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Früher hieß es Propaganda…

Glaubt man der liberal pluralistischen Sichtweise, so leben wir in einem demokratischen System, in dem ein freier Wettbewerb der Ideen stattfindet. In diesem setzen sich sodann die “besten” Ideen durch und alles tendiert zum Wohle der Allgemeinheit. Die Medien stellen sich hierbei als vierte Gewalt dar, die die Politik überwacht und dafür sorgt, dass die Bevölkerung in die wesentlichen Entwicklungen Einblick erhält, um frei und eben demokratisch entscheiden zu können.

Diese Sichtweise könnte man auch als “Politische Theorie der gymnasialen Oberstufe” bezeichnen, entspricht sie doch etwa dem, was man von der weitgehenden Mehrheit der Abiturient_inn_en hierzulande zu hören bekäme. Sie entspricht auch dem, was im durchschnittlichen WiPo- und Geschichtsunterricht explizit oder implizit vermittelt wird. Dass es sich hier um eine hochgradig unangemessene Sichtweise handelt, ließe sich auf vielfältige Weise begründen. Allein der Umstand, dass – zunehmend leichter erkennbar – wirtschaftliche Fragen die Vorherrschaft in der politischen Entscheidungsfindung bekleiden (“Nein, denn das kostet Arbeitsplätze”, “Das ist alternativlos” etc.), zugleich jedoch die Menschen in diesem Land wohl in keinem Bereich so im Ungewissen belassen werden, wie in wirtschaftlichen Belangen, dürfte ein Indikator dafür sein, wie plural und demokratisch gemeint dieses System wirklich ist. Demokratie könnte dabei doch nur dort sein, wo Mitbestimmung sich nicht auf einen rein motorischen Akt an der Wahlurne reduziert, sondern die politischen Vorgänge von den Menschen auch angemessen dechiffriert werden könnten, so dass sie wüssten, warum sie was tun und worauf es hinausläuft. Gemessen an der gesetzhaft zyklischen Unzufriedenheit im CDU-SPD-Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel, zeigt sich, dass die Menschen seit Jahrzehnten nun schon eben nicht zu wissen scheinen, worauf sie sich einlassen, wenn sie der vermeintlichen “Vernunft der Mitte” folgen.

Doch an dieser Stelle soll nicht weiter darüber theoretisiert werden, dass die Voraussetzungen in unserem System so gesetzt wurden, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht etwa der Wagenlenker, sondern lediglich der Kindersitzinsasse hinterm Spielzeuglenkrad ist. Stattdessen sei auf ein Stück Empirie verwiesen, das exemplarisch verdeutlicht, wie es sich bei den Massenmedien als vierter Gewalt um nicht viel mehr als eine Attrappe demokratischer Partizipation zumindest in einem umfassenderen und wirklich pluralen Sinne handelt. Ein kürzlicher Beitrag im Deutschlandfunk zeigt für die massenwirksamen Medien am Beispiel ihrer  Berichterstattung über die USA vs. Russland sehr schön auf, mit welch Einseitigkeit und Befangenheit vorgegangen wird: “Zweierlei Maß? Die Berichterstattung über Russland und die USA” (Walter van Rossum)

Die im Beitrag dargestellte Verharmlosung und Ausblendung einschlägig negativer Fakten im Falle der USA, sowie die häufig schlecht recherchierte, nachplappernde Negativberichterstattung im Falle Russlands wäre aus der oben dargestellten liberal pluralistischen Sichtweise heraus als dysfunktional zu betrachten, erlaubt sie den Bürgerinnen und Bürgern doch keine faktenorientierte und somit “objektive” Meinungsbildung. Wie kommt es also zu ihr?

Eine nahe liegende Erklärung ist, dass die Massenmedien eben nicht liberal-pluralistisch zu verstehen sind, sondern ganz in marxistischer Sichtweise, stets die Interessen der herrschenden Klasse bedienen: “Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.” (MEW 3). Auf Russland ist Deutschland mit seinen Eliten seit einiger Zeit nicht mehr gut zu sprechen, nachdem die dortige politische Führungsetage nicht wie vom Westen gewünscht einen marktliberalen Weg in Reinform einschlagen wollte, um dem deutschen Unternehmertum (vulgo: Kapital) das wirtschaftliche Spielfeld ganz zu überlassen, sondern stattdessen auch Staatseingriffe und Staatseigentum vorsieht. So rückschrittlich auch oligarchische Strukturen in Russland sein mögen, das, was von der hiesigen Presse zu Weilen als Demokratiebewegung in den Himmel geschrieben wird, scheint zu einem nicht unerheblichen Teil aus Marktfanatikern im Verbund mit rechtsextremen Kräften zu bestehen.

