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No 389

“Europa hat in den vergangenen Jahren einige große Wirtschaftsreformer hervorgebracht. Den Tony Blair zum Beispiel. Oder den Gerhard Schröder. Und Mario Monti und Matteo Renzi in Italien. In Spanien den Mariano Rajoy. Und seit gut einem Jahr in Frankreich Emmanuel Macron.
Alle haben in ihren Ländern mehr oder weniger eifrig gemacht, was die Päpste der Ökonomie so empfahlen: lästige Regeln am Arbeitsmarkt abzuschaffen, bedauernswerte Reichere von schlimmen Steuern zu entlasten, dafür Arbeitslosen Geld abzunehmen (um ihnen endlich mal Druck zu machen), vorlaute Gewerkschaften zu bremsen – und, das gehört zum Standard, Renten zu kürzen.
Das gab immer viel Lob von manchem Wirtschaftsprofessor. Und von Beamten in Brüssel. Und von Leuten, die am Finanzmarkt das Geld von Leuten verwalten, die viel davon haben. Also Friedrich Merz. Um ein Beispiel zu nennen.
Nur dass, etwas irritierend, sämtliche Star-Reformer auf geradezu mysteriöse Art seither vom Unglück ereilt wurden – meist in Form eines jähen Schwunds in den Beliebtheitsrankings der eigenen Bevölkerung. Da ging dem einen oder anderen das Volk aus. So wie diese Woche Emmanuel Macron, der nach all den schönen Reformen, die er zur Freude besagter Professoren und Analysten angefangen hatte, jetzt vom Protest der Franzosen in Warnwesten (und vom eigenen Absturz in den Umfragen) heimgesucht wird.”1

(Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist – Wenn den Star-Reformern das Volk wegläuft, SpiegelOnline, 7.12.2018)

  1. Anm. JJ: Keine neue und überraschende Erkenntnis, aber gelungen ausgedrückt, was Herr Fricke schreibt. Das Bedauerliche ist, dass zur Zerbröselung des Systems gehört, dass progressive Kräfte, die für die Menschen als attraktives Gegenangebot wahrgenommen werden, offenbar rar gesät sind. Die weichgekochte Kritik an den Verhältnissen, der zerstreute Fokus, ja bis hin zum Weiter-so-Wursteln in weiten Teilen jener Organisationen, die ursprünglich für den entschlossenen und harten Kampf um die Lebensverbesserung der Benachteiligten gegründet wurden, sind auch hierzulande recht ausgeprägt. Bemerkenswert dabei, dass die Rousseaus unserer Zeit mit ihrer radikalen Gesellschaftskritik aus recht unvermuteten Richtungen zu kommen scheinen: “Ich bin überzeugte Pazifistin. Ich verabscheue Gewalt. Aber ich weiß auch, dass wenn Proteste in Gewalt münden, es allzu häufig das Versagen und der Fehler des Staates ist. Das Versagen des Staates, den Menschen zu ermöglichen gehört zu werden. […] Außerdem tun die Kritiker >>gewalttätiger Aufstände<< so, als ob die derzeitige kapitalistische Gesellschaft gewaltfrei wäre. Gewalt ist dagegen Teil der modernen Gesellschaft und erscheint in vielen Formen. […] Was also ist die Gewalt all dieser Menschen und jene gegen niedergebrannte Luxusautos verglichen mit der strukturellen Gewalt der französischen und globalen Eliten?”, Zitat: Pamela Anderson. (Übersetzung Maskenfall). Original siehe hier: “Yellow Vests and I”. Jens Berger hat in einem m.E.n. recht treffenden Artikel bereits darauf hingewiesen. []

Jascha Jaworski

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