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Leserfragen an Maskenfall – Nr. 2: Lohnentwicklung im Industrie- und Dienstleistungsbereich

Wir fahren fort damit, Fragen von Leser_innen aufzugreifen und behandeln nun die folgende Frage:

 

 „Es wird im Zusammenhang mit dem deutschen Exportboom der vergangenen Dekade von >>Lohndumping<< gesprochen. Auf Grund der gesunkenen Reallöhne seien deutsche Produkte in Europa konkurrenzlos günstig geworden. Lässt sich das Lohndumping auch für die in der deutschen Exportindustrie gezahlten Löhne nachweisen und beschreiben? Haben z.B. Facharbeiter, Techniker, Ingenieure und BWLer eine im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Lohnentwicklung erlebt? Oder zugespitzt gefragt: Inwiefern tragen Friseure und Kassiererinnen des Niedriglohnsektors zur Senkung der Lohnnebenkosten der Exportwirtschaft bei?“

 

Zunächst kann man darauf verweisen, dass Dienstleistungsberufe und klassische Industrieberufe im gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozess eng miteinander verwoben sind. Zwar mag einem schnell die Facharbeiterin aus dem Automobilbereich in den Sinn kommen, denkt man an einen jener Bereiche, in denen die deutsche Volkswirtschaft besonders konkurrenzfähig ist, doch wird dabei leicht vergessen, welche sonstigen Leistungen notwendig waren, um das für den Export fertige Automobil hervorzubringen. Die Kosten, die diese zusätzlichen Arbeitsleistungen jedoch in den Produktionsprozess einfließen lassen, sind für den Endpreis auch von industriellen Exportgütern ganz entscheidend. Daher genügt es nicht, allein auf die Lohnentwicklung der besonders mit industrieller Produktion assoziierten Berufsgruppen zu schauen.

In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird die Entstehungskette aller Güter durch den Produktionswert erfasst, bei dem die Waren und Dienstleistungen, die von einem jeden Produzenten innerhalb einer bestimmten Zeitperiode verkauft, zusätzlich in den Bestand aufgenommen oder als eigene Anlage erstellt werden, summiert werden. Da dieser Produktionswert nun jedoch auch auf den Vorleistungen jeweils anderer beruht, so dass es hier zu Mehrfachzählungen erstellter Werte kommen würde, werden die Vorleistungen subtrahiert. Man erhält die Bruttowertschöpfung (die eng verwandt mit dem BIP ist).

Auch solche Warengruppen, die zu einem großen Teil exportiert werden, beruhen in erheblicher Weise auf Vorleistungen. Will man nun einen Eindruck der wirtschaftlichen Verflechtungen unterschiedlicher Sektoren bei den Vorleistungen erhalten, bietet sich ein Blick in die sog. Input-Output-Analyse an.1 [1] Hierbei zeigt sich etwa, dass im Jahr 2009 Dienstleistungen im Wert von 1120 Mrd. Euro als Vorleistungen produziert wurden und nicht dem direkten Endverbrauch dienten2 [2]. 30,2% dieser Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich wurden hierbei von der verarbeitenden Industrie in Anspruch genommen. Somit muss man also davon ausgehen, dass bereits aufgrund von Vorleistungsverflechtungen eine Lohn„zurückhaltung“, die sich lediglich im Dienstleistungssektor ereignet hätte, in erheblicher Weise auf die Endkosten auch der exportierenden Industrieunternehmen gewirkt hat. Darüber hinaus werden in der Input-Output-Analyse noch nicht einmal sämtliche Dienstleistungen auch tatsächlich dem Dienstleistungsbereich zugeordnet, sondern es werden solche Tätigkeiten, die für den industriellen Produktionsprozess innerhalb eines Unternehmens unerlässlich sind (z.B. Verwaltung) weiterhin dem der verarbeitenden Industrie hinzugerechnet.

Betrachtet man nun die Entwicklung der Lohnstückkosten nur innerhalb der verarbeitenden Industrie, lässt sich auch hier eine deutliche Lohn„zurückhaltung“ erkennen, wie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu entnehmen ist:

 

ulc-manufacturing [3]

 

Die nominalen Lohnstückkosten für diesen Sektor, die hier das nominale Arbeitnehmerentgelt der im Sektor Beschäftigten ins Verhältnis zur realen Bruttowertschöpfung (s.o.) des Sektors setzen, zeigen auf, dass die Beschäftigten auch hier erhebliche Lohneinbußen gemessen an einer produktivitäts- und zielinflationsorientierten Lohnentwicklung hinzunehmen hatten. Zu welchem Anteil die schlechte Entwicklung der Lohnstückkosten hierbei nun auf der Lohnentwicklung bei bestimmten Dienstleistungsberufen (z.B. Verwaltung, Transport, Reinigung etc.) in diesem Sektor beruht oder eben auf die Entwicklung bei den Ingenieurs- oder Facharbeiterlöhnen zurückzuführen ist, ist hierbei egal, da die Beschäftigten insgesamt die in diesem Sektor erzeugte Wertschöpfung erbringen und somit auch die Kostenstruktur der Unternehmen bedingen. Eine Beurteilung der Lohnentwicklung von Ingenieuren unter Gesichtspunkten der Preisentwicklung in bestimmten Bereichen wäre nicht einmal sinnvoll möglich, da hierzu die Lohnstückkosten speziell für die Ingenieure heranzuziehen wären, die wiederum auf der Produktivitätsentwicklung speziell der Ingenieursgruppe basieren würde. Produktivität lässt sich jedoch nicht für einzelne Beschäftigtengruppen ermitteln, da sie stets das Ergebnis eines Gesamtrahmens ist. Die Frage nach der Lohnentwicklung von IngenieurInnen oder FacharbeiterInnen unter dem Aspekt der preislichen Wettbewerbsfähigkeit stellt sich also gar nicht.

Doch dieser Umstand gilt in abgeschwächter Weise auch für die Beschäftigten außerhalb der verarbeitenden Industrie, da sie durch zahlreiche Vorleistungen in die Kostenstruktur dieses Sektors hineinwirken, wie die obigen Ausführungen zur Input-Output-Analyse zeigen. Somit müssten sich die Lohnstückkosten der verarbeitenden Industrie noch nicht einmal derart schwach entwickelt haben, wie dies hier zu beobachten ist, um dennoch davon ausgehen zu können, dass es letztlich doch eine insgesamt geringe Lohnentwicklung in Deutschland gewesen ist, die die geringe gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung hervorgebracht hat, mit der Deutschland schließlich zu immensen Leistungsbilanzüberschüssen gelangte.

Eine strenge Produktivitätskopplung der Löhne sollte ohnehin gesamtwirtschaftlich gelten, d.h. die Löhne sollten sich durchschnittlich gemäß der gesamtwirtschaftlichen Produktivität plus Zielinflationsrate entwickeln, da auf diese Weise alle Beschäftigten in der Volkswirtschaft etwas vom technischen Fortschritt hätten und nicht nur bestimmte Berufsgruppen innerhalb der Industrie. Auf diese Weise würde eine dramatische Lohnspreizung verhindert werden und es käme über eine Veränderung der relativen Preise (Dienstleistungen steigen im Preis gegenüber Industrieprodukten) auch zu der Möglichkeit, die Lohnsteigerungen in den jeweiligen Segmenten durchzuhalten.

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  1. siehe z.B. „Die Industrie – ein wichtiger Treiber der Nachfrage nach Dienstleistungen“ [5], DIW Wochenbericht Nr. 34, 2013. [ [6]]
  2. siehe Quelle Fußnote 1, S. 20 [ [7]]