Kommen wir aber zurück auf die Rolle der hiesigen Medien und fragen uns, wie es denn möglich sein kann, dass sie so konform liegen mit den Interessen der deutschen neoliberalen Einheitspartei bestehend aus CDU, SPD, Grünen und FDP in ihrem Druck auf Russland in Richtung mehr Demokratie, v.a. aber mehr freier Markt. In einer formalen Demokratie wie Deutschland besteht – im Gegensatz zu totalitären Regimen – keine direkte Weisungsmöglichkeit der Politik gegenüber den Medien. Systemkonforme Übertragungsmechanismen müssen also eleganter ausgestaltet sein. In welcher Weise dies der Fall ist, das hatten Herman und Chomsky in ihrem “Propaganda Model” bereits 1988 ausgearbeitet. Obwohl mittlerweile vielfach empirisch bestätigt, ist dieses Modell kaum in den Sozialwissenschaften zur Kenntnis genommen worden (warum nur?!). Die Autoren gehen von fünf Filtern aus, die hintereinandergeschaltet die ganze Pluralität möglicher Weltbilder herunterdampfen auf das, was an Meinungsvielfalt übrig bleibt, wenn man sich als links denkender Mensch im TV bei Maybrit Illner oder Anne Will Bluthochdruck einhandelt, weil wieder einmal der Raum der Denkmöglichkeiten durch das Meinungsnadelöhr der Mietmäuler oder Karteilobbyisten von INSM, Konvent für Deutschland & Co. gepresst wird. Dabei handelt es sich bei diesen Sendungen sogar um öffentlich-rechtliche Formate, auf die nicht einmal alle Filter des Systems einwirken können.

Herman und Chomsky zeigen analog zur verzerrten und einseitig befangenen deutschen Berichterstattung USA vs. Russland, wie sie im o.g. Radiobeitrag deutlich wird, die Berichterstattung der US-amerikansichen Massenmedien auf, die ebenso eine Blindheit und Verharmlosung gegenüber den Untaten befreundeter Staatssysteme erkennen lassen, während sie gegenüber gegnerischen Systemen allzu gern mit großer Phantasie und schlechter Recherche vorgehen, wenn es sich um diskreditierende Umstände handelt. Insgesamt kann man in beiden Fällen also beobachten, wie Massenmedien durch die Auswahl und Darstellung von Informationen die Grundfesten des Systems, in dem sie sich befinden, nicht etwa begründet hinterfragen, sondern zu ihrem Erhalt beitragen, auf Kosten der beobachtbaren Entwicklungen. Sie schaffen also nicht die Voraussetzungen dafür, dass die Bevölkerung Souverän des politischen Geschehens sein kann, sondern sie machen Politik und zwar eine im grundlegenden Sinne ihrer Geldgeber oder eben Kapitaleigner. Wer sich also mit der historischen Rolle der US-Medien und den Mechanismen der medialen Homogenisierung in demokratischen Systemen auseinandersetzen will, sei auf besagte Autoren und ihr Modell verwiesen: “A Propaganda Model” (Herman und Chomsky, 1988)

Jascha Jaworski

Ein Kommentar

  1. Ein sehr guter Artikel, der die aktuellen Grenzen “unserer” Demokratie aufzeigt.
    Diese “bürgerliche Demokratie” hat aber auch strukturelle, systembedingte Grenzen. Darauf hat der olle Marx schon ausgiebig hingewiesen.
    Ein System,das seine ökonomische Grundlage, somit die materielle Existenzbasis seiner Bürger_innen demokratischen Spieleregeln entzieht und sich ausschließlich nach der Logik privater Profitmaximierung ausrichtet,kann in seiner Grundstruktur schon nicht als demokratisch bezeichnet werden.
    Nach der bestehenden Systemlogik war und ist “unsere” Demokratie schon immer “marktkonform” gewesen. So gehört es zu den wenigen Verdiensten von “Mutti Angi”, das endlich einmal deutlich ausgesprochen zu haben. Ohne es zu wollen,hat sie damit die eh schon stark blätternde Fassade “unseres Demokratiegebäudes” angerempelt.
    Weiter so Angi!
    Die Entlarvung unserer “kritisch,liberalen und pluralen” Mainstreammedien als weitgehend systemtreue Propagandainstrumente finde ich in diesem Artikel als sehr wohltuend.
    Besonders wenn Interessen des sog. “Westens” oder “unserer Wertegemeinschaft” berührt werden,
    schalten die meisten Medien in den Propagandamodus um (Berichterstattung über Russland, China, Iran, Venezuela etc.).
    Dabei bildet in der Regel auch der Deutschlandfunk in seinen Nachrichtenblöcken und politischen Kommentaren keine Ausnahme.In den Features sieht das dagegen schon anders aus.

    Vielen Dank für die intelligenten und kritischen Beiträge von Maskenfall.

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