Aus aktuellem Anlass zur Eskalationsdynamik in Syrien:
“Heute ist die Situation völlig anders. Wir haben unterschiedliche Spieler in dieser wirklich komplizierten Situation, wir haben einen unerfahrenen französischen Präsidenten, der sich an der Eskalation beteiligt. Wir haben eine britische Ministerpräsidentin, die innenpolitisch unter starkem Druck steht, und wir haben einen erratischen amerikanischen Präsidenten, der nicht nur droht, der nuklearstrategischen Supermacht Russland, sondern ankündigt, einen Schlag ankündigt. Das ist eine völlig neue Qualität in den internationalen Beziehungen. Und wir haben eine Bundesregierung, die verbal diesen Konflikt, diesen enstehenden Konflikt mit anheizt und sich nicht darum bemüht, für Zurückhaltung zu sorgen, für Mäßigung. Die nicht dazu beiträgt, das Vertrauen zwischen den Großmächten wieder aufzubauen. Das ist eine sehr sehr bedauerliche Situation.”
(Harald Kujat, Generalinspekteur der Bundeswehr a.D. im Phönix Tagesgespräch, 12.4.2018)
Egal, welche Zuweisungen von Verantwortlichkeiten man im Einzelnen im Syrien-Krieg vornimmt, deutlich ist, dass die Ankündigungen und Drohungen von Trump (“Mach dich bereit Russland, denn sie werden kommen, nett und neu und >>klug<<!”) eine kritische Situation in der Geschichte darstellen. Anstatt mit an der Eskalationsschraube zu drehen, ist es dringend geboten, dass die Bundesregierung durch Vermittlungsbemühungen alles unternimmt, um die akute Gefahr der Kriegseskalation zwischen den Großmächten einzudämmen. In der Ukraine-Krise hatten die Minsk-Verhandlungen bereits einmal gezeigt, dass die Bundesregierung eine vermittelnde Rolle auch in sehr heiklen Zeiten einnehmen kann.
Wer dem Geschehen nicht einfach zuschauen will, der oder die kann z.B. Bundestagsabgeordnete der eigenen Region anschreiben mit der Aufforderung, die Bundesregierung zu einer vermittelnden Rolle zu bewegen. Des Weiteren empfehlen sich Kundgebungen gegen den Krieg, die durch örtliche Gruppen z.B. aus Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, NGOs, anderen Organisationen und Einzelpersonen etwa unter dem Motto “Nein zur Eskalation: Gespräche statt Raketen für Syrien” zu einer vermittelnden Rolle der Bundesregierung aufrufen. Im Raum Kiel z.B. wird es am Samstag eine Demonstration1 unterschiedlicher Gruppen (attac Kiel, DGB Kiel, Kieler Friedensforum u.a.) geben. Schauen Sie doch, was sich in Ihrer Region ergibt, bzw. regen Sie andere in Ihrer Region zu Kundgebungen und Organisierung gegen die Eskalationsdynamik an!
(Quelle: “Tagesgespräch mit Harald Kujat zur Verschärfung der Lage in Syrien am 12.04.18”, YouTube-Kanal von phoenix)
- 14.4., 15 Uhr, Asmus-Bremer-Platz Kiel [↩]
Die Zuschauerin
Eine alte frau am fenster
hob verstohlen den vorhang
auf die straße zu spähen
zur menschenkette
die sich gegen den krieg stellt
Sie mochte wohl dabei sein
die alte frau
aber es waren vier stockwerke
und sieben wohnungsparteien
man konnte sie sehen
Die alte frau hat angst gehabt
achtundsiebzig jahre lang
hat man sie verhetzt
noch reicht der mut nicht
noch schläft ihr zorn
Eines tages
geht sie weg von ihrem fenster
und kommt langsam die treppe herunter
ohne vorhang nur mit sich
ihre füße
werden auf ihr herz hören
eines tages
Dorothee Sölle
(aus: „zivil und ungehorsam“ im Band „Das Brot der Ermutigung“)
Im krieg ist die wahrheit das erste opfer
Wir werden belolgen
unsere augen dürfen die kinder nicht sehen
zerfetzt und verstümmelt in diesem krieg
die vollendete flugbahn der geschosse
sollen wir bewundern
wir werden belogen
Aber du siehst die opfer und gibst uns andere augen
deine wahrheit macht frei
und schon die suche nach wahrheit
schafft uns den raum zu atmen
Wir sehen keinen weg
außer dem an den alle glauben
die blutstraße der gewalt
unsere analysen stranden
an dem tod den wir
gesucht und gefördert
erforscht und erprobt
bezahlt und exportiert haben
wir sehen keinen weg
Aber du bist der weg
du widerstehst den mördern
im schweigen und mahnen
stehst du mitten unter uns
und lehrst das nein
Wir werden erpresst
die gewalt ist mit uns verbündet
mitgegangen im konsum
mitgefangen in der verteidigung von öl
mitgehangen in allem
die jetzt an der gewalt ersticken
wir werden erpresst
Aber du bist freiheit
und versprichst noch immer
du wirst nicht morden
das leben könnt ihr wählen
du gibst nicht auf
warum dann wir
Dorothee Sölle
(aus: „loben ohne lügen“ im Band „Das Brot der Ermutigung“)