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No 476

“Eine Regierung lässt auf eine unbewaffnete Opposition schießen, verhaftet ihre Sprecher, schickt gegen Jugendliche, die Barrikaden bauen, eine Antiterroreinheit auf die Straßen der Hauptstadt. Zurück bleibt ein Dutzend Tote, ein Vielfaches an Verletzten.
Hieße der Schauplatz Iran, wären die Reaktionen im Westen eindeutig. Doch dies ist Bamako, Mali: besagte Regierung wird finanziell wie militärisch von der Europäischen Union unterstützt, die Antiterroreinheit von EU-Kräften ausgebildet. Statt eines Aufschreis stummes Händeringen, auch Medienberichte verlieren sich lieber im Vokabular des Diffusen – >>blutige Unruhen<<, als sei die Täterschaft aufseiten der Unruhe, nicht aufseiten der Macht.
Wer klaren Auges auf die Geschehnisse blickt, sieht in Mali ein umfassendes Desaster westlicher Politik. Dem militärischen und politischen Scheitern des Antiterrorkampfs folgt nach sieben Jahren Intervention nun ein moralischer Offenbarungseid. Eine von Entwicklungshilfe gepäppelte Staatsführung schießt auf ihre Bürger, und die sogenannten Geberländer rufen nicht mal einen Botschafter heim. […]
Der Fisch stinkt am Kopf, sagt die Opposition, Mali lässt sich nicht retten mit diesem Präsidenten. Wenn sie unter sich sind, nicken die Vertreter Europas, aber irgendwie brauchen sie den Präsidenten, hängt doch das ganze System sogenannter Hilfe an einer gefügigen malischen Staatsführung – der UN-Einsatz inklusiv Bundeswehr, unzählbare Projekte, Verträge, Auslandsgehälter. Das Hilfesystem gefährdet sich niemals selbst. Und darum blinkt über dem Präsidenten Keïta jetzt der alte Kissinger-Spruch: He’s a bastard, but he is our bastard.”

(Charlotte Wiedemann, Auslandsreporterin – Blamage in Bamako [1], taz, 5.8.2020)