Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken
0

No 587

“Die Verantwortung der >>öffentlichen Hand<< bezieht sich im aktivierenden Sozialstaat auf die Herstellung einerseits von funktionierenden Arbeitsmärkten und beschäftigungsfähigen Arbeitskräften; andererseits und komplementär dazu aber auch auf die Konstitution von Wohlfahrtsmärkten, auf denen kompetente (als erwerbstätig gedachte) Marktsubjekte je individuell ihre wohlfahrtspolitischen Entscheidungen treffen können […].
Im aktivierenden Sozialstaat wird jede und jeder Einzelne nicht nur für die Suche nach und für die Realisierung von Lebenschancen auf Arbeits- und Wohlfahrtsmärkten verantwortlich gemacht. Jeder und jede Einzelne wird zudem auch, über eben diese Marktaktivitäten vermittelt, für die Gewährleistung des gesellschaftlichen Wohlergehens, für die Sicherstellung des Gemeinwohls zuständig erklärt. Die selbstverantwortliche Jobsuche, die proaktive Weiterbildung, die selbststeuernde Gesundheitsprophylaxe, die eigentätige Altersvorsorge, die private Organisation informeller Pflegearrangements – auf einen Nenner gebracht: die selbstverständliche Sorge um die eigene Wohlfahrt ist der aktivierungspolitischen Logik zugleich von (volks)wirtschaftlichem Wert und (gesamt)gesellschaftlichem Nutzen. […]
Die tatsächliche gesellschaftliche Akzeptanz des Neoliberalismus beruht nicht darauf, dass er die atomisierte Ellbogenexistenz propagiert und im Zweifel über Leichen zu gehen verspricht. Der real existierende Neoliberalismus lebt – unter anderem – davon, dass er sich als eine neue, der neuen Zeit des globalen und flexiblen Kapitalismus angeblich allein angepasste Form der Gesellschaftlichkeit und des sozial angemessenen Verhaltens zu erkennen gibt bzw. sich den Menschen als eine ebensolche verständlich zu machen versucht: Sie sollen ihre Selbstökonomisierung und die ökonomische Selbstrationalisierung ihrer Lebensführung immer auch als einen Sozialdienst verstehen, als einen Beitrag im Dienste der Allgemeinheit und zum Wohle aller.”1

(Stephan Lessenich, Soziologe – Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so – Zwischenbetrachtungen im Prozess der Aktivierung, in: Politik der Verhältnisse – Politik des Verhaltens, S. 21-33, 2018)

  1. Anm. JJ: Als einen der schlimmsten Entgleisungen des “aktivierenden Sozialstaats” darf man die Hartz-Gesetze betrachten. Ihre “schwarze Rohrstockpädagogik” (Ulrich Schneider) muss man vor dem Hintergrund der ideologischen Wirkmacht der Aktivierungsidee begreifen. Verwiesen sei hier auf die Pressekonferenz zur jüngsten Studie über Sanktionierungen, die kürzlich u.a. vom Verein “Sanktionsfrei” vorgestellt wurde. Ulrich Schneider (Paritätischer) und Marcel Fratzscher (DIW) sind auch dabei. Empfehlenswert! []

Jascha Jaworski

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.