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No 362

“Ja, es muss jemand einen Kredit aufnehmen und mehr Geld für Güter und Dienste ausgeben, als er selbst eingenommen hat: Jemand muss neue Schulden machen. Denn wenn alle nur so viel ausgeben, wie sie einnehmen, bleibt die Wirtschaft stehen. Geben bestimmte Gruppen sogar weniger aus, als sie einnehmen, ohne dass andere entsprechend entsparen oder sich verschulden, bricht die Wirtschaft weiter ein.
Diese Logik schließt alle anderen Maßnahmen ein, insbesondere die berühmten Strukturreformen. Was immer man tut: Kommt es nicht gleichzeitig zu den oben beschriebenen Impulsen via höhere Schulden, läuft jede Reform ins Leere. Nun muss man die Schulden nicht selbst machen. Man kann darauf bauen, wie Deutschland das zu Anfang der 2000er Jahre getan hat, dass andere Schulden machen, die einem selbst zugutekommen. Das kann gelingen, wenn man selbst den Gürtel enger schnallt und so billig wird, dass die Menschen im Ausland vermehrt die eigenen Güter kaufen und dafür Kredite aufnehmen.
Diesen Weg wäre Italien als exportstarke Nation in den vergangenen Jahren gerne auch gegangen. Doch dieser Weg ist Mitgliedern der Eurozone weitgehend verschlossen – von der Nation, die sich mit Hilfe ihres Lohndumpings auf den globalen Märkten breitgemacht hat und den höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt aufweist: Deutschland. […]
Die hier gezeigte Logik ist vollkommen unabhängig vom Schuldenstand. Ob man wie Italien 130 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausweist oder, wie Japan, über 250 Prozent, spielt keine Rolle. Der Impuls kommt immer nur von neuen Schulden. Deutschland sollte das wissen, baut es doch fast jedes Jahr darauf, dass zur Anregung seines Wachstums die neuen Schulden des Auslandes in Form steigender Leistungsbilanzüberschüsse noch einmal zunehmen.”1

(Heiner Flassbeck, ehemals Staatssekretär im Finanzministerium und Chefvolkswirt der UNCTAD, Italiens deutsche Falle, Der Freitag, Juni 2018)

  1. Anm. JJ: Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Wirtschaft ein Kreislauf ist, in dem die Ausgaben aus der letzten ‘Runde’ für den Kauf von Waren und Dienstleistungen zugleich jene Einnahmen darstellen, die wiederum als Ausgaben für die aktuelle ‘Runde’ dienen können. Die Ausgaben und somit die Wirtschaftsleistung können also nur steigen, wenn Akteure über ihr bisheriges Einkommen hinausgehen und sich verschulden, so dass sie dadurch am Ende jedoch auch wieder ein höheres Einkommen im dann vergrößerten Wirtschaftskreislauf erzielen. Zusätzlich ist noch das Problem der Sparlücke zu lösen, die sich durch die privaten Haushalte ergibt, wenn diese dem Wirtschaftskreislauf per Saldo Geld entziehen (Sparen), was nur dadurch ausgeglichen werden kann, wenn sich Unternehmen, Staat oder das Ausland per Saldo verschulden. Dies sind Logiken, die in der Öffentlichkeit nahezu nicht zur Kenntnis genommen werden. []

Jascha Jaworski

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