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Venezuela: Wirtschaftliche & politische Hintergründe zur aktuellen Krisen-Situation werden massenmedial ignoriert

Als ich am Samstag-Abend in der Sportschau einen Beitrag über Venezuela gesehen hatte, musste ich mich mächtig ärgern (NACHTRAG: Kurz nach Veröffentlichung meines Artikels erschien auf tagesschau.de gleich der nächste simplifizierte Artikel). Wirklich oberflächliche Behauptungen vermittelten mir den Eindruck, dass beginnend mit der Politik von Hugo Chavez ab 1998 alle Probleme begannen. Die Regierung von Chavez ist sicherlich nicht das “Gelbe vom Ei”, jedoch sollte man auch die Zustände vor Chavez’ Regierungsantritt und seine Erfolge in der Armutsbekämpfung und der Verstaatlichung der Ölindustrie kennen. Dass man der Regierung in dem Beitrag vorwirft, sie solle anstatt Baseball lieber ins Gesundheitssystem oder in Lebensmittel investieren, ist verständlich, aber in Anbetracht der Vorgeschichte, des venezuelanischen Gesamtbudgets und der oft unberücksichtigten Zustände und Ereignisse anderswo (Südeuropa, Jemen & Syrien zum Beispiel) sehr kleinlich, fast schon heuchlerisch.

Anstatt alle Probleme willkürlich der venezuelanischen Politik zuzuschieben, die gar kein Interesse an der jetzigen Krisensituation haben kann, möchte ich darstellen, welche Ursachen die aktuelle Krise in Venezuela meiner Ansicht nach hat, und was man gegen diese tun kann.

Die wirtschaftliche Situation in Venezuela

Venezuela ist ein Land, das sehr große Ölreserven hat und auch schon lange Öl fördert. Damit waren bereits in den 80ern und 90ern Krisen verbunden, auf die jedoch nicht genauer eingegangen werden soll. Nach dem Amtsantritt von Hugo Chavez wurde die Ölproduktion verstaatlicht und ein großer Teil der Einnahmen genutzt, um soziale Programme für den armen Teil der Bevölkerung zu finanzieren. Dies gelang im Großen und Ganzen.

Allerdings blieb die Abhängigkeit vom Erdölexport, die durch wirtschaftliche Versäumnisse nicht behoben wurde. Als Folge der einseitigen massiven Exporterlöse ist auch der Wechselkurs des Bolivar in der Regel relativ zur sonstigen Wertschöpfung stark gewesen. Das hat im Laufe der Jahrzehnte, also schon vor der Regierung von Chavez, dazu geführt, dass der Import von Lebensmitteln und allem anderen sehr attraktiv und (zum Teil) auch mittelfristig notwendig ist. Eine eigene Industrie oder anderweitige technologische Wertschöpfung existieren kaum, weil es durch den Wechselkurs kaum Anreize zum Aufbau einer solchen gegeben hat (Hier eine Auflistung der Handelsverhältnisse). Da der Ölpreis durch stärkere Förderungsänderungen, die Weltwirtschaft und darauf aufbauende starke Spekulationen jedoch erheblich schwanken, hat er auch starke Auswirkungen auf die reale Wirtschaftsentwicklung in Venezuela und den Wechselkurs des Bolivar.

Beginn und Verlauf der Währungskrise

Ab August 2012 begann Venezuelas Bolivar ggü. dem US-Dollar1 relativ stetig an Wert zu verlieren, bis er sich Anfang 2014 vorerst wieder stabilisierte. Ein auffälliger wirtschaftlicher Grund konnte von mir dafür nicht gefunden werden. Interessant ist jedoch, dass Mitt Romney im US-Wahlkampf 2012 bereits im Juli Obama für seine Haltung gegenüber Venezuela kritisierte. In den Monaten danach, insbesondere nach der Wahl in den USA und in Venezuela, änderte Obama seine Haltung, worauf sich die Beziehungen deutlich verschlechterten. Schon im Mai 2013 bezeichnete der nach Chavez Tot an die Macht gekommene neue Präsident Maduro Herrn Obama als Teufel. Im Laufe des Jahres sperrten die USA unter anderem auch kurzzeitig den Luftraum für Maduro.

