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No 341

“Gleichzeitig zeichnet sich schon länger ab, dass hier wie auch ganz besonders in der >>konservativen Mitte<< der Gesellschaft Aggressionen gegen Minderheiten zunehmen (Heitmeyer 2012: 15 – 41; Schulte von Drach 2017). Die Vorbehalte Vieler (nicht nur am rechtsextremen Rand) gegen verstärkte Zuwanderung waren mit ein Grund dafür, dass das Thema >>Innere Sicherheit<< im letzten Bundestagswahlkampf vieles andere überstrahlte – auch Fragen, die für die Lebensverhältnisse im zeitgenössischen Wohlfahrtskapitalismus essentieller sind. Wir argumentieren im Folgenden, dass alle diese Dynamiken maßgeblich mit Ängsten zusammenhängen, die zu einem beträchtlichen Anteil sozialpolitisch generiert worden sind. Bezug nehmend auf eine schon länger geführte und jüngst vertiefte Debatte (Bude 2014; Burzan 2015; Betzelt/Bode 2018; Dehne 2017) eruiert dieser Beitrag die Hintergründe und Konsequenzen dieses Phänomens. Unsere zentrale These lautet, dass Ängste die Durchsetzung von Entsicherungspolitiken erleichtert haben, jedoch in erratische Reaktionen umschlagen können, mit schwerwiegenden Folgen für die soziale und politische Integration. […]
Die doppelte Dynamik der Angstmobilisierung lässt sich zunächst am Beispiel der Arbeitsmarktreformen im Kontext der Agenda 2010 illustrieren. Hier ist zunächst offensichtlich, dass öffentliche Diskurse mit Drohungen durchsetzt waren. Symptomatisch ist die berühmte Agenda-Rede von Kanzler Schröder im Bundestag: >>Entweder wir modernisieren oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen<< (Schröder, 14.3.2003). Die Drohkulisse bestand in künftig noch größeren Wohlstandsverlusten im Fall von Reformverweigerung. Dies wurde durch eine Medienkampagne begleitet, die Leistungsmissbrauch anprangerte und durch die damit verbundene (verschärfte) Delegitimierung des Arbeitslosigkeitsstatus letzteren besonders bedrohlich gemacht hat. Stigmatisierung wird hier zu einem zusätzlichen >>Angstfaktor<<.”1 [1]

(Sigrid Betzelt und Ingo Bode – Angst im Sozialstaat – Hintergründe und Konsequenzen [2], WISO direkt 38/2017, Friedrich-Ebert-Stiftung, 2017)

  1. Frau Betzelt und Herr Bode verbinden in diesem neuen Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung das, was eigentlich für immer mehr Menschen offensichtlich sein sollte, was durch zahlreiche empirische Befunde unterlegt ist, und was auch mit ein wenig historischem Blick selbst für Konservative verstehbar sein sollte: der Zusammenhang zwischen Abwertungspropaganda und Angstmobilisierung, der Durchsetzung marktliberaler, entsichernder Reformen und der Aufstieg des Rechtspopulismus durch Kanalisierung der geradezu herbeigerufenen Gefühlsaufwallungen. Wir hatten die Agenda-2010-Jahre unter diesem Aspekt bereits schon häufiger aufgegriffen, siehe z.B. “Die Agenda 2010 und der eigentliche Ort notwendiger Reformen” [3] (erstveröffentlicht auf Makroskop [4], Juli 2016). Es wäre nur schön, wenn sich die Erkenntnisse auch soweit in der Sozialdemokratie durchsetzen würden, dass sich einerseits ihre Auflösung, andererseits jedoch das Abdriften in ein rechtskonservatives Trauerland (das zudem keine Lösungen für lang geschaffene Probleme bereithält und sich somit nur immer weiter radikalisiert) verhindern ließen. [ [5]]