 auf 23,63 Euro/Stunde 2013. Die heute angedachten Mindestlöhne von 8,50 Euro/Stunde kann man also dem Betrag nach eher als Zeitreise in die 60er betrachten denn als eine gerechte Forderung. Pro Arbeitsstunde eines Erwerbstätigen wurden dabei 1970 durchschnittlich Werte (real) von 21,72 Euro geschaffen, 2013 waren es bereits 47,14 Euro.

Wäre der Bruttolohn der abhängig Beschäftigten so angestiegen wie der von ihnen geschaffene Wertezuwachs betragen hat, so müsste er 2013 27,14 Euro/Stunde betragen, somit  fehlen am tatsächlichen Lohn 3,51 Euro/Stunde (14,8%)4 [5].

Den in einem bestimmten Jahr fehlenden Betrag vom Lohn bezeichnen wir im Folgenden als Lohnzurückhaltung des jeweiligen Jahres. Diese setzen wir dann in Beziehung zum tatsächlich gezahlten Lohn desselben Jahres. Die resultierende Größe korrespondiert mit der Änderung der sogenannten Ausbeutungsrate, die das Verhältnis zwischen Wertschöpfung (pro Stunde) und Arbeitslohn (pro Stunde) repräsentiert und somit einen Maßstab für unbezahlte, gesamtwirtschaftliche Arbeitnehmerleistung darstellt. Es ergibt sich die folgende Darstellung:

lohnzu-1970-2013 [6]Die erste Auseinanderentwicklung von Produktivität von Bruttolöhnen fand unmittelbar nach der 2. Ölkrise statt und wurde primär durch stagnierende Löhne verursacht. Nach 1985 wurde dieser Trend unterbrochen und die Lohnzurückhaltung fiel bis 1991 auf 6%. In der neuen BRD ging die Ausbeutungsrate dann, aufgrund stagnierender Produktivität vorübergehend um bis zu 6% zurück. 1997 war die Lohnzurückhaltung aber bereits wieder auf 2% angewachsen und setzt mit der Übernahme der Bundesregierung durch die rot-grüne Koalition zu neuen Höhenflügen an. Nach dem Inkrafttreten von Hartz IV war die Lohnzurückhaltung bereits zunächst auf einen historischen Rekordwert von 15,8% gestiegen, nahm dann in der Zeit der Großen Koalition auf den Spitzenwert von 19,2% (2008) zu und verharrt seit 2010 zwischen 14,8% und 16,9%. Das entspricht einem jährlichen Fehlbetrag in der Lohntüte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammen von ca. 175 Milliarden Euro (brutto). Für den gesamten  Zeitraum (1970-2013) ergibt sich eine zusätzliche “Erbeutungsbetrag” (Summe der Lohnzurückhaltung) der Arbeitgeber von 2,1 Billionen Euro (brutto).

Es ist klar, das neoliberale Konzept der Flexibilisierung des Arbeits”markt”s mit aussetzbarer Existenzsicherung führt nicht nur zu akuter Armutsgefahr bei Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehenden, Kindern oder zu verdeckter Armut (wenn man sich nicht zum Jobcenter traut), sondern setzt das allgemeine Wohlstandsniveau herab. Zusammen mit Rentenniveausenkungen kann man diese Entwicklung auch noch für allgemeine Altersarmut nutzen.

 

  1. real = Inflation herausgerechnet [preisbereinigt] [ [7]]
  2. genauer gesagt – das reale Bruttoinlandsprodukt geteilt durch die Gesamtanzahl der von allen Erwerbstätigen geleisteten Arbeitsstunden [ [8]]
  3. aufgrund der völlig neuen Strukturen und der dazugewonnenen LohnempfängerInnen beginnt die Kurve 1991 erneut [ [9]]
  4. hier [10] ergab sich aufgrund der unterschiedlichen Basisjahre der Produktivitätsentwicklung ein anderer Wert [ [11]]