Als ab September 2014 der Öl-Preis in den Keller fiel, drückte das auch den Bolivar weiter massiv nach unten. Ab Dezember 2014 bereiteten die USA dann Sanktionen vor, die Anfang März 2015 umgesetzt wurden, und sofort eine spürbare Reaktion des Wechselkurses hervorriefen. Die Beziehungen mit den USA spannten sich weiter an. Ab Mitte 2015 stabilisierte sich der Kurs bis zum September 2016 einigermaßen.

Ab September 2016 erfolgten dann die ersten Massendemonstrationen sowie ein von der Opposition ausgerufener Generalstreik, nachdem die Möglichkeit einer Wahl zur Absetzung Maduros aus durchaus fragwürdigen Gründen ausgesetzt wurde. Die Wahl von Trump im November 2016 könnte zusätzliche Spekulationen über eine Verschärfung der Beziehungen hervorgebracht haben. Dann folgten zahlreiche Proteste in der ersten Jahreshälfte 2017. Ab Juli 2017 trug die erneut sehr fragwürdige geplante Einberufung der verfassungsgebenden Versammlung von Präsident Maduro dazu bei, dass sich die Regierung umfangreich internationale Kritik einfing und weitere Proteste stattfanden. Nur einige Zeit später verschärften die USA ihre Sanktionen gegenüber dem Land, die seitdem auch Finanzsanktionen umfassen. Im Mai 2018 folgte eine erneute Verschärfung, die es US-Firmen und -Bürgern seitdem verbietet, dem Staat Venezuela oder seinem Ölkonzern Geld zu leihen.

Dazu kommt, dass in diesem anhaltenden Abwertungsprozess auch das allgemeine Vertrauen in die Währung fiel. Bolivar wurden massiv illegal in US-Dollar getauscht und Spekulationen auf die Abwertung dürften die Abwertungen während aller Phasen ebenfalls deutlich verstärkt haben. Versuche der Arbeitnehmer (bzw. Gewerkschaften), Unternehmen und des Staats diese Mehrkosten durch Lohnerhöhungen auszugleichen, führten nur zu einer Verstetigung, weil die Wirtschaft dadurch natürlich nicht mehr Lebensmittel produzierte, sondern die Preise anhob, um die höheren Einkommen zu bezahlen.

Von Mitte 2012 bis Mitte 2018 wertete der Bolivar um mehr als das 100.000-fache ab und verteuerte die so wichtigen Importe extrem. Ab dem 20. August 2018 wurde eine Währungsreform umgesetzt, die die Währungseinheiten um das 100.000-fache beschnitt. Die Abwertung dürfte damit aber sicherlich nicht gestoppt werden.

Dass die Menschen aufgrund der dadurch massiv gestiegenen Lebensmittelpreise das Land verlassen, ist kein Wunder. Und der Anbau von eigenen Lebensmitteln ist strukturell ohne Weiteres in einer recht kurzen Zeitspanne selbst mit einer Währungs-Abwertung natürlich auch nur bedingt zu realisieren.

Die Schuldfrage

An dieser Stelle nun eine kurze Übersicht zu den aus meiner Sicht vermeidbaren Faktoren, die zur Krise beitragen und beitrugen.

