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Leserfragen an Maskenfall – Nr. 3: Wie bedeutsam sind die Löhne bei Preisen und Leistungsbilanzen genau?

Wir fahren fort in der Reihe Fragen an Maskenfall (siehe bisher Frage 1 [1], Frage 2 [2]) und greifen nun folgende auf:

„Ökonomen wie u.a. Heiner Flassbeck, Heinz-Josef Bontrup oder in den USA Paul Krugman betonen das […] Problem der vergleichsweise zu niedrigen deutschen Löhne als Erklärung für die immensen Leistungsbilanzungleichgewichte im EURO-Raum. Das scheint plausibel zu sein. Allerdings: Löhne sind sicher nur ein Teil der Kosten aus Unternehmersicht, die in die Preisstruktur eines Gutes eingehen. Wie also ist im Mittel das Verhältnis von Löhnen zu anderen im Preis abgebildeten Kosten für Exportgüter? Und genauer: Kann vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Kostenteile des Preises allein auf die Lohnentwicklung für die Herausbildung der Handelsbilanz- und damit der einseitigen Vermögens- bzw. Schuldenaufbauproblematik abgestellt werden?“

 

Zunächst kann man sich vor Augen halten, dass aus der Sicht des einzelnen Unternehmens die Löhne und Gehälter der eigenen MitarbeiterInnen zwar nur einen Teil der Kosten ausmachen, da wie in der Frage angestimmt, noch weitere Kosten anfallen (z.B. Anschaffungs- und Reparaturkosten für Maschinen, Kosten für die Vorprodukte, Steuern etc.), doch auch diese basieren wiederum zum größten Teil auf Arbeitskosten der die damit verbundenen Leistungen erbringenden abhängig Beschäftigten aus dem Privat- und Staatssektor. Vorprodukte etwa beruhen zum größten Teil auf den Arbeitskosten jener Unternehmen, die diese hergestellt haben. In einer stark arbeitsteiligen Volkswirtschaft resultiert somit der Hauptteil aller Kosten aus Löhnen und Gehältern. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung erlaubt hierbei die Unterteilung in drei Komponenten: 1. Arbeitnehmerentgelt (Summe der Löhne und Gehälter, sowie Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungssystemen), 2. Produktions- und Importabgaben abzüglich Subventionen des Staates, 3. volkswirtschaftlicher Bruttobetriebsüberschuss, der sich als Restgröße zum BIP ergibt. Das Arbeitnehmerentgelt nimmt hierbei den weitaus größten Anteil ein und lag im Falle Deutschlands im Jahr 1999 bei 54% des BIP1 [3].

So muss es also nicht verwundern, wenn Löhne und Gehälter der zentrale Einflussfaktor bei der Preisentwicklung sind. Und tatsächlich, im Vergleich zwischen den zwölf Eurozonenländern, die seit 1999 in der Gemeinschaftswährung sind2 [4], wird die zentrale Rolle der Lohnentwicklung bei der stark divergierenden Preisentwicklung deutlich. Betrachtet man die Steigerung der nominalen Lohnstückkosten3 [5] im Zeitraum von 1999 bis 2007 (also in jenem Zeitraum, bevor es zur Finanzkrise, ihren ökonomischen Verwerfungsprozessen und den eingeleiteten Austeritätsprogrammen kam) und setzt sie in den Vergleich zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Preisentwicklung (BIP-Deflator) für den selben Zeitraum, ergibt sich ein beachtlich enger Zusammenhang (r = .93, R² = .86)4 [6]:

 

Deflator-Lohnstückkosten [7]

 

Die Unterschiede in der Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten erklären also die Unterschiede in der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Preise über die Eurozonenländer hinweg fast perfekt. Dies muss auch daher nicht verwundern, da einer der anfangs genannten beiden weiteren Kostenfaktoren im Wirtschaftsprozess, nämlich die Produktions- und Importabgaben abzüglich Subventionen letztlich der Lohnentwicklung „anhängt“. Werden nämlich die staatlichen Abgaben in ihrer prozentualen Höhe nicht grundlegend neu fixiert, ergibt sich ihre Varianz aus der Varianz der umgesetzten Güter und Dienstleistungen, denen wiederum als Hauptnachfragebasis die Löhne (und die von ihnen abhängigen Renteneinkommen) zugrunde liegen.

