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No 461

“Ja, Blüm hat viel an Kritik aushalten müssen, von rechts, von links, in der Koalition. Im Laufe der Jahre wurde er auch dünnhäutig, aber das ist die andere Seite der Leidenschaft. Er stritt, ob für Menschen- und soziale Rechte in aller Welt oder gegen die Kopfpauschale der frühen Angela Merkel, gegen Hartz IV und die Agenda 2010 von Gerhard Schröder, gegen Neoliberalismus und Werterelativismus. Er wurde ausgepfiffen – und behielt am Ende doch recht, wie bei der Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die nie kam. Die Hartz-Reformen werden auch noch weiter geändert werden.
Blüm bot Diktatoren die Stirn, ob in Chile, im Ostblock oder in der Union. Ein ums andere Male wurde er eine Herausforderung für den legendär wütenden CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, aber auch für Kohl. Das früher gute Verhältnis zu Kohl ging in die Brüche, als sich >>Nobbi<< in der Spendenaffäre von ihm entfernte. Aber er kam zu seiner Beerdigung.
Im März erst berichtete Norbert Blüm in einem Beitrag für die >>Zeit<<, dass er im Jahr zuvor nach einer Sepsis im Koma gelegen hatte und seither von der Schulter abwärts gelähmt sei. Schreiben wollte er, trotz alledem. Und reden konnte er auch, unverkennbar er. Dieses hessische Idiom, der Singsang seiner Heimat mit dem Unterton der Fröhlichkeit. Obwohl es schwer war, für ihn und seine Frau Marita, seit 56 Jahren verheiratet. Er hatte ja noch einiges vor, trotz allem. Er hätte noch viel Rat geben können, als Vater der Pflege und Schutzpatron der sozialen Berufe. […]
Norbert Blüm ist gegangen. Mit 84 Jahren. Ein schöner Spruch für ihn wäre: Gott braucht gute Ratgeber.”1 [1]

(Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber Der Tagesspiegel – Nachruf auf Norbert Blüm – Ein Mensch für die Menschen [2], Der Tagesspiegel, 24.4.2020)2 [3]

  1. Anm. JJ: Ein Arbeiterkind, ein Christ, ein Mensch mit Herz und Rückgrat. An seinen Umgang mit Diktator Pinochet, seinen Beitrag zum Asyl für 16 chilenische Todeskandidaten und seinen Anstoß zur Einstellung von Rentenzahlungen aus Deutschland an die Foltersekte Colonia Dignidad erinnerte 2016 der General-Anzeiger Bonn, lesenswert: >>Herr Präsident, Sie sind ein Folterknecht<< [4] [ [5]]
  2. Nachtrag: Als Verteidiger der gesetzlichen Rente lag Blüm natürlich genau richtig, doch die Propaganda der Partikularinteressen gewann (einstweilen). Sehr schön wurde das noch in Die Anstalt aus dem März 2014 verarbeitet, mit Überraschungsauftritt: “Private Vorsorge einfach erklärt” [6] (YouTube-Kanal von ZDF Comedy, aus aktuellem Anlass.) [ [7]]