  1. Die wirtschaftlichen Versäumnisse der venezuelanischen Regierung bei der Diversifizierung der Wirtschaft sowie der andauernden Abhängigkeit von Importen. Sie boten einen massiven Nährboden für eine Währungs-Krise dieser Art.
  2. Der von den USA seit 2012 geführte Konfrontations-Kurs, der die Abwertung in der Anfangszeit anscheinend losgetreten und dauerhaft verstärkt hat. Den USA war der politisch linke Kurs der Regierung, insbesondere bei der Verstaatlichung der Ölproduktion, wohl schon lange ein Dorn im Auge.
  3. Die Spekulationen auf den Kapitalmärkten, die die massive Währungsabwertung sowie den Verfall des Ölpreises vorangetrieben haben.
  4. Der außen- und innenpolitische (rhetorische) Konfrontationskurs Maduros bzw. seiner Regierung, der die Fronten verhärtet hat und die Abwertung damit beschleunigt haben dürfte.
  5. Dazu kommt die Tatenlosigkeit anderer Staaten, mit der man Venezuela in die Währungskrise schliddern ließ. Es wäre sicherlich möglich gewesen, den Wechselkurs mit der Währung eines wirtschaftlich starken Staates oder einer Gemeinschaft mehrere Staaten zu stabilisieren. Welche Motivation im Detail hinter der Untätigkeit steht, ist kaum zu erkennen, aber der von den USA ausgeübte Druck hat wohl zusätzlich dazu beigetragen, dass sich Länder von einem solchen Schritt distanziert haben, um eine Verschlechterung ihrer eigenen Beziehungen mit den USA zu vermeiden. Ein aktuelles Beispiel für eine kontraproduktive Haltung ist die britische Zentralbank, die Venezuela seine Goldreserven nicht aushändigen möchte. Zu berücksichtigen ist auch, dass insbesondere westliche Staaten in einer solchen Situation in der Regel nur die Hilfe des IWF anbieten, der zumeist neoliberale Maßnahmen (Freier Wechselkurs, Privatisierungen, weniger Regulierung, flexible Löhne, etc.) als Voraussetzung für seine Hilfe akzeptiert. Diese sind nicht nur bei den Ländern unbeliebt und oft sozialstaatsfeindlich, sondern ebenso kontraproduktiv, weil sie zum Teil erst den Rahmen schaffen, der zu solchen Währungs-Krisen beiträgt. Es ist daher kein Wunder, dass man in Venezuela diese “Hilfe” zu meiden versucht.

Fazit

Die Medien ignorieren zumeist die wirtschaftlichen und außenpolitischen Umstände, die überhaupt erst zu einer solchen Krise geführt haben. Es gibt zahlreiche Versäumnisse im internationalen Wirtschaftssystem und bei der Hilfe von Ländern in Währungskrisen. Richtige Instrumente und Währungs-Stabilisierungs-Initiativen könnten mit Leichtigkeit solche Probleme vermeiden, unabhängig von den wirtschaftlichen und politischen Fehlern, die Venezuales Regierung zuvor gemacht hat. Gerade in der jetzigen Situation haben die Menschen in Venezuela aufgrund ihrer Importabhängigkeit kurz- bis mittelfristig kaum noch Chancen ohne ausländische Hilfe die akute Lebensmittelknappheit zu bekämpfen. Daher wäre es gerade notwendig, die Menschen dort von Außen zu unterstützen.

Allerdings scheinen die Wirtschaftsinteressen einzelner Länder und ideologische Scheuklappen sowie Handlungszwänge in Politik und Medien zu verhindern (wie in zahlreichen anderen Fällen auch), diesen systemischen Kritikansatz ernsthaft zu verfolgen. Für sie ist es offenbar einfacher eine in der eigenen Denkblase ohnehin schon längst unerwünschte ausländische Regierung anzugreifen, auf die man kaum einen Einfluss hat, anstatt die eigenen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, für die man sein eigenes Denken hinterfragen müsste. So nimmt man dann leichtfertig das Elend von Millionen Menschen in Kauf, auch weil man Angst vor dem Image hat, einer Regierung mit schlechtem Ruf “helfen” zu wollen bzw. “geholfen” zu haben.

  1. Damit findet auch eine Abwertung des Bolivar ggü. anderen Währungen statt, da der Dollar kaum an Wert gegenüber anderen Währungen gewonnen hat. []

Jochen Schölermann

Ein Kommentar

  1. Den USA und ihren internationalen Lakaien geht es ausschließlich darum, den Sozialismus in Venezuela durch Sanktionspolitik, Destabilisierung des Landes (mit dem Ziel des Regime Change) und Diskreditierung der Regierung zu bekämpfen.
    Fehler der Regierung tun ihr übriges, sind m. E. aber im Fall Venezuela nicht der überwiegende Faktor.
    Exkurs: Die UdSSR wurde seinerzeit von den USA wirtschaftlich zu Tode gerüstet. Ein Land, das 50% vom BIP für militärische Zwecke investiert, kann auf Dauer nicht überleben.

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