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Leserfragen an Maskenfall – Nr. 1: Finanzierung der Exporte

Wer unsere Seite seit einiger Zeit verfolgt, dürfte über die Problematik des deutschen Wirtschaftsmodells informiert sein. Wer dies nicht ist, hat auch aufgrund aktueller Geschehnisse die Möglichkeit, dies nachzuholen [1].

Einer unserer Leser hat uns vor einiger Zeit berechtigte Fragen rund ums Thema deutsche Exportüberschüsse zukommen lassen, die sich ihm aufbauend auf bisherigen Inhalten stellten und wohl allgemein eher selten behandelt werden. Dies soll Anlass für uns sein, sie nach und nach aufzugreifen, um damit auch anderen interessierten Leser_innen das entsprechende Informationsangebot zu eröffnen.

Die erste Frage, die an dieser Stelle behandelt werden soll, lautet (Zitat der Leser-Frage):

„Leistungsbilanzdefizite und die damit einhergehende Verschuldung einer Volkswirtschaft sind vor dem Hintergrund der fünf Konten der volkswirtschaflichen Gesamtrechnung sehr gut verständlich. Beim Versuch, nachzuvollziehen, wie der Verschuldungsvorgang konkret abläuft, wird es für mich jedoch schwierig. Könntet Ihr das konkret greifbar beschreiben? Wer verschuldet sich bei einem Warenimport genau bei wem – und: wann kommt dabei der Staat als Schuldner ins Spiel (wenn er nicht gerade selbst als Käufer von – z. B. militärischen – Gütern tätig wird)? Schließlich läuft ein großer Teil der Importe sicherlich über nichtfinanzielle Unternehmen und private Haushalte. Und: Gäbe es für eine bereits stark verschuldete Volkswirtschaft irgendeine Möglichkeit, sehr kompetitive ausländische Produkte einfach nicht zu kaufen?“

Zunächst einmal kann man sich vor Augen halten, dass Leistungsbilanzüberschüsse stets durch Schulden – in welcher Form auch immer – zu finanzieren sind, da es sich ansonsten ja um eine einseitige Transaktion handelte, bei der jemand eine Leistung ohne unmittelbare Gegenleistung erhielte. Derartiges würde jedoch in der Leistungsbilanz unter der Position „laufende Übertragungen“ gesondert aufgeführt und wäre somit im Leistungsbilanzsaldo bereits enthalten. Bei der Frage, wer sich genau bei wem verschuldet hat, gibt es nun unzählige Varianten. So kann etwa eine südeuropäische Firma deutsche Erzeugnisse kaufen und eine Überweisung von ihrem heimischen Konto auf das Konto der exportierenden Firma in Deutschland vornehmen lassen. In diesem Fall hätte die deutsche Firma dann zusätzliches Bankguthaben bei ihrer heimischen Bank, also zusätzliche Forderungen gegen diese. Die Bank in Deutschland wiederum hielte entsprechende Forderungen gegen die südeuropäische Bank. Bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz würden derartige Transaktionen entsprechend symmetrisch verlaufen, so dass die Summe aus Forderungen und Verbindlichkeiten über die Grenzen hinweg gesamtwirtschaftlich null betragen würde. Eine andere Variante wäre es, wenn die südeuropäische Firma für den Kauf eines Erzeugnisses aus Deutschland einen Kredit bei einer Bank in Deutschland aufnähme. Sie würde also eine längerfristige Verbindlichkeit eingehen und dafür liquide Mittel erhalten, die ihr vielleicht zunächst auf ihr Konto bei einer Bank in Südeuropa überwiesen würden. Die südeuropäische Bank hielte dann eine Nettoforderung gegenüber der deutschen Kreditgeberbank. Der Betrag könnte dann wiederum einer Zielbank zurück nach Deutschland überwiesen werden, bei der schließlich das deutsche Exportunternehmen sein Konto hätte. Somit wären die liquiden Mittel wieder in Deutschland, das südeuropäische Unternehmen hingegen behielte seine langfristige Verbindlichkeit gegenüber der deutschen Bank, bei der es den anfänglichen Kredit aufnahm. Nun kann man sich viele Kombinationen überlegen, wie die Akteure der unterschiedlichen Sektoren der jeweiligen Länder miteinander Forderungen und Verbindlichkeiten austauschen, um die Waren- und Dienstleistungstransaktionen zu finanzieren. Will man einen Überblick darüber erhalten, welche Instrumente genutzt wurden, um den deutschen Leistungsbilanzüberschuss letztlich zu finanzieren, bietet sich ein Blick in die Kapitalbilanz [2] an (z.B. S. 7 ab Spalte 18). Hier wird aufgeführt, welche Instrumente per Saldo zur Finanzierung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse genutzt wurden, ob z.B. mehr ausländische Wertpapiere von deutschen Akteuren gekauft wurden als deutsche Wertpapiere ins Ausland verkauft wurden. Ein negativer Saldo könnte hierbei z.B. ausweisen, dass Akteure aus Deutschland ihr Geld stärker in ausländischen Wertpapieren angelegt haben, als ausländische Akteure in deutschen Wertpapieren. Die hierbei geflossenen Mittel konnte das Ausland somit nutzen, um wiederum deutsche Erzeugnisse zu kaufen (eine Alternative zu Krediten).

