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No 456

“Rom, August 2011: In das Postfach der italienischen Regierung flattert ein Brief der Europäischen Zentralbank. Was dem Brief folgen wird, ist eine drastische Kürzungswelle, die auch das Gesundheitswesen erfasst. Die EZB erklärt in ihrem Schreiben, dass Schutz vor steigenden Zinsen auf italienische Staatsanleihen nur unter der Bedingung harter Einschnitte gewährt würde. Sie hatte in der Troika die EU-Kommission und den Internationalen Währungsfonds hinter sich. Die italienische Regierung führte diese Einschnitte durch – in der Folge sank die Anzahl von Krankenhäusern im Land um 15 Prozent. Die Krise des Gesundheitssystems in der aktuellen Pandemie ist eine Folge dieser Austeritätspolitik.
Und als das südeuropäische Land nun im Angesicht der Corona-Pandemie Ende Februar über den Zivilschutzmechanismus der EU (EU Civil Protection Mechanism) um sofortige Unterstützung bat, folgte: Nichts. Kein einziger EU-Staat schickte medizinisches Material oder Personal.”1

(Alexis Passadakis, Politikwissenschaftler – Austerität ist tödlich, Der Freitag, März 2020)

  1. Anm. JJ: Tatsächlich, man darf sich von der aktuellen Schwere der Ereignisse nicht das politische Sichtfeld verengen und dazu bringen lassen, die Vorgeschichten aus dem Auge zu verlieren. Wie egoistisch sich Deutschland und die EU derzeit jedoch gegenüber dem besonders betroffenen Italien verhalten, dessen Gesundheitsversorgung sie zuvor mit ihrem Austeritätswahn mit in diese Unterversorgungssituation gebracht haben, ist eine Schande, die den Tag überdauern wird. Anstatt sofort medizinisches Personal und Ausrüstungen zu senden, um das Sterben so vieler Menschen wie möglich zu verhindern, berichtet der Focus und andere Zeitungen von 190 Millionen blockierten Schutzmasken und verzögerten Hilfsgütern. Medizinische Hilfe kommt stattdessen aus China und selbst dem verarmten Kuba. Die EU und besonders ihr dominanter Ideen- und Regelgeber Deutschland offenbaren immer wieder, dass es sich um keine “Wertegemeinschaft” handelt, sondern das, worauf sich die Eliten von Anfang an wie besessen fixierten: einen großen, gemeinsamen Markt, mit “freiem Wettbewerb”, d.h. also ein Gebilde, das vornehmlich auf Konkurrenz und eben nicht Kooperation und Solidarität ausgerichtet ist. Wen wundert es bei der gesamten Konstruktion, dass sich das auch in den Köpfen ihrer tonangebenden “Insassen” über die Jahrzehnte hinweg niedergeschlagen hat. Das ist unwürdig. Für Interessierte hier übrigens der erwähnte damalige EZB-Brief an Italien. Sollte übrigens in Griechenland, das momentan (Stand: 21.3.) mit knapp über 500 bekannten Corona-Infizierten dasteht – für eine dauernd aktualisierte Seite zur Ausbreitung in allen Ländern siehe das Info-Portal des jungen US-Amerikaners Avi Schiffmann – der Virus richtig um sich greifen, ist mit schweren Konsequenzen zu rechnen. Hier die Entwicklung der griechischen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben im Zuge der verhängten Kürzungspolitik im Vergleich zu Deutschland. []

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Ja ja, an die schweren Fehler der Vergangenheit möchte sich natürlich keiner der Verantwortlichen erinnern lassen. Vergessen sind die arroganten Belehrungen an die Adresse der Länder Südeuropas (“Pleite-Griechen”, “faule Italiener”, “die sollen erstmal ihre Haushalte in Ordnung bringen”, “Schmarotzer, die auf Kosten der deutschen Steuerzahler leben”). Vergessen natürlich auch die Bemühungen der “Eliten” um eine weitere Privatisierung des deutschen Klinikwesens, ihr Beifall für jene Bertelsmann-Studie, die eine brutale Reduzierung der Zahl der Krankenhäuser in Deutschland forderte; auch Herr Spahn, jetzt Corona-Aktivist, fand seinerzeit – nicht überraschend – freundliche Worte dafür. Und alle Beteiligten werden die derzeitige Krise nicht etwa für Innehalten, Selbstkritik, Reflexion oder gar eine klare Trendwende nutzen, sondern im alten Gleis weiterfahren, wenn Corona überstanden sein sollte.

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