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No 345

“Und überall wird nach neuen Losungen gesucht. Überall? Na ja, fast. Außer, klar, in Nordkorea. Und bei uns. Kein Scherz. In kaum einem anderen Land poltert das Establishment der Ökonomie so eifrig gegen alles, was die alte Lehre infrage stellt – und gegen jeden, der das wagt. Mit zunehmend bizarren und für uns gefährlichen Auswüchsen.
– Das Auseinanderdriften von Einkommen? In Deutschland alles halb so wild, befinden unsere Wirtschaftsweisen. Gegen viel Evidenz. Während andere das Phänomen bis in Details auszuleuchten versuchen, um herauszubekommen, was dagegen hilft.
– Dass Globalisierung zu viele Verlierer schafft? Papperlapapp, tönt es aus den Hans-Werner-Sinn-Leistungszentren. Der Saldo ist positiv. Abweichende Einzelfälle: Pech.
– Mehr Geld für öffentliche Einrichtungen, Schulen, Unis, Straßen, Schienen, Klimaschutz? Fehldiagnose – so die Sachverständigen. Und wenn schon, soll’s der Markt machen. Und wenn der Markt es nicht macht, ist, klar, der Staat schuld. Steht so in der Bibel, äh, im Lehrbuch. Seit mehr als 30 Jahren. Wer anderes denkt, mit dem muss irgendwas nicht stimmen – der ist, ach, fehlgelenkt. Seit Kurzem ein Massenphänomen.”1

(Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist, Deutschland allein zu Haus, SpiegelOnline, 16.6.2017)

  1. Es ist tatsächlich sagenhaft, welche Dogmen aus Richtung der “Wissenschaft” seit Jahrzehnten in die Politik einfließen. Dankbar aufgenommen, versteht sich, solange sich nur die Demontage des Sozialstaats und die Freischaltung der Marktkräfte damit rechtfertigen ließen. Dabei ging es, es lässt sich problemlos nachlesen, in erster Linie darum, die Demokratie in die Fesseln dessen zu legen, was als “notwendig” vorgegeben werden konnte, und was sich plötzlich mit dem Begriff “ökonomische Vernunft” belegen ließ (übersetze: Bedienung von Partikularinteressen). Ich wiederhole mich: Nirgendwo ist die Kombination aus Ideologie (derjenigen, die den Ton angeben), Relevanz (für diejenigen, die es betrifft) und Desinteresse/Wissensmangel (derjenigen, die ihr Wort dagegen einbringen könnten) wohl ausgeprägter, als auf dem ökonomischen Feld. Das Zentrum des Problems sind jedoch m.E.n. die politischen Parteien, und zwar jene, die sich selbst als “links der Mitte” wähnen, in Wahrheit jedoch voll im konservativen Weltbild mit seinen ökonomischen Fehlkonzeptionen versunken sind. Sie lassen das System damit allmählich gegen die Wand fahren, indem sie Konkurrenzdenken, Knappheitsüberzeugungen, Ausgrenzungserlebnisse und Angst vor dem Abstieg um sich greifen lassen (gar schüren), was sich als Brandbeschleuniger für die Rechtspopulisten darstellt. Und dabei sind sie unverbesserlich (siehe aktuell die Koalitionsverhandungen der SPD). Der Gegenentwurf zur bloßen Problemverwaltung für die Sozialdemokratie als Flaggschiff der Kräfte, die wirklich “links der Mitte” stehen könnten, ist dabei wieder und wieder dargestellt worden, kurz  und treffend z.B. von Kai Eicker-Wolff und Patrick Schreiner: “Fünf wirtschaftspolitische Kriterien, an denen eine anti-neoliberale Politik der SPD zu messen wäre” (Blickpunkt WiSo, 14.12.2017). []

Jascha Jaworski

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