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No 648

“An die anderen Staaten und die Zivilgesellschaft im Raum: Lassen Sie mich die Aussage Israels vereinfachen. Abgesehen davon, dass Israel Beleidigungen um sich wirft und schwerwiegende, unbegründete Anschuldigungen vorbringt, hat Israel etwas gesagt, das Sie alle zum Schaudern bringen sollte. Es sagte effektiv: Ich kann jeden einzelnen Menschen in Gaza töten. Die 2,3 Millionen Menschen in Gaza sind entweder Terroristen, Terroristensympathisanten oder menschliche Schutzschilde, und daher legitime Ziele. Laut Israel fällt jeder Mensch in eine dieser drei Kategorien. Ein Kind, ein Journalist, ein Arzt, ein UN-Mitarbeiter, ein neugeborenes Baby in einem Brutkasten, und so kann Israel sie laut eigener Aussage töten und anschließend die Dreistigkeit haben, in diesen Raum zu kommen und der Welt mit ernstem Gesicht zu sagen: Wir handeln im Einklang mit Völkerrecht. […]
Aber wissen Sie was, Ihre oberflächliche Erklärung für Flächenbombardements wird nicht überzeugen. Menschen sind keine Dummköpfe. Die Leute in diesem Raum sind erfahrene Diplomaten, die belesen sind, über Geschichtskenntnisse verfügen […]
Indem Israel sagt, dass es im Einklang mit dem Völkerrecht handelt, sagt es im Grunde: Der UN-Generalsekretär, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, die WHO, UNICEF, OCHA, UN-Sonderberichterstatter, die unabhängige UN-Untersuchungskommission zur Situation, Menschenrechtsorganisationen weltweit, Abrüstungs-NGOs weltweit, humanitäre NGOs weltweit, unzählige Rechtsexperten, sie liegen alle falsch. Alle lügen darüber, dass Israel Völkerrecht verletzt […]”1

(Nada Abu Tarbush, Palästinensische Repräsentantin bei den Vereinten Nationen – Rede vom 17.11.2023 bei den Vereinten Nationen, YouTube-Kanal von The Wire, November 2023, Übers. Maskenfall)

  1. Anm. JJ: Sehr eindrückliche Rede []
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No 647

“Rund 30 unabhängige Berichterstatter der Vereinten Nationen haben vor einem Völkermord im Gazastreifen gewarnt. Sie beziehen sich dabei auf die israelischen Bombardierungen und die Abriegelung des Küstenstreifens nach dem Überfall von Terroristen der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober. «Viele von uns haben bereits vor der Gefahr eines Völkermordes in Gaza gewarnt», teilten die Berichterstatter in Genf mit.
«Wir sind auch zutiefst besorgt über die Unterstützung einiger Regierungen für Israels Strategie der Kriegsführung gegen die belagerte Bevölkerung des Gazastreifens und das Versagen des internationalen Systems, sich zu mobilisieren, um einen Völkermord zu verhindern.» Der israelische Militäreinsatz, der nach Angaben der Hamas schon mehr als 11.000 Menschenleben gefordert hat, könne nicht mit Selbstverteidigung gerechtfertigt werden, schrieben sie.”1

(Deutsche Presse-Agentur – UN-Berichterstatter warnen vor Völkermord im Gazastreifen, Zeit Online, 16.11.2023)

  1. Anm. JJ: Hier die Mitteilung der UN-Expert*innen auf der Seite des UN-Menschenrechtskommissariats []
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No 646

“Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden’s eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen,
Aber sind wir heute Menschen? Nein!

Wir sind der Name auf dem Reisepaß,
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas,
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.

Längst ist alle Menschlichkeit zertreten,
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir in unser’n tief entmenschten Städten
Sollen uns noch Menschen nennen? Nein!

Wir sind der Straßenstaub der großen Stadt,
Wir sind die Nummer im Katasterblatt,
Wir sind die Schlange vor dem Stempelamt
Und uns’re eignen Schatten allesamt.

Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt’s dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien,
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!

Wir sind das schlecht entworf’ne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!”

