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Die Troika als “Macht ohne Kontrolle” und die Eurokrise als “silent revolution”

Die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Renten, Wasserversorgung, Krankenhäuser und Zugang zu ärztlichen Leistungen, Bildung, Nahrungsmittelversorgung… dies alles und noch viel mehr ist Mitten in Europa zur reinen Manövrier- und Verwaltungsmasse geworden, wobei in Griechenland sogar eine humanitäre Krise aktiv herbeigeführt wurde, indem die o.g. zivilisatorischen Selbstverständlichkeiten zur bloßen Variable von Technokraten wurden. Und dieser Tage durfte man erleben, wie eine demokratisch gewählte Regierung zu kämpfen hatte, um auch nur den Hauch einer Chance zu erhalten, etwas von dem umzusetzen, weshalb ihre Bevölkerung sie gewählt hatte.

Seit Jahren kann man Zeuge eines ökonomischen Putsches werden, der durch EU-Institutionen, neoliberale Regierungen und zwischenstaatliche Verträge und Vereinbarungen jenseits des bisherigen EU-Rechtsrahmens durchgeführt wird und dabei in massiver Weise gegen geltende Grundrechte verstößt, wie selbst das Europäische Parlament bereits festgestellt hat.1

Dass es sich bei dieser Beschreibung keineswegs um eine Übertreibung handelt, hat nun Harald Schumann zusammen mit Arpad Bondy in einer Dokumentation über die Tätigkeiten der Troika als einen geradezu doktrinären und gnadenlosen Krisenverwalter belegt. Die Dokumentation sollte das Unrecht selbst für die hoffnungslosesten Realitätsverweigerer hierzulande mit den Händen greifbar machen:

„Macht ohne Kontrolle, die Troika“ (Arte Dokumentation, Februar 2015)

Siehe auch den Artikel im Tagesspiegel: „Die Troika: Macht ohne Kontrolle“

Wer beispielsweise die Kommentare zu den Verhandlungen der neuen griechischen Regierung mit der Eurogruppe in den Onlineforen der großen Zeitungen in der letzten Zeit zur Kenntnis genommen hat, darf sich gewiss sein, dass wir es selbst unter bürgerlichen Maßstäben mit dem Wirken sagenhafter Propagandamechanismen zu tun haben, indem weite Teile der Bevölkerung hierzulande von der beobachtbaren Welt gleich nebenan komplett abgeschottet scheinen. Das macht erneut deutlich, wie beeindruckend unter dem Neoliberalismus die Lebenswelten fragmentiert wurden, so dass selbst Verbrechen gegen die Zivilisation, die von gewählten Vertretern gedeckt werden, ohne große Kenntnisnahme durchgeführt werden können, auch wenn sie sich nicht weit entfernt ereignen und von Millionen anderen beobachtet werden. Ich erinnere an das Zitat aus einem Vortrag der Berenberg Bank, das wir erst kürzlich platziert hatten:

„Der politische Aufbau der Eurozone ist einmalig geeignet um angebotsseitige Reformen und solide fiskalische Politik voranzutreiben. In der Eurozone gibt es keine einfachen Wege, dem Marktdruck zu entkommen. – Ebenso wie in einer Nation benötigen die Schwachen die Solidarität der Starken. Aber anders als in einer Nation, wählen die Schwachen nicht in den gleichen Wahlen wie die Starken. Im Ergebnis kann Deutschland viel härtere Bedingungen über Spanien verhängen als London es gegenüber Glasgow könnte.“

(Euro crisis: containing contagion, Darstellung im Rahmen eines Vortrags der Berenberg Bank, 1. Juni 2012)

„Die Schwachen“ kann man nüchterner einfach als die Kreditnehmer übersetzen, die u.a. das deutsche Wirtschaftsmodell ja dringend gebraucht hat, da man im Zuge der „Lohnzurückhaltung“ hierzulande irgendjemanden haben musste, der die Nachfrage schafft. Was jedoch in dem Zitat deutlich wird, ist, dass die Eurozone die neoliberalen Möglichkeiten potenziert, da Eliten keine Bevölkerung mehr fürchten müssen und die demokratische Ebene in vielen Ländern einfach dadurch suspendiert wird, dass man auf die Forderungen der Gläubigerregierungen verweist. Deren Bevölkerungen werden zunächst von „Reformen“ weitgehend verschont, oder eben gegen die anderen, die “Schuldner”, die “Schuldigen” ausgespielt. Dass sie nur vorübergehend verschont bleiben, ist bereits vertraglich festgelegte Sicherheit. Während der Eurokrise hat man nämlich ein ganzes Zwangskorsett an zwischenstaatlichen Verträgen um die EU-Länder gelegt, auf die der damalige Kommissionspräsident Barroso mit stolzem Lächeln verwies:

„Was vor sich geht, ist eine stille Revolution, eine stille Revolution in Hinblick auf eine stärkere ökonomische Regierungsgewalt durch kleine Schritte.“2

(José Manuel Barroso, damaliger EU-Kommissionspräsident)

Wer sich noch einmal darüber informieren möchte, was sich da nun alles auf die Lebensverhältnisse der hunderte Millionen Menschen in Eurozone und EU in Zukunft auswirken wird, sei erneut auf zwei Analysen der FES verwiesen:

“Eurokrise, Austerität und das Europäische Sozialmodell – Wie die Krisenpolitik in Südeuropa die soziale Dimension der EU bedroht” (November 2012)

“Sollbruchstelle Krisenkurs – Auswirkungen der neuen Wirtschaftsgovernance auf das Europäische Sozialmodell” (November 2013)

Auch ein Vortrag von Thorsten Schulten ist für alle abhängig Beschäftigten lohnenswert, auf sie wird nämlich in ganz erheblicher Weise ein Angriff verübt:

“Erzwungene Konvergenz? Europäische Krisenpolitik und ihre Auswirkungen für Löhne und Tarifverhandlungen” (Dezember 2013)

Zu den Auswirkungen des Fiskalpaktes hat Stephan Schulmeister wiederum eine sehr gute Darstellung vorgenommen:

„Der Fiskalpakt – Hauptkomponente einer Systemkrise“ (13.11.2014)

Wie die Eurokrise von den arbeitnehmerfeindlichen Eliten in Bezug auf Spanien und Portugal genutzt wurde, soll eine Grafik3 von uns noch einmal abschließend verdeutlichen:

  1. ein kleiner Auszug: „[…] stellt fest, dass der Europarat die Kürzungen der öffentlichen Altersvorsorge in Griechenland bereits verurteilt hat, sie als einen Verstoß gegen Artikel 12 der Europäischen Sozialcharta von 1961 und Artikel 4 des Protokolls dazu angesehen hat und erklärt hat, dass die Tatsache, dass mit den umstrittenen Bestimmungen des nationalen Rechts die Anforderungen anderer rechtlicher Verpflichtungen erfüllt werden sollen, diese nicht aus dem Geltungsbereich der Charta fallen lässt; stellt fest, dass diese Doktrin, das Rentensystem auf einem zufriedenstellenden Niveau zu erhalten, um Rentnern ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, in allen vier Ländern gilt und hätte berücksichtigt werden müssen […]“ []
  2. Übers. Maskenfall, Original: “What is going on is a silent revolution, a silent revolution in terms of a stronger economic governance by small steps” []
  3. Grafik und Daten aktualisiert am 25.02.2015 um 16Uhr []

Jascha Jaworski

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