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Die OBS-Studie zum Thema “Querfront” und das Potential zur Instrumentalisierung

Ungefähr zur Jahrtausendwende hat eine Zeit der Repolitisierung in westlichen Ländern begonnen, davon bin ich überzeugt. Alte Erzählungen gehen kaputt und Machtverhältnisse ändern sich rasch (vier sehr relevante Entwicklungen hierzu benannte etwa der britische Journalist Seumas Milne vor einiger Zeit im Guardian: “The end of the New World Order”). Bisherige Autoritätsinstanzen verlieren an Glaubwürdigkeit, auch indem sie sich beobachtbar radikalisieren, um unliebsame Veränderungen abzuwehren. In der Darstellung Griechenlands besonders im deutschen Medienmainstream wird dies allzu deutlich. In der Ukraine-Berichterstattung wurde die Einseitigkeit mit den Händen greifbar. Beim Angriffskrieg gegen den Irak konnte man erleben, wie (mindestens geistig) unfrei die “freien” Medien in “modernen Demokratien” sein können. Viele tief verankerte Widersprüche treten an die Oberfläche, die zunehmend mehr Menschen bewusster werden. “Der Westen” sind eben nicht “die Guten”, sie sind allenfalls diejenigen, die aufgrund der Reichtumsressourcen und der historisch herbeigeführten Machtverteilung Gewalt in erster Linie in ihrer strukturellen Dauerform ausüben können1, so dass sie für viele kaum sichtbar ist und Verantwortlichkeit sich leicht diffundieren oder verdrehen lässt. Dieser Umstand gepaart mit einem allgemeinen Fokus von Menschen auf ihr Nahumfeld, sowie den großen Leistungen der Zerstreuungsindustrie, die es versteht, ihre “Kunden” bei den vordergründigen Bedürfnissen abzuholen und zum Mittäter bei der eigenen Propagandisierung zu machen, erlaubt es seit langer Zeit (Selbst-)Täuschungen zu befördern und wesentliche Wissensinhalte über historische Gegebenheiten, die Interessen von Akteuren, sowie allgemein ein Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge zu verhindern (obwohl der Informationszugang doch so groß ist).

Kommt nun eine zweite Welle der Aufklärung, eine Zeit, bei der Ideen rund um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – die zweifellos Menschen zusammenführten und gesellschaftlichen Wandel organisierten – nicht nur stolz vor sich hergetragen werden, sondern im weltweiten Maßstab konkretisiert werden, auch wenn sie auf Kosten des eigenen Ressourcen- und Wissensvorteils und somit der Ausübung von Machtprivilegien gehen? Kommt eine Zeit, in der mehr und mehr Menschen empirisch tragfähige Vorstellungen von Welt und Gesellschaft erlangen, so dass sie sich emanzipieren von “notwendigen Illusionen” (Chomsky), die nicht selten andere doch für sie vorgesehen haben? Oder verschieben sich lediglich die Auslassungen und Einseitigkeiten, so dass erneut nicht im Sinne der Aufklärungsidee die beobachtbare Welt Grundlage des eigenen Urteilens wird, sondern eine grobfahrlässig vereinfachte, die in erster Linie wiederum dem Wunsch dient, sich mit der bisherigen Meinung wohl zu fühlen?

So oder so, was zunächst erfolgt, ist eine Öffnung des Meinungsspektrums, es kommt zu neuen Aushandlungsprozessen darüber, was ist und was sein sollte. Das Internet als ein Medium, das Teilhabe ermöglicht, das zudem nicht über die Filterungsinstanzen der “alten” Massenmedien verfügt, das dabei jedoch sein eigenes Rauschen erzeugt und einen großen Teil an Falschinformationen, Schnellschüssen, Auslassungen, und eben auch teils deutlich menschenfeindlichen Inhalten transportiert, ist hierbei eine zentrale und immer relevantere Größe bei der Meinungsbildung.

