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Rechtspopulismus und “Terrorabwehr” im progressiven Vakuum – die Erkenntnisresistenz geht weiter

Es ist wirklich eine ungünstige Zeit dafür, dass konservatives Denken Europa fest im Griff hat. Und das hat es, sehr fest sogar, so fest, dass die meisten Menschen es nicht bemerken, sie wissen nämlich nicht mehr, wie ein progressives Pendant in ökonomischen, innen- und außenpolitischen Angelegenheiten aussähe. Zudem ist auf der dicken, verkrusteten Schicht von Überwachungs-, Konkurrenz- und Militarisierungsstaat eine glitzernde Schicht moderner Dienstleistungen, technischer Möglichkeiten und partieller Gleichberechtigungsentwicklungen aufgetragen. Frauen, Homosexuelle, ethnische Minderheiten… hier gab es tatsächlich deutlich progressive Entwicklungen, die jedoch zugleich die politische und gesellschaftliche Ausrichtung in Hinblick auf die identitätsfernen Themen, die klassischen Systemfragen, weitgehend verdeckt haben.

Dem Neoliberalismus ist es gelungen, diese Doppelschichtung politischer Entwicklung und damit die progressive Illusion zu erzeugen. Die Konservativen wurden an die langfristige Macht gespült, indem er die Sozialdemokratie ihnen nacheifern und damit sich selbst aufgeben ließ. In ökonomischer Hinsicht und damit auf der zentralen Handlungsebene verlor sie jegliche ernsthafte Gestaltungsmacht, und nun steht sie da und weiß den Konservativen (und ihrem Denken) nichts entgegenzusetzen als – in der deutschen Variante – den Ruf nach mehr Kitas, gleichgeschlechtlicher Ehe und ein bißchen mehr Steuern für Reiche.

Dabei müssen wir alle mitansehen, wie die tiefere Systemschicht – bei deren Veränderung die Sozialdemokratie Mittäter war, handele es sich nun um die neoliberale Ausgestaltung der EU-Verträge mit ihrem “Diktat der Märkte” (Stichworte: Maastricht- und Lissabon-Vertrag, die die Fiskalpolitik und somit staatliche Gestaltung stark einschränken und die EU zu einem Wettbewerbsregime zementieren), die Umkrempelung der Sozialstaatlichkeit (hierzulande: Agenda 2010, Hartz-Reform), Finanzmarktderegulierung mit Krisengarantie, oder ein Krisenregime mit Verarmungs- und Demütigungsgarantie (Stichwort: Troika) – die glitzernde progressive Schicht der Gleichberechtigungserscheinungen allmählich absorbiert. Was wir mit dem europaweiten Aufkommen des Rechtspopulismus an reaktionärer Energieentladung erleben, kann man lesen als den erneuten Vormarsch der Idee der Ungleichwertigkeit, die – auf ökonomischer Ebene bislang von den Märkten bestimmt – nun ihren Übertrag auf die gesellschaftliche Ebene findet, wo sie schließlich wieder durch die “Volksgemeinschaft” bestimmt wird, als die sich vornehmlich jene Menschen sehen wollen, die zu den “Modernisierungsverlierern” im Neoliberalismus gehören, jene Menschen, die der Möglichkeit einer würdigen Identitätsbildung beraubt wurden.

Kommen wir aber zurück zum konservativen Denken wie es dem jahrzehntenlangen Zeitgeist entspricht. Den Folgen dessen, was die imperialen Kriege des westlichen Triumphalismus1, sowie auch die armutskonservierende Handelspolitik2 an Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Demütigung in anderen Ländern gestiftet haben, nämlich das langfristige Fundament für Terrorismus als sich rasch verbreitende Idee, wird hierzulande nur mit immer größeren Dosen konservativen Denkens im Bereich “Sicherheit” begegnet. Wer sich “Merkels Maßnahmen zur Terrorabwehr”, von der Leyens Eifer zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und de Maizières “geplante Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland” anschaut, erhält ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man konsequent an Symptomen herumfuhrwerken kann, ohne auch nur in die geringste Nähe der tieferen Ursachen einer Grunderkrankung zu gelangen. Bei dem jüngsten Ideenkompendium in Sachen “Sicherheit” handelt es sich geradezu um ein Meisterwerk der Verdrängung gesellschaftlicher Probleme. Umso klarer legt es jedoch die konservative Psyche frei.

Nachdem eineinhalb Jahrzehnte des Abbaus von Bürgerrechten und Ausbaus von Überwachungsmethoden, für die wiederholt gegen das Grundgesetz verstoßen wurde3, Taten wie jene in Ansbach oder Würzburg nicht verhindern konnten, sollen nun in einer erneuten Runde von politischem Aktionismus Überwachung, Kontrolle und Militarisierung im Eilverfahren und ohne gesellschaftliche Debatte ausgebaut werden. De Maizière will das Bundesamt für “Verfassungsschutz” stärken und Datenschützer schwächen, er will mehr Videoüberwachung, mehr Biometrie, mehr Datenabgleich, mehr Bundeswehr an der Seite der Polizei, totales Wissen aller Sicherheitsbehörden über Ein- und Ausreise, mehr und schnellere Abschiebungen, mehr Strafen…

Die angedachten Maßnahmen von Merkel, von der Leyen und de Maizière spiegeln ein Kurzschlussdenken wider, das zugleich sein negatives Gesellschaftsbild offenbart. Es geht nicht im geringsten darum, einmal den Versuch zu unternehmen, solche Bedingungen auch nur zu formulieren, die die Anfälligkeit für und das Aufkommen von Terror- und Amokimpulsen minimieren, indem etwa eine inklusive und soziale Gesellschaft gefördert werden soll, die Lebensperspektiven für jede und jeden schafft, und nach innen und außen auf der konsequenten Einhaltung von Werten und der Förderung von Gerechtigkeit beruht, es geht um reine Machtbarkeitsphantasien, die die Auswirkungen gesellschaftlicher Probleme durch Technik und Psychotechnik vorhersagen und kontrollieren wollen.

