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No 454

“An der griechisch-türkischen Grenze scheint der Ausnahmezustand zu herrschen: Geflüchtete werden beschossen, mit Tränengas und Schlagstöcken an der Einreise nach Griechenland gehindert. In der Ägäis hindern Beamt*innen der griechischen Küstenwache mit massiver Gewalt Flüchtlingsboote an der Weiterfahrt, am Montag ertrinkt ein Kind von einem kenternden Boot auf dem Weg nach Lesbos. Maskierte Bürgerwehren auf den griechischen Inseln beteiligen sich an der Migrationsabwehr und greifen Journalist*innen und Mitarbeiter*innen von NGOs an. Nachdem die türkische Regierung die Grenzschließung aufgehoben hat, und zahlreiche Menschen regelrecht zur Ausreise zwingen will, sitzen Tausende Geflüchtete zwischen zwei Ländern im Niemandsland, ohne Unterkunft und Versorgung, fest.
[…] Vor allem ist eine Aussetzung rechtlich nicht zulässig: Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in Art. 33 als auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Art. 3 formulieren nach einhelliger und unumstrittener Lesart ein Zurückweisungsverbot, soweit eine politische Verfolgung oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen. Diese sogenannten refoulement-Verbote beinhalten ein implizites Verfahrensrecht, um den Schutzbedarf prüfen zu können, verbunden mit dem Recht, bis zu einer Entscheidung im Land verbleiben zu können. Entsprechendes gilt nach Art. 4 und Art. 18 der EU-Grundrechtecharta.  […]
Die Analyse der gegenwärtigen Praxis an den Außengrenzen einerseits und der Instrumentarien zur Aufnahme von Geflüchteten andererseits verdeutlichen hingegen: Die Abschottung an den Außengrenzen und die Politik der Migrationsabwehr bewegt sich selbst in einem rechtsfreien Raum. Die hegemoniale Forderung nach einer Herstellung von Recht und Ordnung ist tatsächlich die Forderung, den Rechtsstaat aufzuheben und die Menschenrechte vollends zu missachten.”1 [1]

(Matthias Lehnert, Rechtsanwalt für Aufenthaltsrecht – Die Herrschaft des Rechts an der EU-Außengrenze? [2], Verfassungsblog, 4.3.2020)

  1. Anm. JJ: Man muss nicht für bedingungslos offene Grenzen sein, ein Konzept, das so in dieser Welt natürlich nicht funktionieren kann, um dennoch vehement die Aussetzung des Rechtsstaates aus politischem Aktionismus heraus abzulehnen und v.a. die Augen vor dem Leid von Menschen zu verschließen, deren Problemsituation das eigene politische Handeln maßgeblich herbeigeführt hat. Wie heißt es so schön im Volksmund: “Was Recht ist, muss Recht bleiben.” [ [3]]