(Jura Soyfer, politischer Schriftsteller – Lied des einfachen Menschen, 1936)

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No 645

“Wir haben gesehen, an dem Tag der Angriffe der Terrororganisation Hamas, dass die Menschen, die zur Zielscheibe dieses Angriffs wurden so Menschen waren, wie ich es bin. Offene, liberale, humanistische und friendensliebende Menschen. Diese Menschen sind ungünstig für das Vorhaben der rechtsnationalen israelischen Regierung. Wenn die Familien dieser Opfer aufschreien, will man sie nicht hören. Die Opfer sind uns nur insoweit nützlich, als wir damit Gewalt rechtfertigen können. […]
Und ich bitte Sie, ich bitte die Menschen in diesem Land, ich bitte die Politiker, die in diesem Land das Sagen haben: Bitte heben Sie die Stimmen dieser Menschen hervor, es ist womöglich unsere allerletzte Chance umzulenken. Wenn diese Eskalation der Gewalt jetzt nicht zu beenden ist, erleben wir möglicherweise eine dramatische, gefährliche Änderung in der Welt und in unserer Gesellschaft, die wir vielleicht nicht mehr in den Griff kriegen. Ich fürchte mich vor dem Zivilisationsbruch, weil wir reden so lange über die Werte, über die wir uns angeblich geeinigt haben seit dem Zweitei Weltkrieg. Aber inzwischen sind wir nicht mehr so gut darin, es zu verstecken, dass wir diese Werte selektiv einsetzen. Die Menschen verlieren das Vertrauen in uns, und wenn sie das Vertrauen in uns verlieren, werden sie sich nicht mehr an diese Werte halten wollen, genauso, wie sie sehen, dass wir uns nicht an diese Werte halten.”

(Deborah Feldman, Schriftstellerin – Auftritt in der Sendung Markus Lanz vom 1.11.2023, YouTube-Kanal ZDFheute Nachrichten, 1.11.2023)

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No 644

“Ich habe die schrecklichen und beispiellosen Terroranschläge der Hamas in Israel vom 7. Oktober unmissverständlich verurteilt.
Nichts kann die vorsätzliche Tötung, Verletzung und Entführung von Zivilisten – oder den Abschuss von Raketen auf zivile Ziele – rechtfertigen.
Alle Geiseln müssen menschlich behandelt und sofort und bedingungslos freigelassen werden. Ich nehme mit Respekt die Anwesenheit ihrer Familienangehörigen unter uns zur Kenntnis. […]
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.
Das palästinensische Volk war 56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt.
Sie haben miterlebt, wie ihr Land ständig durch Siedlungen verschlungen und von Gewalt heimgesucht wurde. Ihre Wirtschaft kam zum Stillstand; ihre Leute wurden vertrieben und ihre Häuser zerstört. Ihre Hoffnungen auf eine politische Lösung ihrer Notlage sind geschwunden.
Aber die Beschwerden des palästinensischen Volkes können die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Und diese entsetzlichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen. […]
Sogar Krieg hat Regeln. […]
Die unerbittliche Bombardierung des Gazastreifens durch israelische Streitkräfte, die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung und die massive Zerstörung von Stadtvierteln nehmen weiter zu und sind zutiefst besorgniserregend.”

(António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen – Rede vor dem UN-Sicherheitsrat am 24. Oktober 2023, YouTube-Kanal der Vereinten Nationen, 24.10.23, Übers. Maskenfall)

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No 643

“Ich bin davon überzeugt, dass ich, wenn man die Welt als Ganzes betrachtet, noch nie so viele Menschen gesehen habe, die so absolut gleichgültig gegenüber dem Morden waren, die sich mehr dessen wünschten und darüber verrückt wurden. Zu sagen, dass sie zynisch sind, heuchlerisch usw., ist einfach zu schwach. Sie haben sowohl Vernunft als auch Menschlichkeit aufgegeben.”

