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No 401

“Und sehr häufig, wenn die Leute über arme Menschen sprechen, sprechen sie über die ausgeschlossenen Menschen. Sie sprechen über Exklusion. Und Exklusion ist ein Wort, das wir oft in der Politik, in den Medien und dergleichen hören. Aber wenn ich über Menschen wie meinen Vater nachdenke, so wurde er nicht ausgeschlossen, vielmehr wurde er bestraft, weißt du? Die Politiker waren besessen davon, Menschen wie meinen Vater zu bestrafen. Sie sagten all die Zeit, dass sie härter arbeiten müssten, härter lernen müssten, dass sie verantwortlich sind für das, was sie sind, dass sie weniger Sozialhilfe bekommen müssten, dass sie mehr arbeiten müssten, weißt du? Und so ist die Geschichte der armen Menschen, der Arbeiterklasse, egal welchen Begriff man wählt, in Europa eine Geschichte der Bestrafung. […]
Und für mich ist das, was wir eine soziale Bewegung nennen, was wir einen Moment des Politischen nennen, ein Moment, in dem die Menschen sich endlich sicher dabei fühlen, zu sagen: >>Ich leide<<, weißt du? Denn da gibt es einen beständigen Mechanismus in der öffentlichen Sphäre, die Menschen zum Schweigen zu bringen, weißt du? Da gibt es mediale Bestrebungen, bourgeouise Bestrebungen, Klassenbestrebungen, die Menschen, die leiden, zum Schweigen zu bringen über ihr Leben, über das, was sie fühlen und über all das.”1

(Édouard Louis, Schriftsteller – Literature is a Weapon, Interview mit Ash Sarkar, Novara Media, Februar 2019, Übers. Maskenfall)

  1. Anm.: Éduard Louis versteht es m.E.n., den direkten Durchgriff von Ökonomie, sowie Sozial- und Wirtschaftspolitik auf Leib und Leben jener Menschen näher zu bringen, die nicht über entsprechende gesellschaftliche Ressourcen verfügen, um sich zu schützen. Es ist sehr bedauerlich, dass der Gradient politischer Einflussnahme über die jeweiligen Bevölkerungsgruppen hinweg im 21. Jahrhundert so ausgeprägt ist, dass ein derartiger Klassenkampf von oben möglich ist. Das passt natürlich alles nicht zum modernen Anspruch, den sich das aufgeklärte Bürgertum auf die Fahnen geschrieben hat. Und wenn sich die benachteiligten Gruppen doch einmal formieren, um diesen für eine Demokratie pervertierten Gradienten politischer Teilhabe zu ändern, passiert das, was sich derzeit in Frankreich beobachten lässt: “Europarat sieht Menschenrechte der >>Gelbwesten<< in Gefahr” (FAZ, 26.2.), “Gelbwesten: Zorn über Polizeigewalt” (arte auf YouTube, 14.1.) []

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Ein Grund, weswegen ich die SZ einstmals kündigte, war eine Seitengroße InvestmentAnzeige mit der Abblidung eines Tores aus Buchenwaldgeäst, das ein Dostojewski Zitat inhaltlich auf den Kopf stellte und dadurch zweifach misbrauchte: Die Ärmsten seien sich in ihrer Lebensweise immer sehr ähnlich, die Wohlhabenden hingegen immer individuell auf ihre ihnen ganz eigene Weise.

    – – Ein Werk Christoph Schlingensiefs:
    – es bestand in einer von der Bank finanzierten Kunstperformance, in der er 100 Euroscheine unter dem Titel „Rettet den Kapitalismus, werft das Geld weg!“ von einem deutschen Operndach werfen ließ. Die Geldgeber zeigten sich empört.

    – Elfriede Jelinek
    – (https://austria-forum.org/af/Biographien/Jelinek%2C_Elfriede)
    – schrieb in den 80ern in fiktiven Texten über Banken, was 20-30 Jahre später sich als bittere Realität herausstellte.
    – Der erste große Skandal um Jelinek wurde 1985 durch die Uraufführung von Burgtheater heraufbeschworen. Das Drama setzt sich mit der mangelhaften NS-Vergangenheitsbewältigung in Österreich auseinander, mit der Vergangenheit der Schauspielerin Paula Wessely im Mittelpunkt. In der öffentlichen Wahrnehmung erschien der Text jedoch reduziert auf persönliche Anspielungen auf damalige prominente Mitläufer. 1983 erschien der Roman Die Klavierspielerin. In den Rezensionen überwog jedoch die biografische Deutung; die Auseinandersetzung mit dem Text trat in den Hintergrund.
    2005 fand im Wiener Burgtheater die Uraufführung von Babel statt, einer monumentalen Meditation über den Irakkrieg und den Folterskandal in Abu Ghraib, in der Regie von Nicolas Stemann, der im Oktober 2006 auch Jelineks RAF-Drama Ulrike Maria Stuart und im Frühjahr 2009 ihre Wirtschaftskomödie Die Kontrakte des Kaufmanns inszenierte.
    Zwei Zitate von ihr hier:

    “Sicherheit erzeugt Angst vor dem Unsicheren.”
    ― Elfriede Jelinek, The Piano Teacher

    “Der Künstler geht dem bitteren Schenkeldruck der Wahrheit wie dem der Regel gern aus dem Weg.”
    ― Elfriede Jelinek, The Piano Teacher

    Mit Kunstblut und Flugblättern bewaffnet haben am 14. April 2016 etwa 30 iDentitärbEWeGte eine Theateraufführung Elfriede Jelineks an der Uni Wien gestürmt. Auf der Bühne standen auch Flüchtlinge.
    “Mehrere Personen aus dem Publikum sowie die performenden Geflüchteten wurden geschlagen, gestoßen und verletzt.” Unter den Angreifern sei der Obmann der Wiener Gruppe dieser Organisation gewesen. Das zeige, dass es sich um eine koordinierte Aktion gehandelt habe.

    – Anne Allmeling berichtet in einer Bayern2 Radiosendung vom 8.1.19 über ein Flüchtlingslager in Jordanien, in dem ab 2015 bargeldloses Bezahlen von allen Dingen und Lebensmitteln lediglich über Irisscannen erfolgt. Die Welternährungsorganisation weitet dies aus, (es werden ja soooviele Bankkosten gespart). An Block chain arbeitende Zentren in Wien und Berlin, München und weltweit.
    Vorstellung von weit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht schon vor einigen Jahren, Steigerung läuft.
    – Wie menschenunwürdig, eigene persönliche, ja existentielle Daten preisgeben zu müssen, als Bedingung für die Zusicherung von Lebensunterhalt. Geburtsdaten und Gesundheitswerten werden zusammen mit der Konsumartikelliste von einer Instanz verwaltet.
    Eine evangelische Predigt wies mich neulich auf diese Menschenverwaltungim Flüchtlingslager Jordanien hin und stellte einen Zusammenhang her zu der Offenbarung von Jesus Christus an Johannes, die ca. 84 nach Christi Geburt (Ort: Patmos) vom Apostel Johannes geschrieben wurde, als „Apokalypse des Johannes“ und letztes Bibelkapitel bekannt:
    In der Vision der Endzeit werde eine Welt umspannende Diktatur herrschen, in der ohne bestimmtes Körpermal niemand mehr kaufen oder verkaufen könne.

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