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Makronom: “Zahlt Italiens Bevölkerung den Preis für die Sparpolitik?”

Franz Prante, Alessandro Bramucci und Achim Truger stellen in einem aufschlussreichen Artikel die Entwicklung der italienischen Gesundheitskapazitäten seit den 1990er Jahren dar und stellen Bezüge zu der Kürzungspolitik her, wie sie einerseits durch die EU-Konvergenzkriterien und später andererseits durch die Nachfinanzkrisen-Auflagen motiviert bis bedingt war, Zitat:

“Besonders tragisch erscheint in diesem Zusammenhang die erhebliche Verringerung der Zahl der pneumologischen Betten während der Phase des verschärften Sparkurses nach 2010 in Italien. Nach Angaben des italienischen Gesundheitsministeriums ist die Zahl der pneumologischen Betten von 4.414 im Jahr 2010 auf 3.573 im Jahr 2018 zurückgegangen, was einem Rückgang von 19 Prozent entspricht.”

“Zahlt Italiens Bevölkerung den Preis für die Sparpolitik?” (Makronom, 29.4.2020)

Wie leicht der Gesundheitssektor rigiden Kürzungsauflagen zum Opfer fällt, ließ sich besonders auch im Falle Griechenlands beobachten, das nun ein Mahnmal für Italien ist, sich nicht unter ESM-Konstruktionen zu begeben:

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“Wer das Ziel kennt, kann auch besser zielen” – Corona-Basics von Nguyen-Kim

Die Wissenschaftsjournalistin und YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim hat ein hervorragend klargeistiges und überaus allgemeinverständliches Video zu den Optionen im Umgang mit dem Corona-Virus angefertigt, das gerade “viraler” unterwegs ist, als das Virus selbst. Wer auch schon vorher der Überzeugung war, dass “flatten the curve” natürlich nicht das Ende vom Lied sein kann, bekommt hier noch einmal die grundlegenden Rahmendaten und Annahmen für unterschiedliche Szenarien vor Augen geführt und erhält eine Skizze vom Weg, der noch bevorsteht, denn, Zitat: “Wer das Ziel kennt, kann auch besser zielen”:

“Corona geht gerade erst los” (YouTube-Kanal maiLab, 2.4.2020)

Ergänzend sei noch auf den ebenfalls sehr erfolgreichen in zahlreichen Sprachen erschienenen Artikel auf “Medium” verwiesen, der die im Video beschriebene Gegenüberstellung von “flatten the curve” vs. “hammer and dance” vertieft, hier auf deutsch, hier auf englisch.

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Volker Quaschning: “Warum ist das Klimaschutzpaket zum Kotzen?”

Es sieht nicht gut aus in Sachen Klimaschutz (und damit Friedensschutz, Gerechtigkeitsschutz…), wenn wirtschaftlich mächtige Interessen auf ihren alten Kapitalstöcken lieber sitzenbleiben wollen, anstatt sich für Investitionen, Innovationen und politische Gestaltung einzusetzen, die – wenn schon nicht mehr vorausschauend – so doch klar den Ernst der Lage anerkennt. Es sieht besonders dann nicht gut aus, wenn sie sich dabei auf großkoalitionäre Regierungsverantwortliche verlassen können, die so sehr in ihrer Welt des Weiter so gefangen sind, dass sie den riesigen Raum des politisch Möglichen, der – würde man nur etwas suchen – eine reiche Mischung an Regeln, Investitionen, Markteingriffen, gescheiter Verteilungspolitik und makroökonomischem Sachverstand enthält, in ihrem Klimaschutzpäckchen stattdessen in profitverträgliche Maßnähmchen parzellieren, die weit weit weit hinter dem Parisabkommen zurückbleiben.

