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“Zeit für die Mutigen” – ein corbynesker Wind aus Bayern

“Der SPD ist ihre sozialdemokratische Erzählung abhanden gekommen. Sie wird von vielen Menschen nicht mehr als zuverlässiger Anwalt ihrer sozialen Interessen wahrgenommen. Denn im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich auch die Führungseliten der Partei vom Heilsversprechen des Neoliberalismus blenden lassen und wurden von dessen medialer und politischer Wirkungsmacht überwältigt und gefügig gemacht. Das ist der eigentliche Grund, warum die Sozialdemokratie in ganz Europa bislang keine eigene wirtschaftspolitische Antwort auf die Finanzkrise gefunden hat, die von ihren Verursachern zur Schuldenkrise umdefiniert wurde, und weshalb sie in fast allen Ländern Europas das Sparprogramm der Rechten zwar abschwächt, aber im Grunde unterstützt. Doch mit dieser Beihilfe an der neoliberalen Gesellschaftszerstörung untergräbt sie ihr eigenes Fundament. […]
Wir ordnen uns der Spielordnung nicht unter. Wir wollen nicht länger auf Einsicht an der Spitze warten, sondern den Wandel selbst herbeiführen. Wir wollen wieder wirkliche Sozialdemokraten sein. […]
Der ethische Anspruch sozial – demokratischer Außenpolitik ist internationale Solidarität und die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, nicht die Exportbilanz der deutschen Rüstungsindustrie. Außenpolitik ist Friedenssicherung und nicht Fortsetzung der Wirtschaftspolitik mit anderen Mitteln.”

(aus dem Manifest “An die Mutigen”, SPD-Basisinitiative „Zeit für die Mutigen“ [1], 2015)

Sigmar Gabriel als Sinnbild der SPD des 21. Jahrhunderts – vielmehr ihres Untergangs – hat auf dem Parteitag einmal mehr demonstriert, dass die Partei Steigbügelhalter der Konservativen und Erfüllungsgehilfe der Konzernwirtschaft geworden ist. Wirklich “die Partei”? Wer ist das eigentlich? Die professionellen Verfahren der Konsensfabrikation lassen immer wieder Führung und Funktionärsclique einerseits und Basis andererseits miteinander verwechseln. Machen wir uns nichts vor, der Neoliberalismus hat auch Einzug in Teile der Basis genommen, viele der Damaligen sind bereits abgesprungen [2]. Doch bin ich überzeugt, immer noch existiert unter den langjährigen Mitgliedern die Sehnsucht nach einer anderen Welt, und die Gewissheit, dass diese mit der aktuellen Führungsspitze [3] nicht zu realisieren sein wird.

In Bayern haben sich nun langjährige SPD-Mitglieder zusammengeschlossen, die ihre SPD zurückerobern wollen, damit die Partei nicht mehr durch das “Diktum der Alternativlosigkeit” und die “ideologische Entkernung” dem Ende entgegensehen muss. Ich kann sehr empfehlen, das Manifest der Gruppe zu lesen, es spricht sehr viele jener Punkte an, die auch in vielen Beiträgen unseres Blogs behandelt wurden, um die Dystopie unserer Zeit zu beschreiben. Diese engagierten Sozialdemokrat*innen (ausnahmsweise muss ich wohl keine Anführungszeichen setzen), wollen mit ihrem Manifest die SPD von innen heraus in grundlegender Weise verändern, sie wollen sie offenbar wieder zu einer friedlichen, sozialen und demokratischen Partei machen, und – sehr lobenswert – scheuen dabei keine klaren Worte und Analysen. Siehe dazu:

“An die Mutigen.” [1] (für einen weiteren Bericht zur Initiative siehe hier [4])

Wer die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse beobachtet, kann diesen Menschen nur wünschen, dass sie eine wirkliche Veränderung einleiten, da der Weg zu sozialfortschrittlichen Entwicklungen immer noch über die Parlamente führt, und dies der Ort ist, wo organisierte Interessen von unten sich wieder durchsetzen müssten, gegen die großen Interessen und Ideologien des vermachteten Zeitgeistes. Ich hoffe, dass die entschlossenen Sozialdemokrat*innen Erfolg haben werden und empfehle allen, das Manifest zu lesen und es weiter zu verbreiten.

Was in Großbritannien gelungen ist, dass nämlich das Flagschiff der linken Seite des gesellschaftlichen Spektrums mit Jeremy Corbyn sich zumindest gegen seine Kaperung durch die neoliberalen Kräfte zu wehren beginnt [5], kann man nur für jedes Land wünschen. Vorhandene Machtstrukturen dürfen nicht den Falschen überlassen werden, zumindest nicht leichtfertig, da diese schließlich schon genügend Mittel in ihren Händen halten. Linke, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen, Friedensbewegte, Ökologiebewegte etc. müssen zusammenarbeiten, wenn es darum geht, einer Welt zunehmender Ungleichheit, Ausbeutung, Entdemokratisierung, Umweltzerstörung organisiert in der Form neoliberaler Technokratie, die die Menschen in Apathie und Angst führt, etwas entgegenzusetzen.

Siehe abschließend noch das sympathische Video der Sozialdemokrat*innen aus Bayern:

(Quelle: “An die Mutigen. #rammbock” [6], YouTube-Kanal von der “SPD-Basisinitiative Zeit für die Mutigen”, Dezember 2015)