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No 364

“Willy Brandt galt auch nie als Sozialist. Aber noch 1991 hat er Folgendes gesagt: Es werde sich noch >>als geschichtlicher Irrtum erweisen, das dem demokratischen Sozialismus zugrundeliegende Ideal – die Zusammenfügung von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – als überholt abtun zu wollen.<< Da gebe ich ihm vollkommen Recht. Aber genau diesem geschichtlichen Irrtum sind die politische Elite und gerade die moderate Linke doch zum Opfer gefallen. Zuletzt gab es fast nur noch Rufe nach mehr Liberalisierung. Aber wird Solidarität in den Parteizentralen der linken Mitte noch als die entscheidende Antriebskraft verstanden? Gerade eher nicht. Und das nenne ich die >>liberale Illusion<<. Mehr als diffusen Linksliberalismus haben weite Teile der linken Mitte gerade nicht mehr zu bieten. […] Die linke Mitte konnte zuletzt doch gar nicht mehr richtig angeben, für wen sie Politik machen will. Als postmaterialistische Partei, als Grüne 2.0, kann keine linke Volkspartei funktionieren. […] Die linke Mitte muss dementgegen etwa ernstzunehmende Angebote für Menschen aus dem >>Dienstleistungsprekariat<< haben. Und für all jene, die sich Sorgen machen, angesichts der Digitalisierung und der Globalisierung. Wir müssen deren Schutzmacht sein und nicht die Co-Manager des Kapitals. Und wenn wir etwas für die Menschen tun, die sich >>Sorgen<< machen, dann werden uns auch jene ökonomisch besser Situierten wählen, die aus Gründen des Zusammenhalts befürworten, dass wir etwas für diese Menschen tun. Zudem sind es doch auch Teile der Mittelschicht satt, dass sie den Staat finanzieren sollen und die Reichen sich einen schlanken Fuß machen. Das muss man aussprechen. So kann ein Aufbruch gelingen.”1 [1]

(Nils Heisterhagen, Grundsatzreferent der SPD-Landtagsfraktion RP und Autor von “Die liberale Illusion” [2]Die liberale Illusion – Warum die linke Mitte die Systemkritik wiederentdecken sollte [3], IPG-Journal, 16.4.2018)

  1. Nils Heisterhagen trifft m.E.n. mit vielen seiner Analysen den Nagel auf den Kopf, indem er den liberalen Elitenkonsens herausarbeitet, der zwar über lange Jahre für die schillernde Verpackung einer liberal-weltgewandten Gesellschaft sorgen konnte, während der Inhalt durch zunehmende Ungleichheit, Entsolidarisierung und Machtanballung gekennzeichnet war. Doch, wie Willy Brandt und andere es gesagt haben: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gehören zusammen. Weil dies von weiten Teilen des linken politischen Spektrums verdrängt wurde, dürfen wir nun mit ansehen, wie die schillernde Verpackung mehr und mehr entsorgt wird und nur noch der hässliche Inhalt übrig bleibt: Ungleichheit, Entsolidarisierung und Machtanballung (von den Dauerverbrechen gegenüber den ärmeren Ländern dieser Welt sei hier erst gar nicht die Rede). Die jüngste Umfrage in Sachen “Ankerzentren” [4] zeigt genau dies. Die Rechtspopulisten haben es leicht, den besonders betroffenen Menschen zu vermitteln, es wäre in erster Linie die Verpackung, die sie schädigt, dabei war sie hauptsächlich Mittel zum Zweck, u.a. um den (machtanballenden, marktradikalen) Inhalt unter die politisch relevanten Bevölkerungsteile zu bringen (so etwa Teile der aufgestiegenen 68er). Am eigentlich schädlichen Inhalt will nun indes natürlich die Rechte nichts ändern. So kippt der “progressive Neoliberalismus”, wie Nancy Fraser es für die USA herausgearbeitet hat [5], nun auch in Deutschland Stück für Stück in den Trumpismus. Der bewusstseinsverfälschten, realitätsdesorientierten Linken sei Dank. [ [6]]