Ein Hilfsmittel dabei, sich nicht von dem einen Meinungsgatter, das auf Empirieferne und Auslassung beruht, in das nächste jagen zu lassen, besteht darin, sich nicht nur mit den “alten” Akteuren der Meinungsbildung auseinanderzusetzen, sondern ebenso mit den neuen, wobei diese neuen im Grad ihrer Verbreitung und in den durch sie transportierten Ideen stark variieren. Ein Teilspektrum beschreibt hierbei die Otto Brenner Stiftung in ihrer jüngsten Studie, die Wolfgang Storz anfertigte:

“>>Querfront<< – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks” (OBS-Studie, August 2015, zusätzliches Material der Studie siehe hier)

Wolfgang Storz betrachtet darin besonders den KOPP-Verlag, das Magazin “Compact”, sowie die “Montagsmahnwachen”. Er zeigt Vernetzungen auf und spricht dabei von einem “stabilen Netzwerk”, dessen Ausgrenzung durch den Mainstream zugleich für dieses identitätsstiftend sei. Das inhaltliche Fundament des Netzwerks benennt er wie folgt:

“Das hier porträtierte Netzwerk beschäftigt sich im Kern mit grundsätzlichen Fragen der nationalen Identität, Homogenität und Eigenständigkeit Deutschlands und Europas. Das zeigt sich bei einer Durchsicht der (bereits beschriebenen) Inhalte von „Compact“, die weitgehend auch die wesentlichen Themen aller Netzwerk-Akteure sind:
* die Ablehnung von Euro und EU-Bürokratie;
* Sorge um die Stabilität des Geldsystems;
* Souveränität Deutschlands (vor allem gegenüber den USA) erkämpfen;
* ein gutes Verhältnis zu Russland schaffen;
* den Nationalstaat stärken;
* sich auf das ‚christliche Abendland‘ besinnen;
* die Familie stärken;
* eine als ‚zu groß‘ empfundene Liberalität und Pluralität (Gender-Mainstreaming, Gleich­stellung von Minderheiten, Sexualität) eingrenzen;
* sich gegenüber fremden Religionen abgrenzen;
* sich für ein Europa der Vaterländer einsetzen;
* die Schweiz als Vorbild (Währung, direkte Demokratie, Miliz-Militär, Neutralität);
* mehr direkte ,Volks-Demokratie‘;
* Souveränität gegenüber Israel herstellen;
* Misstrauen gegenüber oder gar Ablehnung von politischen und medialen Eliten;
* Einschränkungen der Meinungsfreiheit;
* Polarisierung zwischen Volk und Eliten.”

(Wolfgang Storz, >>Querfront<< – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks, OBS, 2015)

Ich verweise auf die Studie, um die Debatte darüber zu unterstützen, was “kritisch” Sein bedeutet, wo linkes Denken sich durch einschlägig rechte Ideen kapern lässt und wo wiederum Panikmache, Gleichsetzung und falsche Bilder von Prozessen der öffentlichen Meinungsbildung existieren. Ein Problem in der Debatte besteht m.E.n. häufiger darin, dass jeder einzelne der genannten Punkte als hinreichend für die Einordnung “rechts” herangezogen werden könnte oder eben als starkes Verdachtsmoment hierfür gebraucht oder missbraucht werden könnte. Dabei sind die Ablehnung des Euro, der Wunsch nach einem guten Verhältnis zu Russland, der Wunsch nach mehr direkter Demokratie, oder die Ablehnung von politischen und medialen Eliten und ihre Polarisierung gegenüber der übrigen Bevölkerung ja durchaus Dinge, die sich mit guten Argumenten und Befunden begründen lassen. Die Frage nach den Begründungen ist die eigentlich entscheidende und die Frage danach, wie weit man die Forderungen treibt und ob es sich eben um bloße Gesinnungsethik (“ich will es so”) oder eben Verantwortungsethik (“ich will es, was sind mögliche Konsequenzen?”) handelt. Andere der oben aufgeführten Punkte sind zwar nicht links, doch sollte man sich eben mit anderen über diese streiten können, wenn man es ernst meint mit der lebendigen Demokratie und wenn die anderen nicht einfach Hass verbreiten wollen, sondern zur Auseinandersetzung bereit sind. Bei “Compact” und dem KOPP-Verlag würde es für mich dabei aufhören, wer sich ein wenig mit ihnen auseinandersetzt, muss nicht großartig theoretisch werden, um zu sehen, dass hier von Aufklärung im o.g. Sinne nicht die Rede sein kann, um es zurückhaltend zu sagen. Dass auch Ken Jebsen in der OBS-Studie aufgeführt wird, zeigt meiner Ansicht nach auf, dass das Spektrum noch relativ heterogen ist, zugleich jedoch, dass Verbindungen bestehen, die das Potential haben, in andere gesellschaftlich-kommunikative Spektren vorzudringen.

