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No 659

“Für Deutschland gilt das Engagement für Israel als Test dafür, ob das Land seine Nazi-Vergangenheit überwunden hat. Das ist Politik als Psychologie oder besser gesagt als Psychoanalyse. Durch Vorsicht oder die öffentliche Vernunft werden keine Grenzen mehr gesetzt. Die Realität spielt keine Rolle, was zählt, ist die Erlösung. Wie Daniel Marwecki in seinem Werk >>Deutschland und Israel<< argumentiert, dient Israel >>als Verdrängungsobjekt, auf dem unterschiedliche Vorstellungen deutscher nationaler Identität artikuliert werden können.<< Es handele sich um >>eine Form der Versöhnung, die darauf abzielt, Deutschland vom Antisemitismus zu reinigen, der immer wieder in den Blick zu geraten scheint.<< […]
Innerhalb der Traumlandschaft der deutschen Rückkehr und Erlösung und damit auch eines Großteils des Westens gleicht die israelische Traumlandschaft einem kleineren konzentrischen Kreis, dessen Fantasien von der endgültigen Kontrolle über ein heiliges Land sprechen. Wie Daniella Weiss, eine der Anführerinnen der israelischen Siedlerbewegung, es kürzlich ausdrückte: >>Die Siedler müssen das Meer sehen. Das ist eine logische und romantische Forderung.<< Ein israelischer Immobilienmakler bewarb Strandvillen, die den zerstörten Gazastreifen digital überlagerten, mit der Botschaft >>Wach auf, ein Haus am Strand ist kein Traum.<< […]
In der Debatte der letzten Monate haben wir ein erschreckendes Ausmaß an Fantasien erlebt. Ein Fernsehmoderator sagte im Fernsehen, dass es keine palästinensischen Christen gäbe. Ein israelischer Amtsträger fügte hinzu, dass es in Gaza keine christlichen Kirchen gebe. Als der palästinensische Dichter Refaat Alareer bei einem israelischen Luftangriff getötet wurde, startete eine organisierte Online-Aktion, um ihn als Terroristen darzustellen. Alles andere wäre ein narrativer Verstoß. Eine der größten und einflussreichsten Zeitungen Deutschlands behauptete unglaublicherweise: >>Free Palestine ist das neue Heil Hitler.<< Die systematische Zerstörung fast aller Krankenhäuser und Schulen in Gaza wird als notwendig dargestellt, um die Hamas zu besiegen. Das Schweigen über die Tötung so vieler Zivilisten wird nicht aufgezwungen, sondern von denen akzeptiert, denen jede widersprüchliche Tatsache den vollen Genuss der Fantasien verderben würde, in denen der Westen wieder einmal das Böse bekämpft, und dieses Mal hat das Böse keine bewaffneten Divisionen, mit denen es kämpfen könnte zurück. […]
In Fantasien oder Träumen haben andere Menschen keine wirkliche Existenz. Sie sind lediglich Projektionen des träumenden Selbst, und das Ziel besteht darin, eine Welt zu schaffen, in der Wünsche keinen Widerstand von außen finden. In dieser Versuchung liegt eine große Gefahr, die in Israel bereits in Vorschlägen zum Ausdruck kam, zwei Millionen Palästinenser aus Gaza auf den Sinai zu überführen.”

(Bruno Maçães, Autor und ehem. Staatsminister für Europaangelegenheiten von Portugal – Gaza and the End of Western Fantasy, TIME, 10.1.2024, Übers. Maskenfall)

Jascha Jaworski

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