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Über das alte Bild, seine Restauratoren und Verwunderung als Zeichen des Umbruchs

Zugegeben, das Bild von der “pluralen und demokratischen” Gesellschaft, in der es Ideologie nur noch an “den Rändern” gab, in der politische Konflikte nur noch von “den Unverbesserlichen” herbeigeredet wurden, das Bild von dem Gesamtinteresse, von der “einen Stimme”, der “die Mitte” eben ganz “pragmatisch” und an “den Realitäten” ausgerichtet ihren Ausdruck verlieh, um durch “Leistung” und “Innovation” immer weiter auf der Fortschrittsskala foranzuschreiten und immer mehr Menschen vom Ende des politischen Kampfs, von der bloßen Sachverwaltung im Dienste der besten aller möglichen Marktwirtschaften zu überzeugen (an anderes gar nicht erst zu denken), dieses Bild war für viele verführerisch. Ideologisch und böse waren immer nur die anderen. In diesem Bild gab es klare und einfache Maßstäbe, die Denk- und Diskussionsarbeit übernahmen andere. Es gab “freie, unabhängige und objektive” Massenmedien, die vorherrschenden und handlungsleitenden Ideen basierten auf “Vernunft” in ihrer reinsten Form. Sie waren das Resultat der kumulierten kollektiven Erkenntnisse der Geschichte und garantierten, dass Entscheidungen im Großen und Ganzen auf “reinen Fakten” und den “besten Meinungen” beruhten, während Machtinteressen, Konformität, Autoritätsglauben und Chauvinismen nur noch bei den “Ungebildeten”, in den “rückschrittlichen” Teilen der Welt oder den Geschichtsbüchern zu finden waren.

Dieses populäre Bild, die Ideologie der Gegenwart, ist kaputt gegangen und man darf gespannt darauf sein, wie das “Erkenne dich selbst!” aussehen wird, das mit der größten Finanzkrise seit 1929, mit der immer durchschaubareren Meinungsmache in Medien und Politik und mit den jüngsten diversen menschenfeindlichen Auswüchsen aus der – wie auch immer gearteten – “Mitte” der Gesellschaft (hierzulande: von der Hetze durch PEGIDA & Co. bis zum Feindbild Griechenland), aufkam.

Die Verwalter des alten Bildes versuchen jedenfalls noch durch notdürftige Radierereien und kleine Korrekturstriche das zentrale Motiv der Alternativlosigkeit aufrecht zu erhalten. Bloß keine grundlegenden Diskussionen und Erkenntnisprozesse, man weiß ja nicht, wo es endet! Beispielhaft dokumentiert dies Wolfgang Michal, der mit der mainstreammedialen Darstellung zu Kandidaten wie Bernie Sanders (USA) oder Jeremy Corbyn (GB) auf die populär werdenden real existenzfähigen Alternativen eingeht, die neben Podemos und SYRIZA bei den bisherigen Systemverwaltern die Alarmglocken losschrillen lassen:

“Neoliberale, hört die Signale!” (12.8.2015)

Für eine Reflexion über die sprachlos machende Griechenland-Berichterstattung, die die eigentlichen, unverschämten und eklatant demokratiefeindlichen Machtprozesse hinter den Eurogroup-Verhandlungen trotz ihrer Offensichtlichkeit für viele unkenntlich machte, empfiehlt sich eine Podiumsdiskussion mit drei bekannten Journalisten, die man zum eher kritischen Lager zählen kann:

“Greece in German Media – Discussion with Robert Misik, Georg Dietz and Harald Schumann” (auf voicerepublik.com, 7.8.2015)

Ab Min. 17:30 wird das Podium vorgestellt und dann beginnt die rund 2-stündige Diskussion, in der sich die Teilnehmer Gedanken über ihre eigene Profession machen.

Meinen obigen Ausführungen zufolge sollte man die Medienberichterstattung über, die öffentliche Meinung zu und den politischen Umgang mit Griechenland nur als ein weiteres, jedoch sehr diagnostisches Symptom für unsere Zeit sehen, in der ein grundlegender gesellschaftlicher Umbruch stattfindet. So ist es auch wenig erstaunlich, wenn immer mehr “alte Hasen” in Verwunderung geraten. Zitat Schumann zu Anfang der Diskussion:

“Eines vorweg: Ich bin seit 32 Jahren Journalist, und was da passiert ist, habe ich in 32 Jahren nicht erlebt. Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, sämtliche deutschen Qualitätsmedien, von der Tagesschau über die FAZ bis zur Süddeutschen und meiner eigenen Zeitung Tagesspiegel, würden über mehrere Monate grundlegende journalistische Standards brechen – also jetzt nicht nur mal ausnahmsweise und so, das passiert andauernd – aber, also bei einem Thema kontinuierlich journalistische Standards brechen, dann hätte ich gesagt: Eh Alter, lass die Kirche im Dorf! Wir sind schlecht, aber so schlecht sind wir auch nicht. Und diesmal ist aber was passiert, was wirklich ganz ganz ungewöhnlich ist, dass nämlich auch Kollegen, die ich schätze, von denen ich weiß, dass sie eigentlich einen kritischen Geist haben, irgendwie mehr oder weniger abgeschaltet wurden. Ehm, und ich hab verzweifelt versucht, mir das zu erklären…”

(Harald Schumann, Greece in German Media, Podiumsdiskussion vom 7.8.2015)

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Um keine falschen Eindrücke aufkommen zu lassen: Mainstreammedien liegt eine grundsätzliche Funktion zugrunde, die eben auf “Aufklärung” allenfalls innerhalb bestimmter Grenzen hinausläuft, was wiederum für die Medienmacher vor Ort nicht sichtbar sein muss. Mainstreammedien sind u.a. aufgrund der Eigentumsverhältnisse Elitenmedien, siehe dazu: „A Propaganda Model“ (Herman und Chomsky, 1988)

    Im Falle der Griechenland-Berichterstattung hat sich jedoch etwas obendrauf addiert, was mit der kapitalistischen Phase, in der wir uns befinden, zu tun haben dürfte. Wie in der Podiumsdiskussion aufgeworfen, kann man u.a. einen intensiven ökonomischen Chauvinismus feststellen. Er ist vermutlich wiederum Konsequenz der allgemeinen Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse und der Wettbewerbsideologie, die besonders hierzulande als Tugendlehre auftritt.

    Für einige Mechanismen, über die Massenmedien Partikularinteressen transportieren, siehe erneut:
    Der Aufschwung der Meinungsfabrikation – Teil 2

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