Eine Gefahr, die durch die von der OBS-Studie in den Blick genommenen Akteure aufkommt, besteht natürlich darin, dass empirisch tragfähige Kritikpunkte (so etwa an westlichen Angriffskriegen, transatlantischen Netzwerken, Kriegspropaganda etc.) dadurch diskreditierbar werden, dass sie eben besonders hörbar im genannten Spektrum kursieren und hierbei mit vielen weiteren Inhalten verkoppelt werden, denen man (z.B. ich) sich nicht anschließen will. Gegen pauschale Diskreditierung und Instrumentalisierung kann jedoch nur Wissen und Wachsamkeit helfen, man muss sich einen Überblick verschaffen. An Steven Geyer in der Berliner Zeitung kann man beispielhaft beobachten, wie sich durch Bezug auf die Studie und geeignete Kontextualisierung bereits die gewünschte Botschaft transportieren lässt, dass nämlich scharfe Kritik am Westen womöglich stets in die Ecke aller von der Studie Erfassten gehört (die zugleich in einen breiten Topf geworfen werden):

“Inhaltlich haben die Akteure aber eher gemeinsame Feindbilder als Ziele. Sie stellen sich gegen die USA und die EU, den Euro – und die Medien, die mit „denen da oben“ paktierten. Typisch ist eine pro-russische Haltung und der Vorwurf an westliche Eliten, „Kriegstreiber“ zu sein. „Das Netzwerk eint eine Haltung, die einen homogenen Nationalstaat und tradierte Lebensweisen wertschätzt und demokratisch-liberale Gesellschaftsentwürfe ablehnt“, so die Studie. „Bevorzugt wird das Gesellschaftsbild einer autoritären, nichtliberalen ,Volks-Demokratie‘, die von einer starken Führung und von Elementen direkter Demokratie geprägt ist.”

(Steven Geyer, Was Pegida-Fans und Anhänger der Linkspartei verbindet, Berliner Zeitung, 15.8.2015)

Wobei der Artikel sich dadurch auszeichnet, dass er die Gelegenheit, auf Ursachensuche zu gehen in Hinblick auf den Orientierungsbedarf jenseits des Mainstreams, und sich hierbei in Selbstkritik zu üben, lapidar im Nebensatz abhandelt:

“So tickt inzwischen eine ganze Szene: Echte Informationen – kaum jemand bestreitet die Mitschuld der US-Politik im Irak an der Geburt des Islamischen Staats – werden vermischt mit Vorurteilen und Falschmeldungen, die im linken Spektrum ebenso Interessenten finden wie im rechten.”

(Steven Geyer, Was Pegida-Fans und Anhänger der Linkspartei verbindet, Berliner Zeitung, 15.8.2015)

Deutlich mehr Erkenntnisinteresse legt da der in der OBS-Studie interviewte Bewegungsforscher Dieter Rucht an den Tag, der sich über die Teilnehmenden der damaligen “Montagsmahnwachen” äußert:

[Wolfgang Storz:] Wir haben darüber gesprochen, wie die Leute sich selbst sehen. Von Medien und politischen Beobachtern wiederum werden dieses Netzwerk und seine Akteure wahlweise als Irre, Verschwörungstheoretiker oder Rechtspopulisten bezeichnet.
[Dieter Rucht:] Ich bin schon dafür, diese Netzwerke und ihre Aktivitäten sehr genau anzuschauen. Wer da nur Irre sieht, der sagt ja: Damit müssen wir uns gar nicht beschäftigen, das ist ein Fall für Ärzte. Das ist nicht fruchtbar. Mit der Charakterisierung als Rechtspopulismus bin ich zurückhaltend. Richtig ist: Es geht eher in diese Richtung, aber es gibt auch linkspopulistische Elemente. Die stehen nebeneinander. Mir ist die Feststellung wichtig: Da sammeln sich viele politisch entfremdete Bürger, die orientierungslos geworden sind. Sie können mit dem herrschenden politischen Betrieb nichts anfangen und suchen eine Alternative dazu. Sie stoßen auf diese Netzwerk-Angebote, die weder ideologisch einheitlich noch politisch konsistent und profiliert sind. Die Entwicklung dieses Netzwerks ist deshalb offen. Es kann zerfallen. Es kann sich aber auch festigen und an Richtung und Fahrt gewinnen. […]”

(Interview mit Dieter Rucht, 5.11.2014, in: Wolfgang Storz, >>Querfront<< – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks, OBS, 2015)

Es darf sich also jede und jeder aufgefordert fühlen, sich in die Debatte einzubringen, die eigenen Positionen zu prüfen, sich unängstlich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, darauf zu achten, wo eigene Propaganda beginnt, aber auch, wo Energie, die in Ausgrenzungsarbeit gesteckt wird, zuvörderst dazu beiträgt, das Bestehende zu stützen, anstatt für eine offenere, von weniger Machtinteressen und Verlogenheit durchsetzte Gesellschaft einzutreten.