(Branko Milanovic, serbisch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Tweet auf dem Twitter-Kanal von Branko Milanovic, 19.10.2023, Übers. Maskenfall)

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No 642

“Eine Sachverständige der UN forderte heute, dass Israel seine Anordnung an 1,1 Millionen Palästinenser*innen, innerhalb von 24 Stunden den nördlichen Gazastreifen zu verlassen, unverzüglich zurückziehen möge, und verurteilte die Evakuierungsanordnung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als eklatanten Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.
>>Erzwungene Bevölkerungsumsiedlungen stellen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar und Kollektivstrafen sind nach dem humanitären Völkerrecht verboten<<, sagte Paula Gaviria Betancur, Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen.
>>Wir sind entsetzt über die Aussicht, dass sich zu den über 423.000 Menschen, die bereits in der vergangenen Woche durch die Gewalt aus ihren Häusern vertrieben wurden, eine weitere Million Palästinenser anschließen wird<<, sagte sie.
>>Es ist unvorstellbar, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas ein aktives Kriegsgebiet durchqueren könnte, ohne dass dies verheerende humanitäre Folgen haben würde, insbesondere wenn ihnen die lebenswichtige Versorgung und Grundversorgung fehlen<<, sagte Gaviria Betancur. […]
>>Ich möchte Israel daran erinnern, dass die Einhaltung des Völkerrechts in jedem Konflikt obligatorisch und nicht optional ist<<, sagte die Sachverständige.
>>Zu diesem Zweck fordere ich die strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts und seiner Bestimmungen, einschließlich des uneingeschränkten humanitären Zugangs zu den Bedürftigen, der Einstellung willkürlicher Angriffe gegen Zivilist*innen und eines Endes der Zwangsumsiedlung und Blockade<<, sagte sie.”1

(Vereinte Nationen – Israel must rescind evacuation order for northern Gaza and comply with international law: UN expert, Pressemitteilung, UN.de, 13.10.2023, Übers. Maskenfall)

  1. Anm. JJ: Durch die abscheuliche Terrorattacke der Hamas wurden in Israel mindestens 1400 Menschen getötet, unschuldige Zivilist*innen wurden dahingemetzelt, Menschen wurden verschleppt und auch ihre Angehörigen durchleben die Hölle. Nichts ist eine legitime Rechtfertigung für solche Taten. Unser aller Beileid sollte bei jenen Menschen sein. Dies alles ist jedoch keine Rechtfertigung dafür, dass die israelische Regierung mit Kriegsverbrechen antwortet und noch viel mehr unschuldige Opfer hervorbringt, als ohnehin schon in den letzten Tagen hervorgebracht wurden. Man möchte meinen, die Universalität von Menschen- und Völkerrecht anzuerkennen, sollte keine Schwierigkeit sein. Das Prinzip leuchtet doch ein: Recht gilt für alle, immer, oder es wird für keinen gelten. Dann gelten Zynismus und das Pseudorecht des jeweils Stärkeren. Die deutsche Bundesregierung macht sich in diesem Moment schuldig, den befreundeten Staat Israel in dieser Zeit nicht bei aller Solidarität zugleich vehement darauf hinzuweisen. Zweierlei Maß und Schweigen in der Außenpolitik. Nicht neu, hier aber einmal mehr wesentlich bei der Verursachung von so viel Leid in Echtzeit.” []
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No 641

“Wenn man sich heute eine Wahlkarte von Polen anschaut, dann sieht man, dass die rechtsnationalistische Regierungspartei PiS vor allem in Regionen erfolgreich ist, die meist als >>abgehängt<< bezeichnet werden, das sogenannte >>Polska B<<. In den urbanen Wachstumsregionen wie Warschau, Danzig oder Posen wählen die Leute dagegen überwiegend liberal oder linksliberal. Auch Trump hat die Präsidentschaftswahlen von 2016 vor allem im Rust Belt gewonnen, in den ehemaligen Hochburgen von Kohle und Stahl, wo die alten Industrieanlagen seit den 1970er-Jahren vor sich hin rosten. […]
Das bedeutet nicht, dass alle Wähler von Trump, PiS oder AfD Transformationsverlierer sind, dass sie aktuell arbeitslos sind oder ein geringes Einkommen haben. Zu diesen Wählern gehört auch ein Teil des Mittelstands und sehr reiche Menschen. Einer der Gründe dafür ist, dass viele Wähler rechtspopulistischer Parteien, selbst wenn es ihnen heute besser geht, irgendwann im Laufe ihres Lebens von Arbeitslosigkeit oder sozialem Abstieg betroffen waren. Sie trauen daher dem Wohlstand nicht, den sie sich erwirtschaftet haben, sie trauen dem sozialen Frieden nicht. Und hier liegt der Zusammenhang zu den neoliberalen Reformkonzepten. […]
Nehmen wir das besonders anschauliche Beispiel der Transformation in Osteuropa. Dort sollte mit einer >>Schocktherapie<< aus dem vermeintlichen Homo sovieticus ein Homo oeconomicus gemacht werden – also aus Untertanen des sowjetischen Imperiums ein ökonomisch denkender Mensch. Und wie hat man das gemacht? Durch das Zurückschneiden von Sozialleistungen, für die man immer härtere Bedingungen eingeführt hat. In Deutschland haben wir das als “Hartz IV” kennengelernt. Wobei man betonen muss, dass die Ausmaße solcher Sozialreformen immer vom Wohlstandsniveau des jeweiligen Landes abhingen […].”

