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Amerikanische Verhältnisse – Entwicklung der hohen Einkommen in Deutschland (1)

Eine aktuelle Veröffentlichung des DIW mit dem Titel „Completing the Bathtub?…“, die sich mit der historischen Entwicklung der Einkommensverteilung in Deutschland mit dem Fokus auf die hohen bis sehr hohen Einkommen befasst, hat mich dazu bewegt dieses Thema auch hier aufzugreifen, einige Aussagen der Arbeit wiederzugeben und Ergebnisse eigener Berechnungen darzustellen. Die Arbeit des DIW selbst betrachtet zunächst die US-amerikanische Entwicklung der Spitzeneinkommen (obere 10%), für die der starke Abfall ihres Anteils am Gesamteinkommen nach dem 2. Weltkrieg, der Stagnation ihres Anteils in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren und ihr anschließender zügiger Anstieg auf das heutige Vorkriegsniveau (von fast 50%) charakteristisch ist. (Der Ausdruck „Completing the Bathtub“ spielt auf den resultierenden U-förmigen Verlauf des Einkommensanteils der oberen 10% an, der dem Profil einer Badewanne ähnelt). Davon ausgehend werden die Ähnlichkeiten mit den historischen Entwicklungen der Einkommensverteilung in Deutschland, insbesondere die Verwerfungen hin zu mehr ökonomischer Ungleichheit in der jüngster Vergangenheit, diskutiert.

In der Literatur wird der Zeitraum, in der die Einkommensungleichheit in den USA sich längerfristig reduziert oder stagniert hat, als „Great Compression“ (Zeitraum 1947-1979, unterschiedliche Nennung) bezeichnet. Der Zeitraum, in der die Einkommensungleichheit sich längerfristig erhöht hat, wird als „Great Divergence“ (Zeitraum 1979-2010, unterschiedliche Nennung) bezeichnet. Die Wahl der Begriffe lässt sich leicht illustrieren, wenn man den Anteil der oberen 10% am Gesamteinkommen (real, inkl. Veräußerungsgewinne) im Verlauf der Zeit darstellt. Für Deutschland lässt sich eine ähnlich markante Entwicklung beobachten, in der sich der Beginn einer „Great Divergence“ ca. 15 Jahre später festlegen lässt. Das Auseinandergehen der Einkommen beginnt jeweils ungefähr zeitgleich mit zunehmender Manifestation neoliberaler Politik.

Um hinter die Kulissen des Verlaufs des Spitzeneinkommen zu blicken, hilft es sich die Entwicklung der Einkommenshöhen von Einkommensgruppen innerhalb der Spitze in den unterschiedlichen Zeitperioden zu vergegenwärtigen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie sich eventuelle Einkommenszuwächse auf die Gesellschaft verteilt haben und inwiefern sich dabei die Kompressions-Phase von der Phase zunehmender Divergenz unterschieden hat. Für die USA werden zur Berechnung der durchschnittlichen Einkommenszuwächse pro Jahr der Zeitraum 1947-1979 (blau) und 1979-2010 (rot), für Deutschland der Zeitraum 1950-1995 (blau) und 1995-2007 (rot), angesetzt. In der 1. Phase sind in den USA die Zuwächse der oberen 10% zu denen der unteren 90% identisch. Innerhalb der Einkommensgruppe der Spitzenverdiener wird der durchschnittliche Einkommenszuwachs von 2% pro Jahr nur mit Ausnahme der oberen 10-5% deutlich überschritten, die oberen 1-0,5% unterschreiten ihn sogar, die oberen 0,5-0,1% und 0,1-0,01% sogar in besonderer Weise. Die Verteilung der Einkommenszuwächse ändert sich in der 2. Phase (rot) drastisch, die Einkommensgruppe der unteren 90% erfährt nun jedes Jahr einen Verlust von Einkommen (ca. 0,4% pro Jahr), die Einkommensgruppe der oberen 10% gewinnt jedes Jahr deutlich an Einkommen hinzu (1,6% pro Jahr).  Innerhalb der Gruppe der Spitzenverdiener gibt es nun eine klare Staffelung der Zuwächse nach der Höhe des Einkommens. Dabei steigen die Zuwächse mit den hier ausgewählten Untergruppen (unterschiedliche Gruppengröße!) zunächst gleichförmig an und machen dann jeweils hin zur Gruppe der oberen 0,1-0,01% und oberen 0,01% einen deutlichen Sprung bis auf 3,2% bzw. 4,4% jährlicher Einkommenszuwächse.

