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No 710

“SPIEGEL: Eines Ihrer letzten Bücher trug den Titel »Hat der Westen verloren?«. Hat die Wiederwahl von Donald Trump diese Frage für Sie beantwortet?
Mahbubani: Wenn euer relatives Gewicht in der Welt abnimmt, dann könnt ihr nicht weitermachen wie bisher. Ich sehe europäische Politiker wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und habe den Eindruck, sie verstehen den Rest der Welt nicht, sie leben in einer Blase. Sprecht nicht so herablassend über uns. Sagt uns nicht, dass eure Werte unseren überlegen sind – sie sind es nicht. Der Westen bleibt eine große und erfolgreiche Zivilisation. Aber er dominiert nicht mehr wie früher; er muss seinen Platz mit der chinesischen, der indischen, der islamischen Zivilisation teilen.
SPIEGEL: Die Werte, auf die Politikerinnen wie von der Leyen oder Baerbock pochen, sind aber keine exklusiv westlichen Werte. Sie stehen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die auch Länder wie China, Indien und Saudi-Arabien unterzeichnet haben, als sie der Uno beitraten.
Mahbubani: Ich stimme Ihnen völlig zu. Auch ich will nicht, dass mir ein Folterknecht die Fingernägel zieht. Der Fortschritt der Menschenrechte ist eine sehr bedeutende Entwicklung. Um sie zu verteidigen, müssen wir allerdings brutal ehrlich sein: Wenn die USA die Menschenrechte in Guantanamo verletzen und die Europäer dazu schweigen, dann offenbaren sie damit, dass sie mit ungleichen Maßstäben messen. Und nichts hat die Glaubwürdigkeit des Westens in diesem Jahrhundert so schwer beschädigt wie der Krieg in Gaza. Die ganze Welt sieht, was dort geschieht – und sie sieht, wie Europas Führungen sich wegducken.”

(Kishore Mahbubani, ehem. singapurischer Diplomat – >>’Die Europäer sind feige'<<, der Spiegel, 16.2.2025)

Jascha Jaworski

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