Volker Quaschning (Professor für Regenerative Energiesysteme) liefert in 15 Minuten einen gelungenen Bezugsrahmen, um genau diese verantwortungsflüchtige Parzellierung im Klimaschutzpäckchen erkennen zu lassen, empfehlens- und verbreitenswert:

“Warum ist das Klimaschutzpaket zum Kotzen?” (Video auf dem YouTube Kanal von Volker Quaschning, 27.9.2019)

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Internationaler Gerichtshof: UK muss Chagos-Archipel an Mauritius und die deportierte Bevölkerung zurückgeben

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Kolonialmacht Mitte der 1960er Jahre. Es sind Verhältnisse entstanden, in denen Sie von Ihren bisherigen imperialen Ansprüchen ablassen müssen. Die unterdrückten Länder haben sich erhoben, die Charta der UN steht ihnen entgegen und nun schaffen auch noch Resolutionen der Generalversammlung selbiger UN Völkergewohnheitsrecht in diesen Fragen,  so dass sich einiges gegen ihre lieb gewonnene Rolle als Kolonialherr richtet. Kurz: Es ist eine Welt entstanden, in der auch rohe Gewalt nicht mehr Erfolg dabei verspricht, dass Sie die “Besitzungen” einfach so behalten können. Sie stehen also kurz davor, die verbliebenen Länder und ihre Menschen in die rechtliche Unabhängigkeit zu entlassen. Eines dieser Territorien liegt nun jedoch zentral im Indischen Ozean und ihr bester Freund möchte es unbedingt nutzen, um darauf eine große Militärbasis zu errichten.

Was tun Sie also? Sie spalten das Territorium ab von der Kolonie, zu der es bisher rechtmäßig gehörte, kurz bevor diese unabhängig wird, entgegen wegweisender UN-Resolutionen, und vehementer Proteste der Betroffenen. Das Territorium belassen Sie dann in ihrem Besitz. Das Problem jedoch ist, dass rund 1500 Menschen auf der Inselgruppe wohnen. Und diese stehen Ihnen in vielfacher Hinsicht bei Ihrem Vorhaben im Wege und wollen auch nicht aus ihrem zu Hause weichen. Was tun Sie? Genau, Sie zwangsdeportieren diese Menschen und verbieten ihnen, jemals wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Weiterlesen

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EUSFTA- & EUSIPA-Abstimmung: EU-Parlament “empowert” Konzerne

Und wieder ist es passiert: Das Europäische Parlament hat den Einfluss der Konzerne zu Lasten des Einflusses der Staaten ausgebaut. Heute hatte es sowohl über das Handelsabkommen (EUSFTA), als auch über das Investitionsabkommen (EUSIPA) mit Singapur abzustimmen. Sowohl dem einen, wie dem anderen, hat es zugestimmt. Somit wird mit Ersterem nicht nur ein Aussschusssystem etabliert werden, das die Bestimmungen aus dem genannten Handelsabkommen jenseits parlamentarischer Zustimmung fortan auslegen und weiterentwickeln wird (“living agreement”) und sich als neue Super-Schnittstelle für Lobbygruppen etabliert (detaillierte Kritik siehe z.B. hier), mit dem Investitionsabkommen wird – genauso wie bei CETA – ein öffentliches Investitionsgerichtesystem (“Investment Court System”, ICS) installiert werden, in dem Konzerne gegen Staaten klagen können, wenn sie sich um die (erwarteten) Früchte ihrer Investitionen durch Gesetze oder andere Staatshandlungen beschnitten sehen. Ebenso wie bei den privaten Schiedsgerichten, die so sehr auf Widerstand gestoßen waren, dass man das ursprüngliche Konzept überarbeitet und umbenannt hat, weiterhin ein Klagesystem jedoch exklusiv für Investoren, außerhalb der üblichen Gerichtsbarkeit. Weiterlesen

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“Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!” – Initiative zur Abreise aus einem verrechtlichten Absurdistan

Irgendwie steht da was auf dem Kopf: Werden Mindestlöhne erhöht oder Ölförderlizenzen aufgrund von Rechtsbruch entzogen, müssen arme Staaten teils Milliardenbeträge an die sie verklagenden Konzerne zahlen (Stichworte: “Investitionsschutz”, “indirekte Enteignung” etc.). Vergiften Konzerne hingegen die Flüsse der Menschen beim Rohstoffabbau oder begraben ihre Dörfer unter Erdmassen durch Steinabbruch, werden die Opfer schlicht ignoriert.
Was unter dem Begriff der “Globalisierung” teils herbeigestaltet wurde, gleicht nicht selten dem, was man bei genauerem Hinsehen als Tyrannei bezeichnen müsste: Konzerne werden mit umfangreichen, privatisierten Rechten ausgestattet, die ihre Investitionen vor den Risiken und Zumutungen des Gemeinwesens “schützen” sollen. Menschenrechte einzuhalten, möchte man ihnen hingegen in den betroffenen Ländern nicht “zumuten”. Bloß keine Abkommen, die hier irgendetwas mit Sanktionen belegen! So setzt sich auch die Bundesregierung einerseits für Investitionsabkommen mit Sonderrechten im Sinne der Konzerne ein, während sie andererseits ein UN-Abkommen blockiert, das die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne auf internationaler Ebene beenden soll.

