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Die Propaganda ist total…

…anders lassen sich die einleitenden Worte, die im ZDF heute journal von Claus Kleber1 [1]  an die Republik verkündet wurden, nicht fassen, beim besten Willen nicht. Sie machen in wenigen Sätzen deutlich, an welchem Punkt von Lüge, Feindbildproduktion und grobschlächtiger Propaganda wir angelangt sind:

“Guten Abend, Mittwoch, 8. Juli, im sechsten Sommer der Griechenland-Krise. Noch nie waren wir dem Grexit, Athens Austritt aus der Eurozone, so nah. Es sei denn, Tsipras hat nur geblufft und präsentiert morgen einen Plan, der drastischer ist, als das, was die Gläubiger zuletzt von ihm verlangten, als das, wozu sein Volk so donnernd “Nein!” stimmte. Oder, andersrum, es sei denn, Europa hätte geblufft, und knickt bis Sonntag ein, verbiegt die Regeln ein weiteres Mal und zahlt am Ende jeden Preis, wenn nur die Eurozone intakt bleibt.
Und so trat Tsipras heute in Straßburg in spannungsgeladene Luft und warb noch einmal um Hilfe vor dem Europäischen Parlament, einer Versammlung wütender Gegner, enttäuschter Freunde und einiger bis heute unverdrossener Anhänger der Tsipras-Varoufakis-Sicht auf Welt und Finanzwelt.”

(ZDF heute journal [2], 8.7.2015)

Halten wir fest: Der demokratisch gewählte Regierungschef eines Landes, dessen Bevölkerung gerade erst politische Maßnahmen direktdemokratisch mit großer Mehrheit ablehnte, die sich schwerwiegend negativ auf die Zukunft dieser Bevölkerung ausgewirkt hätten, soll nun noch “drastischere” (Worte Klebers) Maßnahmen vorlegen, um die Gläubiger zu befriedigen. Es wird also offen ausgesprochen, dass es gar nicht darum geht, eine demokratisch verträgliche und ökonomisch sinnvolle Lösung zu finden, es geht um Bestrafung und Unterwerfung, und zwar nicht allein einer Regierung, sondern einer ganzen Bevölkerung. Nichts anderes verkünden diese Sätze. Alternativen hierzu jenseits des Grexit gibt es nicht, alles andere wäre ein “Einknicken” “Europas” und das “Verbiegen der Regeln”. In diesem einen Satz findet sich ein lupenreines Nullsummendenken wieder, wie es Teil jeder klassischen Feindbildproduktion ist (“entweder sie verlieren, oder wir”). Die politische Spitze der Euroländer wird dabei nicht nur wieder einmal mit “Europa” gleichgesetzt, zugleich wird ein rein politischer Entscheidungsspielraum (Ausgestaltung der endgültigen Vereinbarung) kurzerhand auf Null reduziert, indem nämlich ein nun – als Strafaktion angedachter – noch “drastischerer” Kürzungsplan schlicht mit “den Regeln” gleichgesetzt wird, bzw. seine Nichtumsetzung ein “Verbiegen der Regeln” sei. Man muss sich die Aussagen von Herrn Kleber in ihrer Kombination vor Augen halten: die Ablehnung der griechischen Bevölkerung gegenüber politischen Maßnahmen, die – man muss daran erinnern – in verheerender [3] Weise gescheitert [4] sind, und eine humanitäre Krise herbeiführten, soll nun mit einem Noch-mehr dieser Maßnahmen beantwortet werden, alles andere sei dabei ein “Verbiegen der Regeln”. Wie verrückt und unverblümt gnadenlos geht es denn noch? Und warum dies?

Doch wer solche Fragen stellt, nimmt eben nur die “Tsipras-Varoufakis-Sicht” ein. Einmal abgesehen davon, dass hier wieder durch Personalisierung ein Feindbild greifbarer gemacht werden soll, mutet der Versuch der Diffamierung dieser “Sicht” – eigentlich handelt es sich bei der “Sicht” ja in weiten Teilen um nicht mehr als den Wunsch, bestimmte Fakten zur Kenntnis zu nehmen, doch die noch “drastischeren” Maßnahmen, die nun eingefordert werden, sind ja nichts anderes als das offene Bekenntnis, dass es um Fakten schon lange nicht mehr geht – geradezu skurril an, bedenkt man, dass nicht nur zahlreiche renommierte Ökonomen [5] zu einer ähnlichen Sicht der Dinge kommen und auch in US-Leitmedien diese Sicht klar zu finden ist [6],  sondern selbst Präsident Obama (immerhin in anderen Kontexten ja der beste Freund und “Führer der westlichen Wertegemeinschaft”) schon vor Wochen davon sprach, dass man “Ökonomien inmitten einer Depression nicht fortwährend ausquetschen” [7] könne.

Wenn Fakten nichts zählen, humanitäre Krisen beiseite gewischt werden, ganze Bevölkerungen bestraft werden sollen, politisch-demokratischer Spielraum auf einen Willkürpunkt minimiert und Feindbildpropaganda zum Hauptmittel wird, und dies alles noch in nicht einmal eleganter Weise in den Leitmedien an Millionen Menschen verkündet wird, in welchem System befinden wir uns dann eigentlich? Und was ist zu tun, um nicht zum unfreiwilligen Mitläufer zu werden?

 

  1. Anm.: Artikel korrigiert am 10.7., ehemals stand hier irrtümlicherweise “Klaus” [ [8]]