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No 334

“Die kulturelle Hegemonie der neuen Mittelklasse blendet die gesellschaftlichen, sozialen Bedingungen der Selbstentfaltung weitgehend aus. […] Wer in der Vorstellung lebt, sein Dasein praktisch allein aus eigener Kraft zu gestalten, geht sowohl zu gemeinsamen Normen des Zusammenlebens als auch zur kollektiven Absicherung gegen Lebensrisiken eher auf Distanz. Und er ignoriert die Tatsache, dass das gesetzliche Umfeld für seine Selbstentfaltung mehr von den Interessen einer dünnen, wohlhabenden und einflussreichen Oberschicht bestimmt wird als von ihm selbst. So erfreulich der Zugewinn an Freiheit, Vielfalt und Toleranz auch ist, so sehr spiegelt sich in den nun vorherrschenden Idealen auch das neoliberale Kapitalismus-Modell. Nichts kann dieses Modell besser gebrauchen als Menschen, die es schick finden, auf sich allein gestellt zu sein, und – bei aller sozialen Sensibilität – mit staatlicher Regulierung wenig anfangen können. Fast scheint sich das Wort des Sozialpsychologen Erich Fromm zu bestätigen: Das kapitalistische System bringe uns dazu, >>dass wir tun wollen, was wir tun sollen<<. Und Jamaika? Könnte zum politischen Ausdruck dieser kulturell vorherrschenden Klasse werden.”

(Stephan Hebel, Journalist – Jamaika: Die neoliberale Individualisierungs-Koalition [1], Frankfurter Rundschau, 16.11.2017)1 [2]

  1. Was sich im Bewusstsein dieser “neuen Mittelklasse”, die Hebel beschreibt, wohl beobachten lässt, ist ein Phänomen, für das besonders die akademisch geprägte Bevölkerung in Deutschland anfällig zu sein scheint. Hierzulande wurden bereits in den 1980er Jahren innerhalb der soziologischen Debatte Thesen rund um die Auflösung von Klassen und Schichten, sowie die allgemeine Individualisierung der Lebensverhältnisse laut. Hier wurde teils zwar eingeräumt, dass große soziale Ungleichheiten fortbestehen, man diese jedoch auf individuelle Faktoren statt auf Wirksamkeit von Schicht- und Klassenstrukturen zurückführen müsse. Die Befunde in Bezug auf schichttypisch verteilte Lebenschancen sprechen dabei eine ganz andere Sprache [3]. Unter der Oberfläche pluralisierter Lebensverhältnisse liegt die Tiefenstruktur sozialer Schichten, von denen die einen Benachteiligungen und Ausgrenzungen ebenso in sich bündeln, wie die anderen Vorteile und Anrechte. [ [4]]