Um zum zweiten Teil der Frage zu kommen: Was die Rolle der Lohnentwicklung bei der Herausbildung der Leistungsbilanzungleichgewichte betrifft, so ist im Zeitraum von 1999 bis 2007, also jenem Zeitraum, bevor es zum Ausbruch der Finanzkrise und den eingeleiteten Austeritätsprogrammen kam, ein klarer Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Entwicklungen der nominellen Lohnstückkosten einerseits und den Verschiebungen in den Leistungsbilanzensalden andererseits erkennbar:

 

Leistungsbilanz-Lohnstückkosten [8]

 

Nur Griechenland und die Niederlande weichen hier stärker vom Zusammenhang ab, doch ist die zentrale Rolle der Lohnstückkosten problemlos an den Leistungsbilanzsalden ablesbar, wie das Gesamtbild zeigt.

 

Hängt die „Schuldenaufbauproblematik“, wie in der Frage formuliert, also „allein“ an der unterschiedlichen Lohnentwicklung?

So monokausal würde ich es nicht sehen wollen, der Gesamtrahmen der Eurokrisenbahnung beinhaltet schon mehr. Schließlich führte der Wegfall der Wechselkursrisiken mit dem Beginn des Euro dazu, dass leichter Kredite vergeben werden konnten, so dass grenzüberschreitender Handel zunahm. Auch hatten die einzelnen Eurozonenländer jeweils unterschiedliche Wirtschaftspfade, die dazu führten, dass zunächst die Leistungsbilanzunterschiede von vielen nicht zur Kenntnis genommen wurden. Spanien etwa hatte mit seinem Bauboom, der starken Privatverschuldung und den daraus resultierend hohen Wachstumsraten den zunehmend negativen Leistungsbilanzsaldo zunächst überdecken können. Die divergierende Lohnstückkostenentwicklung hat jedoch die enormen preislichen Unterschiede herbeigeführt, die spätestens in dem Moment zum virulenten Problem wurden, als im Zuge der Finanzkrise genauer auf die Entwicklung der Einzelländer geschaut wurde. Und auch die desaströsen Umstrukturierungsprogramme v.a. in Südeuropa werden unter dem Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“ abverlangt. Anstatt jedoch den Hauptabweichler vom Zielpfad der Lohnstückkostenentwicklung wieder auf den Pfad zurückzuholen, sollen die Länder der Eurozone zunehmend die Lohnzurückhaltung Deutschlands nachholen, was – wie die Krisenentwicklung zeigt – ein scheiterndes Unterfangen ist. Deutschlands „Erfolg“ gründete gerade darauf, dass die anderen den Ersatznachfrager für die ausgefallenen Löhne als Massenkaufkraft machen konnten. Nun, da alle dies wiederholen sollen, befindet sich die Eurozone in Deflation und Stagnation, zahlreiche Länder in teilweise tiefer Rezession, die Massenarbeitslosigkeit ist innerhalb kurzer Zeit enorm angestiegen und insgesamt ist unbekannt, wie sich die Lage überhaupt verbessern soll. Die Lohnentwicklung sollte jedoch nicht nur deshalb in den Fokus genommen werden, weil sie die Leistungsbilanzunterschiede am besten erklärt, sondern auch deshalb, da Löhne nun einmal der zentrale Faktor innerhalb einer modernen Volkswirtschaft sind, jedoch nicht allein der zentrale Kostenfaktor, sondern eben zugleich die Hauptbasis einer tragfähigen Nachfrage. Und zugleich sind sie ein sehr bedeutsamer Verteilungsmechanismus.

 
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  1. Diese Quote sollte nicht mit der häufig verwendeten Lohnquote verwechselt werden, welche das Arbeitnehmerentgelt ins Verhältnis zum Volkseinkommen setzt [ [10]]
  2. Ausnahme ist hier Griechenland, das erst 2001 beitrat [ [11]]
  3. also die Lohnsteigerung unter Berücksichtigung der Produktivitätsentwicklung, Erinnerung: nominale Lohnstückkosten = nominales Arbeitnehmerentgelt / reales BIP [ [12]]
  4. 86% der Varianz der Preisentwicklung lassen sich auf Varianz der Lohnstückkostenentwicklung innerhalb der Eurozone 12 zurückführen (i.S. einer Varianzaufklärung, R², im Rahmen einer linearen Regression). Dieser Umstand kann nicht damit gleichgesetzt werden, dass etwa 86% des Preises Lohnkosten seien. Bei der Anwendung der Regression hier geht es nur darum, Aufschluss darüber zu erhalten, inwiefern sich Preisunterschiede im internationalen Vergleich und über die Zeit auf Unterschiede bei der Lohnstückkostenentwicklung zurückführen lassen. [ [13]]