Einen weiteren schönen Überblick zur Finanzierungsseite liefert die Gesamtübersicht zum „Vermögensstatus der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Ausland“ (siehe S. 98, 99 obiger Quelle). Hier werden nicht die jährlichen Finanzströme aufgeführt, sondern die Vermögensbestände der einzelnen Sektoren gegenüber dem Ausland. Verrechnet wurden Forderungen gegen Verbindlichkeiten (siehe unteres Drittel, „Saldo“). Hier sieht man, wie die Gesamtheit der Akteure in Deutschland ihr Auslandsvermögen über die Jahre seit Bestehen des Euro rasch ausgebaut hat.1 [3] Hier lässt sich gut ablesen, dass nicht nur die monetären Finanzinstitute aus Deutschland ihre Nettoforderungen gegenüber dem Ausland stark ins Positive entwickelt haben, sondern v.a. die Unternehmen und Privatpersonen in hohem Maße Halter von Nettoauslandsforderungen sind, während die öffentlichen Haushalte sich mehr und mehr gegenüber dem Ausland verschuldet haben.2 [4] Interessant zu beobachten ist auch, dass ab 2008 die monetären Finanzinstitute aus Deutschland ihre Nettoforderungen gegenüber dem Ausland rasch abgebaut haben, während die Bundesbank im gleichen Zeitraum rasch weitere Nettoforderungen aufbaute. Hierbei handelt es sich um den mittlerweile berühmt-berüchtigten TARGET2 [5] Saldo, der aus dem finanziellen Verrechnungssystem zwischen den nationalen Zentralbanken und der EZB resultiert und u.a. daher rührt, dass seit Beginn der Finanzkrise vermehrt Kapital von ausländischen Konten nach Deutschland transferiert wurde und nun Akteure aus dem Ausland Teile ihrer Ersparnisse z.B. auf deutschen Banken liegen haben oder in deutschen Staatsanleihen angelegt haben, somit also im ersteren Fall Forderungen gegen deutsche Banken aufgebaut haben3 [6], dafür jedoch den Banken im Ausland die entsprechenden Mittel fehlen und ihnen diese über den Umweg über die EZB von der Bundesbank via TARGET2-System geliehen wurden.4 [7]