Nachtrag (21:41 Uhr)

Um denjenigen, die das Kind gezielt mit dem Bade ausschütten wollen und am liebsten jede scharfe Kritik am Bestehenden mit (häufig rein als leerem Label eingesetzten) Begriffen wie “Verschwörungstheoretiker” , “Putinismus”, “Anti-Amerikanist” etc. abwehren wollen, zu begegnen, sollte man immer recht einschlägige Befunde zur Hand haben, bei denen viel Erklärungsbedarf aufkommt, wenn man das Bild vom guten Westen, der funktionierenden Presse und der liberalen Demokratie aufrecht erhalten wollte. Zwei Artikel von uns mit einer Reihe an Verlinkungen zur westlichen Propaganda mögen hier hilfreich sein:

“Die Nicht-Propaganda Propaganda”

“Die erneute Blütephase psychologischer Kriegsführung”

Gleichwohl ist man stets aufgefordert bei den Fakten zu bleiben, und sich darüber gewahr zu sein, dass Interessen sich von vielen Seiten aus durchsetzen wollen, die häufig nicht das sind, was sie zu sein vorgeben. Doch auch die Ressourcen- und Einflussverteilung im gesellschaftlichen Kontext sollte man sich stets vor Augen halten.

Nachtrag (2.10.15)

Nachdem umfassende methodische Mängel (siehe Link im Kommentarbereich unten) an der Studie aufgezeigt wurden und es Kritik wegen ihrer Diffamierungswirkung bei mangelhafter faktischer Grundlange von Darstellungen gab, hat die OBS die Studie mindestens vorläufig aus dem Netz genommen. Siehe NachDenkSeiten dazu.

  1. Umfangreiche direkte Gewalt war jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg ein nicht zu unterschätzendes Mittel besonders des westlichen Machterhalts, man erinnere sich etwa an den “Hinterhof” Südamerika (dazu z.B. John Pilger, “The War on Democracy”), an die grausamen Kriege in Südostasien oder die Gewaltausübung im Nahen Osten (dazu z.B. Michael Lüders, “Wer den Wind sät… Was westliche Politik im Orient anrichtet”) []

Jascha Jaworski

2 Kommentare

  1. Für eine grundlegende methodische Kritik zur Studie siehe Sabine Schiffer:
    https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AP18/2015_08_21_IMV_Schiffer_Querfront.pdf

    Abstract
    “Die aktuelle OBS-Studie „Querfront – Karriere eines politisch publizistischen Netzwerkes“ 1 geht von einem Netzwerk zwischen Akteuren wie Jürgen Elsässer, Ken Jebsen, Ivo Sasek und Michael Vogt, bestimmten Verlagen und Webportalen aus – um nur einige illustre Erwähnte zu nennen –, wo eines zu ermitteln und zu belegen gewesen wäre. Die methodischen Fehler der „Kurzstudie“, die ich allenfalls als Teilstudie (s.u.) bezeichnen würde, stellen deren vorweggenommenes Ergebnis in Frage. 2 Da es sich vielfach um eine Aneinanderreihung von Nichtaussagen à la „über ihn wird gesagt, dass“ handelt, wird im Folgenden an besonders einschlägigen Beispielen aufgezeigt, warum die Gesamtaussage des Werkes hinterfragt werden muss.”

  2. Ein interessanter Beitrag zur gegenwärtigen Kampagne der MSM gegen differierende Meinungen, deren Verbreitung und, in Ermangelung von Argumenten auf viele der Aussagen der vermeintlich Linken oder Rechten “Verschwörungstheoretiker”.
    Dabei werden alle Register der ablenkenden Argumentation gezogen wie sie sehr schön im Link zu Wikipedia beschrieben werden.
    Sehe ich mir das Gelesene (oder gehörte) unter dem Aspekt “Argumentum ad xxxxxx” an, kann ich fast schon mit Sicherheit feststellen, ob es sich um Gegenpropaganda oder um sachliche Information und Auseinandersetzung handelt.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Typen_von_Argumenten#Nazi-Vergleich

    MfG: M.B.

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