“Prantl verweist auf den Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt, der ein solches Denken theoretisch rechtfertigte. Schmitt sah es für eine Nation als unumgänglich an, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Daraus folgte für ihn, dass es auch zweierlei Recht geben müsse – das für die eigene Gruppe geltende Recht könne nicht für den Feind gelten, unabhängig davon, ob der sich im Inneren des eigenen Landes befinde oder außerhalb. Zwei Folgen dieses Denkens stellt Prantl besonders heraus.
Erstens: Die Dämonisierung des Bösen in der als Feind definierten Person oder Personengruppe lenke psychologisch von der Tatsache ab, dass die Fähigkeit, „gut“ oder „böse“ zu sein, in jedem Mensch angelegt sei. Damit sei der Blick für die Erkenntnis der jeweils konkreten Auslöser für „böses“ Verhalten verstellt, ebenso wie der Weg zu konkretem, friedensstiftendem Handeln über Diplomatie. Denn mit einer Ausgeburt des Bösen kann man nicht verhandeln, sie muss besiegt werden. Putins Angriff auf die Ukraine sei jedoch wegen des Völkerrechtsbruchs in einer bestimmten historischen Konstellation „böse“ und keineswegs Auswuchs eines diabolischen Geistes.
Zweitens: Die Angst vor einem Feind führe zum Festungsdenken. Man mauert sich ein und bewaffnet sich bis an die Zähne. Das sei aber – genauso wie völlig offene Grenzen – keine Lösung, um in der heutigen Welt sicher leben zu können. Grenzen seien notwendig. Zu bedenken sei jedoch, dass Einmauerungsverhalten zur spiegelbildlichen Gegenreaktion der Ausgegrenzten und damit zur Eskalation führe. Es gelte zu erkennen, dass die eigene Grenze nur so sicher sein könne, wie sich auch die Nachbarn sicher fühlten.
Und so ist auch eine Europäische Friedensordnung nach Prantls Auffassung schon allein aus geografischen Gründen ohne Russland nicht zu verwirklichen. Kollektive Sicherheit bedeute, dass die eigene Sicherheit nicht zu Lasten der Partner ausgeweitet werden dürfe.”
(Ulrike Simon, freie Autorin – Ernstfall Frieden, Makroskop, 6.9.2024)