Attac und über 150 weitere europäische Organisationen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen versuchen, diese Logik der Tyrannei in ihr menschlich nachvollziehbares Gegenteil zu verkehren und wenden sich daher an alle, die verrechtlichtes Unrecht noch lange nicht für gerecht halten:
“Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!”

(Informationsmaterial und Hintergründe auch auf der Kampagnenseite von attac).

Nachtrag (25.1.):

Eine aktuelle Arte-Dokumentation beleuchtet das System der sog. ISDS, empfehlenswert, besonders da auch die Investoren ihre Sichtweisen darlegen: Die Macht der Konzerne (arte-Dokumentation von 2018)

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Norbert Häring: “Ein Gelbwestenprogramm für Deutschland 2019”

Dem Augenscheine nach könnte man sich darüber wundern, dass die technische Entwicklung kumulativ ist, sie also auf Vergangenem aufbaut, um Erkenntnisse systematisch zu einer Ausweitung von Problemlösungen zu nutzen, während die soziale Entwicklung in weiten Teilen durch die systematische Nichtnutzung von Erkenntnissen gekennzeichnet scheint. Die Menschheit kann ihre Apparate über die Grenzen des Sonnensystems hinausschicken, sie kann Hände transplantieren und Quantencomputer entwickeln, Altersarmut, Kinderarmut, steigende Obdachlosigkeit, eklatante Wohnungsnot, verfallende Infrastruktur und unzivilisierte Verteilungsverhältnisse etc. etc. bekämpfen kann sie gerade in den reichsten Ländern der Welt scheinbar nicht.

Sozialer Fortschritt (in gesellschaftlich relevanter Dimension) hat freilich den Nachteil, dass er in seiner Umsetzung auf den real gegebenen politischen Transmissionsriemen angewiesen ist, der – dazu braucht man mittlerweile keine Studien mehr – recht kaputt ist. Man muss sich also nicht wundern, wenn technischer und sozialer Fortschritt solch unterschiedliche Entwicklungskurven an den Tag legen. Soziologie und Geschichtsforschung der Zukunft werden vielleicht einst aufzeigen können, welche Faktoren hier eine Veränderung hätten bedingen können. Weiterlesen

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Einschätzungen und Beobachtungen zur Bewegung der “Gilets jaunes”

Erstaunlich der Blick nach Frankreich, in dem die Bewegung der “Gelbwesten” (“Gilets jaunes“) das ohnehin erschütterte politische System noch weiter erschüttert. Auch wir haben immer wieder Phänomene im Blog behandelt, die eine Krise der politischen Repräsentation aufzeigen, bei der es sich gleichwohl um ein internationales Phänomen handelt. Doch Frankreich sticht einmal mehr dadurch heraus, dass “die Straße” in Form der “Gelbwesten” wiederum ihren Ruf wahr machte und ihre wirklich auserlesenen Eliten jüngst zu Zugeständnissen zwang: Die Steuererhöung auf Benzin und Diesel wird für einige Monate ausgesetzt und auch bei Gas und Strom soll es keine Erhöhungen geben, wie die französische Regierung mitteilte.
Galt Präsident Macron noch vor einiger Zeit als der schillernde Hoffnungsträger, mindestens unter all jenen, die für soziale Verbesserungen weiterhin auf die “Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit” durch (die altbekannten) “Strukturreformen” setzen und die so weiterhin an die Weisheit der Verteilungsergebnisse “des Marktes” glauben, so besitzt der politische Innovator offenbar keine Strahlkraft mehr in Frankreichs breiter Bevölkerung (zurückhaltend formuliert).
Wir verweisen auf einen Artikel des französischen Autors Guillaume Paoli, der eine Einschätzung zur sozialen Zusammensetzung und zum politischen Hintergrund der “Gelbwesten” abgibt:

