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No 618

“Mittlerweile zieht ein beachtlicher Teil des etablierten Deutschland einen Bannkreis um alles, worin der Begriff >>Palästina<< vorkommt: Vorsicht, Antisemitismus, besser nicht nähern! So wird die Erinnerung an das Großverbrechen unserer Vorfahren zu einer Waffe, die sich ausgerechnet gegen jene richtet, die von Mitschuld daran anders, als viele deutschen Familien, völlig frei sind: Mal trifft es Juden/Jüdinnen mit missliebigen Ansichten zu Israel, vor allem aber trifft es die Palästinenser und Palästinenserinnen.
200.000 von ihnen leben in Deutschland, mehr als irgendwo sonst in Europa. Sie haben ein Recht darauf, ihre Sicht der Geschichte zu erzählen, und zwar als Teil einer neu verstandenen Erinnerungskultur, die Konflikte nicht scheut und gerade dadurch dichotome, einander ausschließende Narrative überwinden könnte.
Beginnen wir mit dem Jahr 1948. Für Israel die siegreiche Gründung des neuen Staates, für Palästinenser der traumatische Verlust von Heimat, Kultur, Existenz – die Nakba, arabisch für Katastrophe. Ohne Vertreibungen wäre ein mehrheitlich jüdischer Staat nicht möglich gewesen, und Vertreibung verlangte Gewalt; dazu zählten auch Massaker an Zivilisten. Das verübte Unrecht wurde rasch aus dem Bewusstsein verdrängt: Israel sah sich als Nation der Opfer; jeder Dritte im neuen Staat war Holocaust-Überlebender. […]
Ohne jeden Zweifel ist der Völkermord an den Juden von einer völlig anderen Dimension und einem anderen Charakter als die Nakba. Aber die Nakba hält als Entrechtung an, und viele Palästinenser sehen sich nun seit über siebzig Jahren gezwungen, den Preis für ein europäisches Verbrechen zu zahlen.”

(Charlotte Wiedemann, Autor*in bei der taz – Nakba und deutsche (Un-)Schuld, taz, 13.7.2022)

Jascha Jaworski

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