(Philipp Ther, Historiker – >>Es gibt einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus<<, ntv.de, 10.9.2023)

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No 640

“Das Problem ist hier ja, dass wirklich so getan wird, als ließen sich bestimmte wirtschafts- und finanzpolitische Probleme auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen lösen. Als sei auch die Lösung eindeutig auf dem Boden der Wissenschaft zu identifizieren. Das kann man in zweierlei Hinsicht so nicht stehen lassen, meiner Ansicht nach. Erstens, gibt es keinen wirtschaftswissenschaftlichen Konsens darüber, wie man bestimmte wirtschaftspolitische Probleme im Zusammenhang mit Wettbewerbsfähigkeit löst oder nicht. Da gibt es unterschiedliche Ansätze, ja. Also, und da gibt es nicht diese eine Richtung, die eben von der Kommission verfochten wird, als ob es keine andere gäbe. Und zweitens ist es natürlich so, das sind ja nicht einfach technische Fragen, wo man sagen würde: >>Dann regeln wir das eben so oder dann regeln wir das eben so.<<, sondern, je nachdem, wie Sie es regeln, haben Sie eine ganz unterschiedliche Verteilung der Kosten. Und Kosten bedeutet ganz real, Lebenschancen für Menschen. Ja? Also, das wissen wir. Es gibt glänzende empirische Studien darüber, wie sich die Austeritätspolitik auf die Lebenschancen von Menschen in Griechenland ausgewirkt hat. Und, welche soziale Schlagseite dadrin vorhanden ist, wie das, sozusagen, das Lebensalter und die Erwartbarkeit von Krankheit und Tod beeinträchtigt hat. […] Und das lässt sich nicht, als technische Frage verhandeln, sondern, das ist eine eminent politische Frage darüber, wie Kosten, und wirklich, nicht nur ökonomische Kosten, sondern ganz existenzielle Kosten verteilt werden.”

(Thomas Biebricher, Professor u.a. für die Politische Theorie der Ökonomie – Die politische Theorie des #Neoliberalismus, Vortrag bei der Stiftung Demokratie Saarland, YouTube-Kanal der Stiftung Demokratie Saarland SDS, 4.4.2022)

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No 639

“>>Der Krieg in der Ukraine macht deutlich, dass wir alle unfähig sind, die Ziele und Grundsätze der UN-Charta durchzusetzen<<, sagte Brasiliens Präsident Lula da Silva bei der UN-Vollversammlung. Eine Kultur des Friedens sei unser aller Pflicht.
Die sich um die BRICS-Gruppe versammelnden Staaten versagen zunehmend die Gefolgschaft. Was US-Präsident Joe Biden in New York zu einer Erfolgsrede trieb, in der er Gemeinsamkeit beschwor. Während die UNO ihre Ziele zur Bekämpfung von Armut und Erderwärmung verfehlt, propagiert er >>einen Platz an der Sonne für alle<<. Nicht anhören wollte er die Eröffnungsrede des UN-Generalsekretärs António Guterres – in der dieser vor der Spaltung der Welt in West und Ost und Arm und Reich warnte. Der neue Multilateralismus ist für die einen Fluch, für die auf der anderen Seite des Grabens Hoffnung.”1

(Daniela Dahn, Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin – UN-Vollversammlung: Lula da Silvas und Joe Bidens Reden zeigen die Gräben dieser Welt, der Freitag, September 2023)

  1. Anm. JJ: Hier auch die Rede von Lula vor den UN am 19.9.23, übersetzt auf englisch []