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No 685

“Spätestens das Gutachten des IGH verdeutlicht, dass man insbesondere in Deutschland noch weit davon entfernt ist, die universellen Werte des Völkerrechts auch dann hochzuhalten, wenn es schmerzt. Das tritt nun an einigen Stellen deutlich zu Tage. Den Vorwurf der Apartheid an die Adresse Israels zu richten stufte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vor Kurzem noch als antisemitisch ein. Wenngleich das IGH-Gutachten diesen Punkt offenlässt, erlaubt es jedoch eine Lesart, nach der Apartheid vorliegt. Die unterschiedlichen Positionen der Richter Tladi und Nolte zu diesem Punkt definieren hier den Rahmen des Vertretbaren. Ein anderes Beispiel ist der Verweis auf demokratische, rechtsstaatliche Institutionen in Israel. Er dient großen Teilen des bundesdeutschen Diskurses zur Beschwichtigung bei Völkerrechtsverstößen in- und außerhalb des Gaza-Kriegs. Dass der IGH nun die gesamte israelische Besatzungspolitik als völkerrechtswidrig einstuft, dies keineswegs auf die Taten der Netanjahu-Regierung begrenzt und damit der israelischen Justiz – die nur marginalen Widerstand geleistet und viele kritische Fragen jahrelang ausgeklammert hat – und Politik – die gerade die Zweistaatenlösung abgelehnt hat – kein gutes Zeugnis ausstellt, macht den Widerspruch zwischen der deutschen Israel-Politik und dem in der Zeitenwende beschworenen universellen Völkerrecht offensichtlich.
Um der Ankündigung der Zeitenwende Taten folgen zu lassen, ist hier ein Umdenken notwendig. Damit Deutschland nicht am Ende von drei Blöcken umgeben ist: neben den USA und China/Russland auch noch vom globalen Süden – womöglich gar im Verein mit einigen europäischen Staaten wie Irland, deren spezifische Geschichte sie anders auf den Nahen Osten blicken lässt. Neben dem Verlust an Soft Power wäre eine solche Konstellation nicht zuletzt für europäische Rohstoffdeals oder Migrationsfragen keine guten Nachrichten. […]
Um die Zeitenwende in der deutschen Politik und Gestaltung fest zu verankern, ist letztlich auch ein Umdenken in der Erinnerungspolitik erforderlich. Die zentrale Stellung des Holocausts wird nicht bedroht, sondern gefestigt, indem der Holocaust stellvertretend für die Abgründe der Menschlichkeit steht, die jederzeit und jeden Orts aufbrechen können. Ein solches Gedenken ist inklusiv und verbindend. Es stützt sich nicht auf eine abstrakte, national gedachte und administrativ durchgeboxte Staatsräson, sondern auf jene konkrete, universale Utopie der Menschenrechte, um die es bei der Zeitenwende eigentlich geht.”1

(Matthias Goldmann, Professor für Internationales Recht – Die Zeitenwende beginnt im Nahen Osten – Konsequenzen des IGH-Gutachtens zur Illegalität der israelischen Besatzung, Verfassungsblog, 23.7.2024)

  1. Anm. JJ: Zitat zum verspäteten Sonntag []

Jascha Jaworski

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