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No 442

“Labour sagt, dass ihr politischer Maßnahmenkatalog sowohl radikal wie auch populär ist. Ersteres mag Ansichtssache sein, Letzteres aber können wir zum Glück überprüfen – es wurden nämlich viele Umfragen zu den Vorschlägen durchgeführt.
YouGov fragte eine Reihe von Maßnahmen ab, die Anfang November im Labour Manifest aufgenommen wurden, und im Allgemeinen sind diese ziemlich oder sogar sehr beliebt.
Die Steuererhöhungen für die Reichen sind tatsächlich die beliebtesten Maßnahmen, die YouGov abgefragt hatte: Die beliebteste ist der Steuersatz von 50 Prozent für Einkünfte über 123 000 Pfund: 64 Prozent der Wähler befürworten dies, nur 20 Prozent sind dagegen und 16 Prozent nicht sicher.
Ein 45-Prozent-Satz für Einnahmen über 80 000 Pfund ist ähnlich beliebt: 60 Prozent unterstützen dies und nur 23 Prozent sind dagegen.
Bedenken dazu, dass Wähler Steuererhöhungen in einer Kategorie ablehnen würden, zu der sie eines Tages selbst gehören wollen, scheinen offensichtlich nicht korrekt zu sein.
Die Verstaatlichungspläne der Partei sind ebenfalls sehr populär: 56 Prozent befürworten die Verstaatlichung der Eisenbahnen und nur 22 Prozent sind dagegen. Wasserversorger unterstützen 50 Prozent und nur 25 Prozent sind dagegen. [Die Verstaatlichung von] Gas- und Strom-Versorgern werden zu 45 Prozent unterstützt – obwohl Labours Politik hier weniger ehrgeizig ist und sich auf das nationale Netz und Wettbewerber im öffentlichen Eigentum bezieht.
Die profilierteste Ankündigung, jene in Hinblick auf den Breitbandbereich, ist etwas komplizierter: Die Wähler sind sich nicht so sicher, ob sie Openreach [Breitbandsparte des Telekommunikationskonzerns] verstaatlichen wollen. 32 Prozent befürworten dies und 31 Prozent lehnen es ab – keineswegs eine unpopuläre Maßnahme. Aber das Ziel der Maßnahme: freies Breitband für alle, wird weitgehend unterstützt. 62 Prozent befürworten die Idee und 22 Prozent lehnen sie ab.”1

(Jon Stone, Journalist – How popular are Labour’s manifesto policies?, The Independent, 22.11.2019, Übers. Maskenfall)

  1. Anm. JJ: Dies sollte man bei der bitteren Niederlage der Labour Partei und dem Triumph von Johnson im Auge behalten, auch wenn die “radikale Mitte” wieder einmal versuchen sollte, ihren untoten Neoliberalismus light als Notwendigkeit zu verkaufen. Die Wahlanalysen zeigen hingegen zwei wesentliche Faktoren: 1. Beim Brexit konnte Labour als Heimat vieler “Remainer” und “Leaver” zugleich nur verlieren. 2. Corbyn wurde von großen Teilen der Öffentlichkeit abgelehnt. Doch man sollte sich sehr ernsthaft fragen: Was für ein Bild wirft es eigentlich auf ein Land, wenn ein misanthroper, notorischer Lügner, der sich wiederholt durch rassistisches Verhalten auszeichnet, offenbar um einiges beliebter in der Öffentlichkeit ist, als ein Jeremy Corbyn, dessen Biographie v.a. dafür steht, sich ein Leben lang für die Benachteiligten und ein sozialeres und friedlicheres Land eingesetzt zu haben? Was für ein Bild wirft dies, freilich nicht auf die Rechten im Land, schon eher jedoch auf die vermeintlichen “Realisten” und die “Mitte”, v.a. aber auf den medialen Mainstream in Großbritannien, dem es offenbar primär darum ging, eine linke Politik zu verhindern und Corbyn zum Paria zu machen, als das Land vor dem rücksichtslosen Kurs zu bewahren, den die Rechtspopulisten mit Johnson an der Spitze nun einschlagen werden? Für zwei Analysen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zur Wahl siehe: “Election Dissection” (Torsten Bell), “How Britain voted and why: My 2019 general election post-vote poll” (Michael Ashcroft). []

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Ich denke, genügt es nicht, das Ergebnis mit medialer Meinungsmache oder einer beim Brexit geteilten Wählerbasis zu erklären. Taktisch/strategische Fehler und Versäumnisse von Labour bleiben so außen vor.
    Beim Brexit hatten die anderen Parteien deutlich entschiedenere Positionen. Wer also den Brexit (mittels des erneuten Referendums) hochhängt, der sollte damit rechnen, dass er so nicht unbedingt punkten kann, weil die Bevölkerung in dieser Frage sehr gespalten ist – wer seine Enscheidung stark am Brexit festmachte, hatte klare Alternativen.
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    Corbyn hat es auch verpasst, eine Diskussion über die Umsetzbarkeit des Labor-Programms unter den Vorzeichen eines weichen Brexit zu stellen und damit eine innerparteiliche Klärung anszustoßen.
    Das wäre sicher eine Herausforderung gewesen, aber für möglichst viel EU *und* zugleich für eine radikal andere Wirtschaftspolitik zu sein, birgt schon ein gewisses Konfliktpotential. Ich denke, da hätte man seine Prioritäten klar machen müssen.

    Interessant sind hierbei einige Zahlen im verlinkten Artikel von Ahscroft:
    Für die Labour-Wähler war das Thema “Nationaler Gesundheitsdienst/Krankenhäuser” mit 74% die wichtgiste Frage, das galt auch für alle Wähler mit immerhin 55%.
    Mit 28% rangiert der Stop des Brexit bei den Labour-Wählern mit weitem Abstand auf Rang 2. Eine Anerkennung des 1. Referendums und eine Fokussierung auf das eigene (Wirtschafts-)Programm hätte da möglicherweise weniger Remainerstimmen gekostet, als man an die Konservativen verloren bzw. in den wenig porsperierenden Wahlkreisen nicht (zurück?) gewonnen hat.
    Nur 15% aller Wähler sagen, sie hätten vielleicht anders gewählt, wenn der Brexit keine Rolle bei dieser Wahl gespielt hätte.
    Und nur für 19% aller Labour-Wähler zählte der Brexit zu einem der drei Hauptgründe ihrer Entscheidung.
    Auch dass Zahlen, die nahelegen, dass man mit dem zweiten Referendum aufs falsche Pferd gesetzt hat

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