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No 575

“Fatal an diesem Gipfel >>der Industrieländer<< ist jedoch vor allem die vollständige Ignoranz gegenüber den Fehlern, die man selbst im Verhältnis zu den Ländern gemacht hat und jeden Tag macht, die man gerade jetzt gerne auf die eigene politische Seite ziehen würde. […]
Aus Anlass des G-7 Gipfels hat die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, gerade den geistigen Kolonialismus des Westens in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht  […]. Sie sagt, China gehe geschickt vor, weil es seine Hilfe für ärmere Länder nicht an Bedingungen knüpfe. Der Westen müsse allerdings auf Bedingungen, wie der Demokratie, dem Kampf gegen Korruption und der Einhaltung der Menschenrechte beharren, weil er ja eine Wertegemeinschaft sei.
Man fragt sich, ob die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments unfassbar naiv und unwissend ist oder nur unglaublich dreist. Der >>wertebasierte<< Westen hat in den vergangenen 70 Jahren vollkommen unabhängig von Demokratie und Menschenrechten Ländern in Not eine Wirtschaftsideologie aufgezwungen, die nicht nur grundsätzlich falsch und dumm war, sondern die Lage der betroffenen Länder in der Regel dramatisch verschlechterte.
Der IWF unter Führung der G-7 Staaten hat sich dagegen systematisch geweigert, über die wirklichen Probleme der betroffenen Länder auch nur nachzudenken, wenn man befürchten musste, eigene wirtschaftliche Interessen (der Wall Street, der Londoner City oder des Frankfurter Bankplatzes) könnten davon negativ berührt werden. Brasilien unter seinem ehemaligen Präsidenten Lula ist nur der bedeutenste dieser Fälle. Als Lulas Finanzminister zu Recht von einem Währungskrieg gegen sein Land sprach, hat man in der westlichen Welt einfach weggehört.
Für all das sind die G-7 unmittelbar verantwortlich, weil sie im IWF das Sagen haben und von dort aus ihre wirtschaftliche Macht ohne jeden Skrupel ausüben. Jeder Mensch in den Entwicklungsländern weiß das und zieht seine Schlussfolgerungen daraus. Nur in den >>demokratischen<< Nationen hat niemand eine Ahnung davon, weil es uns vollkommen egal ist, wie viel Elend es im Rest der Welt gibt und wie viel Schaden unsere Ideologien anrichten. Wer einen Schuldigen dafür sucht, dass im Rest der Welt heute die Bereitschaft, sich klar an die Seite des Westens zu stellen, verschwindend gering ist, muss sich an die eigene Nase fassen.”

(Heiner Flassbeck, ehem. Chefvolkswirt der UNCTAD – Die G-7 und der geistige Kolonialismus des Westens [1], Relevante Ökonomik, 29.62022)