“Gelbwesten sehen rot: Der Benzinpreis war nur der Auslöser” (Mosaik-Blog, 4.12.2018)

Hier auch noch ein paar Beobachtungen und Einschätzungen unseres in Frankreich angesiedelten Lesers Andreas Meyer (Nachtrag: vielen Dank dafür an ihn!): Weiterlesen

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Friedrich Merz – Die Gelegenheit für einen wirklich sozialen und demokratischen Gegenentwurf

Nachdem nun die parteipolitische Landschaft auch auf der Insel der Exportglückseligen nicht zuletzt nach Hessen- und Bayernwahl gewaltig ins Rutschen geraten ist und die volksparteiliche Konsensfabrikation mit ihren Irreführungsbegriffen (“die Mitte”, “Verantwortung übernehmen”, “Stabilität” etc.) nicht mehr so problemlos gelingen will, wie dies die vielen Jahre zuvor der Fall war, besteht immerhin die Chance, dass endlich jene Widersprüche aufgearbeitet werden, die bislang unter der bleiernen Decke großkoalitionärer “Regierungsverantwortung” konserviert wurden. Die Agenda 2010 und ihre damalige mediale Begleitmusik, die das soziale Klima hierzulande vergiftete, scheint mittlerweile voll eingepreist in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Aufarbeiten? Wo kämen wir dahin! Wir waren doch erfolgreich! Und so heißt es seit langem auch, nur noch kleine Stellschräubchen zu drehen, eine Politik eben “mit Augenmaß”, in einem Land “in dem wir gut und gerne Leben” (CDU). All das, durch das viele der Betroffenen unheimlich frustriert wurden, indem ihre Lebenswirklichkeit aus der öffentlich konstruierten Erfolgssphäre einfach ausgeklammert und mit warmen Worten versehen wurde, könnte nun endlich an sein Ende gekommen sein. Keine “Stabilität” und keine “Politik mit Augenmaß” mehr als Chiffre für ein “Weiter so”. Es besteht nun zumindest die Chance auf eine gesellschaftliche Debatte, die klare Gegenentwürfe wieder aufleben lässt. Sozialabbau, Ungleichheitsanstieg und die “marktkonforme Demokratie” sind eben keine Fragen der technischen Umsetzung auf einem unvermeidlichen Kurs in die “Modernisierung”, es sind politische Grundsatzfragen, die davon handeln, welche Interessen, Wertvorstellungen und Weltbilder sich durchsetzen. Weiterlesen

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Zwei Meldungen, die den Zeitgeist und seine Verheerung in Europa auf den Punkt bringen

Manchmal genügen zwei jüngere Medien-Zitate, um den institutionell verankerten Zeitgeist und seine Nicht-Passung auf die Welt (sofern man eine friedliche und gerechte wünscht), deutlich zu machen:

Nummer 1:

Die EU kann Italien nicht jahrelang durchschleppen
[…] Noch hat dieser Staat eines der modernsten Rentengesetze der westlichen Welt. Weil die Menschen auch hier älter werden, ist der Ruhestand an die Lebenserwartung geknüpft. Wer heute jung ist, soll standardmäßig bis 71 arbeiten. Ja, die Rede ist tatsächlich von Italien. […]
Deshalb sollte es Europa der Koalition aus Lega und Cinque Stelle besonders schwer machen. […] So eine unübersichtliche Gemengelage wird es der Regierung in Rom erschweren, sich auf Kosten von Brüssel zu profilieren. Und langsam wird der Druck der Kapitalmärkte zu spüren sein. Dann gibt es zwei positive Szenarien. Nummer eins: Italiens Populisten erleben ihren Alexis-Tsipras-Moment. Der griechische Premier erkannte 2015 nach einem halben Jahr Wüten gegen Brüssel, dass die Griechen den Euro nicht verlassen wollten – und schwenkte auf Kompromiss. Szenario Nummer zwei: Die Italiener wählen die Populisten ab.
Szenario Nummer drei ist weniger positiv: Italiens Populisten setzen sich fest, bleiben populistisch – und prassen ihr Land aus der Euro-Zone. Noch gibt es Hoffnung, dass die Geschichte nicht so endet.”

(Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 17.10.2018)

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