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Menschlichkeit war gestern – Frontex ruft zum Fotowettbewerb

Es ist wieder soweit, die Grenz”schutz”agentur Frontex, die Europas Wohlstands- und Ausbeutungsapparat vor Menschen “schützen” soll, die nicht das Glück hatten, mit dem richtigen Personalausweis geboren worden zu sein, schreibt ihren jährlichen Fotowettbewerb aus. Die PR Aktion unter dem diesjährigen Titel “Ties that Bind: Bridging borders in modern Europe” (“Verbindungen, die verbinden: Grenzen überbrücken im modernen Europa”, als Alternativübersetzung bietet sich “verschnüren” an), soll wohl nicht nur der Agentur selbst dauerhaft ein positives Image im unkritischen Gesellschaftsteil verschaffen, sondern zugleich auch noch die diversen Grenzregime aus der Ecke von Menschenjagd und -abwehr in ein freundschaftlich-kooperatives Licht zerren. Der Ausschreibungstext lautet [Übers. des Verfassers]:

“Während Grenzen sehr oft präsentiert werden als Barrieren zwischen Menschen, werden sie selten diskutiert als wesentliche Kreuzungen der gesellschaftlichen Integration. Teilnehmer dieses Wettbewerbs werden dazu aufgefordert Fotos zu machen, die die einzigartige Natur europäischer Grenzen aufzeigen. Die Einsendungen sollten die Bedeutung und Wirkung von Grenzen in ihrer Rolle als Verbindungspunkt diverser Art erfassen: physikalisch, psychologisch, sozial, kulturell, ökonomisch und ethnisch.”

Wer diese Aspekte einer Grenze gleich in einer ganzen Reihe von Bildern sehen will, sei auf folgendes Video aus dem Jahr 2009 verwiesen, bei dem eine Gruppe von Aktivist_innen ein Gefangenenlager zur Verwahrung von Flüchtlingen auf der Insel Lesbos (Griechenland) in Augenschein nahm, um die menschenunwürdigen Zustände zu dokumentieren:

Es sind diese Menschen, die Grenzen auf der Flucht vor Gewalt, Krieg und sonstigem Leid überwinden und dann unter grausamen Bedingungen eingepfercht werden. Wie einer der Insassen berichtete, gab es alle drei Tage kein Wasser, sowie Elektrizität nur in der Nacht. Unter den schmutzigen, heruntergekommenen und überfüllten Zuständen machte die Mitleidslosigkeit der Verwalter und Verantwortlichen selbst gegenüber Frauen und Kindern, sowie Kranken keinen Halt. Einige berichten, bereits seit Monaten an dem Ort festgehalten worden zu sein. Unter dem Druck der Aktivist_innen wurde dieses Lager in der Folgezeit glücklicherweise geschlossen.

Dennoch, die perfide Lagerinhaftierung unter menschenverachtenden Bedingungen existiert weiter. Und nur für den Spezialfall Griechenland hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rückschiebungen nach Griechenland gemäß Dublin-II-Verordnung (dergemäß immer jenes Land für Aufenthalt und Asylantrag zuständig ist, in dem ein Flüchtling erstmals EU Boden betritt) ausgesetzt. In andere Länder der EU, die ebenso menschenverachtende Lager unterhalten wird hingegen weiterhin gegen den Willen der Flüchtlinge eine Rückschiebung veranlasst. Zudem entarten gerade in Zeiten der von der EU verordneten Kürzungsprogramme in Südeuropa aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs Rassismus und Gewalt gegenüber Migrant_innen. Doch auch in Deutschland bestehen nach erfolgtem Grenzübertritt weiterhin Grenzen für Flüchtlinge, die sie bis in den Selbstmord treiben.

In Anbetracht derartiger Auswirkungen von Grenzen, in Anbetracht der mit ihnen verbundenen demütigenden und gnadenlosen Abschiebepraxis, und in Anbetracht der tausenden Menschen, die in ihrer Verzweiflung an den Grenzen ihr Leben lassen, eine derart geschmacklose und propagandistische Werbeaktion laufen zu lassen, sollte uns schon darüber zu denken geben, welches Bild die Machthabenden von ihren Untertanen haben. Die Zivilisation ist auch an diesem Beispiel sichtbar auf ihrem Rückzug. Der Weg, den sie hierbei wählt, führt offenbar durch das Disney Land der Massenverdummung.

Stellen wir uns tagtäglich die Frage, mit der uns unsere Mitmenschen, die keine Eintrittskarte für dieses Disney Land besitzen, konfrontieren können:

“Warum dürft ihr reisen und wir nicht? … Wir atmen dieselbe Luft. Wir trinken beide Wasser und müssen beide essen. Warum haben wir nicht dieselben Rechte wie ihr?” (afrikanische Aktivistin des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact).

Jascha Jaworski

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