In Deutschland sind innerhalb der 1. Phase (blau) die Einkommen der unteren 90% sogar stärker angestiegen als die Einkommen der oberen 10%. Der Einkommenszuwachs der Untergruppen der Spitzeneinkommen ist etwas gleichmäßiger verteilt als in den USA. Auch hier fällt der hohe Zuwachs der Einkommen der oberen 10-5% auf, die über dem durchschnittlichen Zuwachs von 3,2% pro Jahr liegen. In der 2.Phase findet ebenfalls ein drastischer Wandel statt, die Einkommensgruppe der unteren 90% bekommt Einkommensverluste von 1% pro Jahr zu spüren, dagegen legen die oberen 10% jedes Jahr um 1,2% zu. Der Zuwachs innerhalb der Spitzeneinkommen verteilt sich nun ebenso gestaffelt nach der Höhe der Einkommen der betrachteten Untergruppen. Der Anstieg erfolgt auch hier zunächst gleichförmig, dann stagniert der Zuwachs bis er für die oberen 0,01% nochmals stark auf 3,8% pro Jahr ansteigt.

Nachdem das Wirtschaftsmodell der 50er, 60er und 70er Jahre (für Deutschland sogar 80er Jahre) Einkommensungleichheiten zwischen hohen bzw. sehr hohen Einkommensgruppen und dem Rest der Einkommensbezieher konstant gehalten oder gar reduziert hat, sowie Einkommensungleichheit innerhalb der Spitzeneinkommensgruppen reduziert hat (außer zu dem betrachteten Maximaleinkommen), hat das Wirtschaftsmodell der nachfolgenden Zeit die Einkommensungleichheit in jeder Hinsicht stark erhöht. Besonders bemerkenswert ist der Wandel im Verhältnis zwischen den Beziehern von sehr hohen Einkommen (obere 0,01%) und denen der unteren 90% der Einkommensverteilung. Über die genannten Zeiträume hinweg erhält man insgesamt folgende Einkommenszuwächse.

Um einen Vergleich zwischen Deutschland und den USA in Bezug auf die Zunahme der Einkommensungleichheit und das Abschmelzen des durchschnittlichen Einkommens von 90% der Bevölkerung zu erhalten, wurde die Einkommensentwicklung von Deutschland von 1995-2007 unter der  Annahme des Erhalts der Zuwachsraten auf die Dauer der Divergenz-Phase in den USA von 31 Jahren hochgerechnet. Mit anderen Worten: Wie sähe die Entwicklung der Einkommen seit 1995 für die beiden Gruppen aus, wenn dieses Wirtschaftsmodell in Deutschland noch 14 Jahre andauern würde (natürlich ohne anstehende Rezession)?

Die Entwicklung in Deutschland steht in Bezug auf die betrachteten Einkommensgruppen der Entwicklung in den USA in nichts nach. Die Einkommen der unteren 90% würden sogar deutlich stärker abfallen als in den USA. Was in diesem Zusammenhang die geplante Agenda 2020 (klar, 2026 wäre ja auch zu lange hin) bedeutet, die natürlich als Verschärfung der Agenda 2010 gemeint ist, kann man sich zusammenreimen. Da sich Einkommensverluste auf die 90% der Bevölkerung in der Regel so verteilen, dass die Gruppen mit niedrigem Einkommen die größten Verluste an ihrem bereits spärlich vorhandenem Einkommen tragen, wird das gesamte Ausmaß einer solchen Politik noch deutlicher.
Die Vorhersage von KPD-Mitglied Max Reimann (1949), dass das Grundgesetz gegen ihre einstiegen Ratifizierer, die sich hier mit ihrer Politik gegen das im Grundgesetz mit Ewigkeitsstatus verankerte Sozialstaatsprinzip auflehnen, zu verteidigen sein wird, soll sich wohl bewahrheiten!

Quelle Einkommensdaten: The World Top Incomes Database

Johannes Stremme

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