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No 462

“Es stellt sich heraus, dass die Rumänen und Bulgaren neben einem stählernen Rücken auch so verzweifelt nach Arbeit sein müssen, dass sie es nicht wagen, eine Pandemie-Lohnprämie zu verlangen, selbst wenn der Arbeitgeber von ihnen verlangt, 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche zu arbeiten, da ein Wechsel der Bauernhöfe keine Option ist. Für die Dauer des Vertrages bleiben sie dem Arbeitgeber ausgeliefert, der allein die Befugnis hat, die Rückreise zu organisieren.
Die deutschen Gewerkschaften haben den Pakt gekündigt und fordern angemessene Löhne, Arbeitsbedingungen und Maßnahmen zum Schutz vor Coronaviren. Aber wenn die rumänischen Arbeiter das Virus mit nach Hause nehmen oder wenn ihnen der Rücken bricht, muss sich das deutsche Gesundheitswesen nicht um sie kümmern. Deutsche Arbeitgeber werden sie vor Ablauf der 115-tägigen Befreiung von den Sozialversicherungsbeiträgen nach Hause schicken.
Die Last einer Behandlung wird auf das rumänische Gesundheitssystem abgewälzt, das Ärzte und Krankenschwestern an Deutschland verloren hat und das wahrscheinlich nie einen Cent der Einnahmen sehen wird, die aus dem Verkauf der Ernte erzielt werden.
Unter dem gleichen Radar der medialen und politischen Aufmerksamkeit sind Tausende rumänischer und bulgarischer Frauen in die betreuten Wohnheime Österreichs gegangen, weil sich herausstellt, dass Österreich es vorzieht, den Job an billigere Ostländer zu vergeben, anstatt die soziale Versorgung angemessen zu gestalten.
In vielerlei Hinsicht stellen die Spargelstecher, Salatpflücker und Pflegekräfte die effizienteste Arbeitsform in Europa dar: billig, hochproduktiv, unversteuert, auch wenn sie gedemütigt werden und ein potenzielles Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen. Die politische Ökonomie Europas hat den postkommunistischen Universalsoldaten geschaffen, der im Laufe der Saison vom Landarbeiter über den Betreuer bis zum Bauarbeiter werden kann. Die Bewegungsfreiheit hat sich in eine Migration zum Überleben verwandelt, und selbst dieses Privileg ist den körperlich Gesunden vorbehalten.
Letztendlich können sich die gedrängten Massen aus den Flugzeugen, die sich auf die Felder Deutschlands oder Italiens bewegen, weder auf ihr eigenes Land noch auf die Europäische Union verlassen. Dies wirft schwierige Fragen darüber auf, was Osteuropäer sich rechtmäßigerweise nach Jahren der EU-Mitgliedschaft erwarten dürfen: Ist es das?”

(Costi Rogozanu, rumänischer Journalist und Daniela Gabor, britische Ökonomin – Are western Europe’s food supplies worth more than east European workers’ health?, The Guardian, 16.4.2020, Übers. Maskenfall)

 

Jascha Jaworski

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