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No 617

“Wir müssen nicht bis zu den Gräueltaten der Kolonialzeit zurückgehen, um zu verstehen, dass man die moralische Überheblichkeit, mit der der Globale Süden kritisiert wird, weil er sich eine eigene Meinung erlaubt, durchaus mit Skepsis betrachten darf. Immerhin reden wir hier von den gleichen Ländern, die bedenkenlos ohne UN-Mandat Belgrad bombardiert und das UN-Mandat für Libyen überstrapaziert haben, um in dem Land nachhaltige Zerstörung anzurichten; von Ländern, die unter Berufung auf Artikel 5 des NATO-Vertrages in Afghanistan einmarschiert sind und Billionen von US-Dollar investiert haben, um das Land zu ruinieren und am Ende doch wieder den Taliban zu überlassen. Die USA und Großbritannien begründeten den Irakkrieg mit einer Lüge, um die Ölreserven des Landes auszubeuten, und machten damit den Islamischen Staat groß. Und haben diese Länder – Deutschland eingeschlossen – mit ihren Waffenverkäufen an Saudi-Arabien nicht den Krieg gegen die Volksgruppe der Huthi im Jemen unterstützt, der nach UN-Angaben eine gewaltige humanitäre Krise mit mehr als 300 000 Opfern verursacht hat? […]
All das hat einen paradoxen Effekt: Es stärkt im Globalen Süden das Bewusstsein dafür, dass er intensiver kooperieren und seine Prioritäten im Kampf gegen Armut und Hunger oder gegen Klimakrisen (unter denen diese Länder am stärksten zu leiden haben) und auch gegen Pandemien deutlich artikulieren muss. Europa muss begreifen, dass in den Augen der meisten Entwicklungsländer China in diesem Gesamtkontext ein maßgeblicher Partner ist – und Russland nicht das größte Problem.”

(Giorgio Romano Schutte, Professor für Internationale Beziehungen und Wirtschaft an der Universidade Federal do ABC (UFABC) in Brasilien – Das Ende des Westens [1], IPG, 18.4.2023)