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Die marktradikale Mitte als Geburtshelfer der extremen Rechten

„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
(Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D., Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, 2005)

„Nur der, der Strukturreformen durchführt und sich Konditionalitäten unterwirft, kann auf Unterstützung hoffen.“
(Angela Merkel, Bundeskanzlerin, Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, 2013)

„Denn die Freiheit wurde als wichtiges Thema in die Gesellschaft eingebracht, indem man über die Freiheit der Wirtschaft redete. Denn Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft, sie gehören zusammen. Wer eine freiheitliche Gesellschaft möchte, möge sich einsetzen für Markt und für Wettbewerb […]“
(Joachim Gauck, Bundespräsident, Festrede beim Walter Eucken Institut, Januar 2014)

Ich wäre ja gern eines Tages dabei, wenn die Historiker der Zukunft die politischen Papiere, Medienberichte und sonstigen Dokumente unserer Zeit auswerten, um zu erkunden,  wie sich der Kontinent, der sich als “Wiege der Aufklärung” verstand, “Hort von Demokratie und Vernunft”, der aus einem “pluralistischen” Selbstverständnis heraus seine selbstüberhöhende Abgrenzung zu anderen Teilen der Erde bezog, schließlich durch blanke Ideologie im Verbund mit kurzsichtigen Interessen seinen strammen Weg in die Barbarei antrat. Es werden letztlich die Politikerinnen und Politiker der sog. “Mitte” – einem der verheerendsten Konzepte überhaupt – gewesen sein, die durch ihr gesellschaftsblindes Handeln, durch ihre ideologiebasierte aktive Herbeiführung sozialer Zerfallsprozesse, und ihre simultane Strangulation humaner Alternativen (siehe Griechenland) schließlich das Reaktionäre an jenen Punkt geführt haben werden, an dem es seine eigene Ordnung gestalten kann, und somit selbige “Mitte” in ihrer bisherigen Gestaltungsmacht der Realität einfach ablöst. Wünschen sollte man sich diese Richtung sicherlich nicht, gleichwohl, die Zeichen deuten mehr und mehr dorthin.

In “>>Die Mitte<< in der EU – ein gefährliches Ideologiekartell in der Krise” (Teil 1, Teil 2) hatten wir bereits den Zusammenhang zwischen neoliberaler Krisenpolitik, sozioökonomischem Niedergang und Vertrauenserschütterung in Sachen politischer Ordnung ein wenig aufgezeigt. Erfreulicherweise kanalisierte sich die Empörung in den von der Krisenpolitik besonders betroffenen Ländern Spanien und Griechenland dabei besonders nach links (und zwar das “wirkliche”, i.S. klar anti-neoliberale Links). Dies scheint die Wächter der “Mitte” (die aus programmatisch-historischer Perspektive freilich eine reine Mogelpackung ist,) nun umso mehr motiviert zu haben, an Griechenland besagtes Exempel zu statuieren, das psychologisch auch nach Spanien wirken soll. In anderen Teilen des Kriseneuropas entwickelt sich die alternativlosigkeitsbasierte Frustration ohnehin nach rechts. So spricht die jüngste Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland zwar von einer “stabilisierten Mitte” (bezogen auf die Bevölkerung), kommt dabei jedoch zu der Schlussfolgerung, dass an die Stelle eines Führerautoritarismus in vielen Köpfen ein entpersonalisierter Wirtschaftsautoritarismus getreten ist, der nun all jene ausgrenzt und abwertet, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung den Kategorien von Leistung und Wettbewerb nicht in hinreichendem Maße zu unterwerfen scheinen (siehe erneut “Die >>stabilisierte Mitte<< im Wettbewerbsautoritarismus”).

Dass der Neoliberalismus nicht nur Chaos stiftet, sondern dieses Chaos dank seiner ans Rechtsextreme anschlussfähigen Ideen auch noch mit einer Richtung ausstattet, die die Ursachen ihrer Entstehung gerade verstärkt, hat dabei Ralf Ptak, der sich intensiv mit den ideologischen Schulen auseinandergesetzt hat, erst vor einiger Zeit in einem Vortrag in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Oberösterreich dargestellt, auf den ich hier gern verweisen will. (Vielleicht auch geeignet für diejenigen, die nach wie vor gesellschaftlich liberale Ansichten mit wirtschaftsliberalen verwechseln):

(Quelle: medienwerkstatt, Video auf YouTube)

Jascha Jaworski

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