Die Finanzierungsseite der Leistungsbilanzsalden ist im Einzelnen also recht verschlungen und kann über zahlreiche unterschiedliche Akteure und Finanzierungsinstrumente vermittelt sein. Was jedoch bleibt, ist ein sich auftürmender Schuldenberg des Auslands gegenüber der deutschen Volkswirtschaft insgesamt, aus dem wiederum Jahr für Jahr Zinsen und sonstige Kapitalkosten resultieren. Vor Augen halten sollte man sich noch, dass mit Beginn des Euro die Wechselkursrisiken wegfielen, weshalb Auslandsfinanzierungen, die für Leistungsbilanzüberschüsse unerlässlich sind, innerhalb der Eurozone über Landesgrenzen hinweg wesentlich befördert wurden. So dürfte allgemein bekannt sein, dass sich die Zinsraten zwischen den Ländern weitgehend angeglichen hatten und sich auf diese Weise die Kreditaufnahme über Landesgrenzen hinweg innerhalb der Eurozone ausweitete5 [8], wodurch wiederum die Privatsektoren in einigen Ländern (z.B. Spanien) ein kreditgetragenes Wachstum aufwiesen, das zunächst hervorragend dazu in der Lage war, die Problematik zunehmend negativer Leistungsbilanzsalden6 [9] zu verdecken.

Um auf den letzten Teil der Frage noch einzugehen, ob es für eine bereits stark verschuldete Volkswirtschaft eine Möglichkeit gäbe, sehr wettbewerbsfähige ausländische Produkte einfach nicht zu kaufen, sei zunächst darauf verwiesen, dass Handelsbeschränkungen wie Zölle innerhalb der EU aufgrund des gemeinsamen Binnenmarktes ja zumindest nicht über den regulären Weg möglich sind. Zwar könnte man den eigenen Verhaltensmöglichkeiten entlehnt nun auf die Idee kommen, per willentlichem Akt ausländische Waren einfach nicht mehr zu kaufen, doch funktioniert eine nicht zentral gesteuerte Volkswirtschaft so eben nicht. Es müssten sich schon die inländischen Akteure absprechen, dass sie einfach z.B. keine deutschen Waren mehr kaufen. Dies jedoch ist illusorisch. Einerseits, da es sich um Millionen Akteure handelt, die ein sehr aufmerksames und aufwendiges Verhalten an den Tag legen müssten, andererseits, da sie dadurch wiederum selbst in Schwierigkeiten kämen, da ihre Konkurrenten, die sich nicht an die Vereinbarung hielten, wiederum entscheidende Kostenvorteile daraus zögen und so letztlich das gewünschte Verhalten innerhalb der marktwirtschaftlichen Konkurrenzbedingungen gerade zu seiner eigenen Abschaffung beitrüge. Nicht umsonst wurde immer wieder darauf verwiesen, dass die Kombination aus gemeinsamem Binnenmarkt und fehlendem Wechselkursmechanismus eine strikt eingehaltene gesamtwirtschaftliche Zielinflationsrate notwendig gemacht hätte.

 
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  1. Für die Diskrepanz zwischen Auslandsvermögen und kumulierten Leistungsbilanzüberschüssen siehe Böckler Impuls 07/13 „Exportmodell: Verlorene Überschüsse“ [11] [ [12]]
  2. Nicht gleichzusetzen mit Staatsverschuldung, da diese meistens die Bruttoverbindlichkeiten gegenüber allen anderen Wirtschaftssektoren (egal ob In- oder Ausland) meint. [ [13]]
  3. Daher u.a. der Rückgang der Nettoforderungen monetärer Finanzinstitute in Deutschland gegenüber dem Ausland, weil ihre Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland angestiegen sind und der positive Saldo sich somit verringert hat. [ [14]]
  4. Für eine kurze Erläuterung hierzu siehe z.B. IMK Report Nr. 67 [15], S. 6/7 [ [16]]
  5. Siehe hierzu auch Flassbeck & Lapavitsas (2013), The Systemic Crisis of the Euro – True Causes and Effective Therapies [17], ab S. 18 [ [18]]
  6. Vornehmlich aufgrund der deutschen Eroberung von Marktanteilen über gesamtwirtschaftliche Lohnzurückhaltung [ [19]]