In Anbetracht der Erkenntnisverweigerung auf oberster Entscheidungsebene bleibt einem also nichts anderes übrig als von unten in aller Beharrlichkeit jene Gegenanalysen zu verbreiten, die dem progressiven Vakuum etwas entgegensetzen. Ein schönes Beispiel hierfür lieferte jüngst Götz Eisenberg in der jungen Welt, der es wie üblich verstand, die Sedimentierung gesellschaftlicher Verhältnisse in der Psyche des Einzelnen aufzuzeigen. Darauf will ich noch gern verweisen:

“»Gestörte Einzeltäter«? – Amok und Terror könnten zur Signatur des ­neoliberalen Zeitalters werden” (junge Welt, 11.8.2016)

 

  1. Dazu allein der Verweis auf Michael Lüders: “Wer den Wind sät… Was westliche Politik im Orient anrichtet” []
  2. (Orwell’sches) Stichwort etwa: “economic partnership agreement” []
  3. BVerfG-Urteil zur Rasterfahndung (2006), zum Luftsicherheitsgesetz (2006 und 2013), zur Vorratsdatenspeicherung (2010), zur Anti-Terror-Datei (2013) []

Jascha Jaworski

3 Kommentare

  1. Sicherheit mit Kontrolle erzeugen zu wollen, wie bereits grotesk statt nur mehr tragisch!
    Hervorragender Beitrag, gehört von allen kopiert an vertrauenswürdige Bekannte weitergereicht!
    Erfreulich auch, dass in Leserbriefen der SZ (oft einzig Lesenswertes dieses Blattes) zuznehmend diese Richtung gedacht wird. Und noch ab und an Deutliches abgedruckt wird.
    Ich glaub ich sollte die Briefschreiber mal herausfinden und mit einem blogauszug per Post erfreuen.
    Götz Eisenberg könnte den Konjunktiv doch weglassen, Amok und Terror sind sie nicht schon Signatur geworden, für unsere neoliberal durchdrungene Zeit.
    “Die einzig denkbare Amok-Prävention wäre eine soziale.
    Wir müssten der Demontage des Sozial­staats Einhalt gebieten und Solidarität an die Stelle des entfesselten Konkurrenzkampfes setzen. Es gilt, gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen, in denen der Mensch dem Menschen kein Wolf mehr und Freundlichkeit der vorherrschende Kommunikationsstil ist. Das würde langfristig den Nährboden austrocknen, auf dem Amoklauf und Terrorismus gedeihen. Die Menschen des kapitalistischen Zeitalters leben in einem Universum permanenter Verteidigung und Aggression und werden von der Angst umgetrieben, aus der Gesellschaft, ja aus der Welt herauszufallen und einen sozialen Tod zu sterben. Wer seine Arbeit verliert, verliert ja weit mehr als nur die. Er büßt seine Gesellschaftlichkeit ein, das Gefühl gebraucht zu werden und etwas wert zu sein. Wer so von der Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess ausgeschlossen wird, kann leicht fallen. Welche Netze halten seinen Sturz auf? Da ist kein Glaube mehr, der tröstet, kein gewerkschaftlich-politisches Milieu, das den Verlust abfedert und in gemeinsamen Widerstand überführt. Schwere Persönlichkeitsstörungen, die im geregelten Alltag und der beruflichen Identität leidlich eingekapselt waren, können nun aufbrechen. Gelingt der Rückweg in die Normalität nicht, wird der aus der Welt gefallene Mensch mehr und mehr von seiner Tagtraumwelt aufgesogen. Er brütet über seinen inneren Unglücksvorräten und droht in den Bann einer destruktiven Dynamik zu geraten, die sich schließlich suizidal oder amokartig entladen kann. Wenn der mit den Zwängen der weltweiten Konkurrenz begründete Trend zu Rationalisierung und Stellenabbau sich fortsetzt, große Teile der Jugend ohne jede Perspektive bleiben und ältere, leistungsschwächere, psychisch labile und als »unflexibel« gebrandmarkte Menschen weiter aus dem Arbeitsprozess heraus- und in eine abseitige Position hineingedrängt werden, droht der Amoklauf zur kriminellen Signatur des neoliberalen Zeitalters zu werden.”

  2. L. Wittgenstein: ” Postum möchte ich sagen, dass Europa die Schwäre der Welt ist, dass ihr in Amerika, die ihr das Beste, was Europa zu bieten hat, genommen habt und hofftet, dem Schlimmsten zu entgehen, im Dunkeln pfeift. All euer gottgesättigtes Denken bildet die religiösen Figuren nach, die europäische Kleriker aus der Wahnwelt des vorderen Orients der Antike geformt haben, all eure sozialen Reibungen sind das Erbe der kolonialistischen, versklavenden Wirtschaftssysteme europäischer Geschäftsleute, all eure metaphysischen Probleme haben europäische Intellektuelle für euch ausgeheckt, und nun seid ihr über den Ozean gekommen, und in zwei Weltkriege geraten, die europäische Politiker entfacht haben, wodurch ihr in eurer Republik eben jene militaristische Staatsgesinnung etabliert habt, die unsere Städte seid Hadrians Zeiten zum Lodern bringt.”
    Wie sagte Ingeborg Bachmann, eine Schülerin Wittgensteins? “Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont……… Es kommen härtere Tage.”

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