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Zum tiefen Staat und der Hoffnung auf den Citoyen

Nachdem 2013 stark geprägt war von den Enthüllungen rund um die Geheimdienste NSA und GCHQ könnte man darauf hoffen, dass die westliche Erzählung von der “besten aller möglichen Welten”, in der die “repräsentative Demokratie” dafür sorgt, dass sich das “Gemeinwohl” weitgehend durchsetzt und in der den Bürgerinnen und Bürgern die wesentlichen politischen Prozesse, ihre Konsequenzen und “Notwendigkeiten” weitgehend transparent sind, endlich auch in weiten Teilen der leistungsorientierten Mittelschicht zu bröckeln beginnt. Dies könnte schließlich zumindest dazu führen, dass durch sozialen Austausch wieder ein politisches Bewusstsein aufkommt, das eine Zivilgesellschaft entstehen lässt, die sich als Gegengewicht zu den ressourcenmächtigen Interessen bildet, welche sich zunehmend rücksichtslos durchsetzen, handele es sich nun um Entwicklungen aus der ökonomischen, militärischen, medialen oder geheimdienstlichen Sphäre der Macht.1

Um das Gewahrwerden über die verborgenen Prozesse hinter der demokratischen Benutzeroberfläche zu unterstützen, sei daher an dieser Stelle auf einen Vortrag von Andreas Lehner auf dem Chaos Communication Congress 2013 zum tiefen Staat verwiesen, der zwar keine Hypothese darüber aufstellt, welche gesellschaftlichen Entwicklungen derartige Strukturen schaffen, gleichwohl mit aufschlussreichen Informationen aufwartet:

Zu hoffen ist, dass nicht eine bloße Einpreisung neuerlicher Enthüllungen in eine unveränderte Alltagsrealität erfolgt und ältere Beschwichtigungserzählungen (“Wir leben in einer Demokratie, Überwachung der Bürger gibt’s nur in der DDR und Schurkenstaaten”) einfach durch neuere ersetzt werden (“Die Welt ist kompliziert”, “Wir verstehen das nicht”, “Wir müssen vertrauen”, “Der Terrorismus macht es notwendig”). Die Nahumfeldfixierung erlaubt schließlich vieles einzupreisen, was entfernt und sinnlich wenig erfahrbar ist: Drohnenmorde, eine Milliarde Hungernde (bei zugleich explodierendem Reichtum), neonazistische Mordserien, unmenschliche Flüchtlingspolitik etc. Wollen wir hoffen, dass sich unter all diesen Entwicklungen und der durch das Internet gesteigerten Verbreitungsfähigkeit der Systemverbrechen Kristallisationspunkte sozialfortschrittlicher Bewegungen finden. Wollen wir also hoffen, dass sich für weite Bevölkerungsteile ein roter Faden, eine Gegenerzählung zur hegemonialen finden lässt, hinter der sich eine Zivilgesellschaft politisch organisieren kann und die sich von der bloßen Symptombeschreibung (Korruption, Gier, Egoismus etc.) zu lösen vermag.

Wichtig ist, gegen das Vergessen und Verdrängen anzukämpfen und sich darüber klar zu werden, dass es für die meisten kein Entkommen vor den sich Bahn brechenden Gesellschaftspathologien gibt. Über die Totalüberwachungsbestrebungen der NSA gegenüber Freund und Feind etwa berichtete der Spiegel bereits 1989. Es kam dann zur gesellschaftlichen Amnesie, und Überwachungsübeltäter wurden allein im Osten gesehen. Heute hingegen ist aus der Bestrebung zur Totalüberwachung eine Realität geworden. Möge sie im Bewusstsein bleiben und im Kontext gesehen werden.

 

Wer noch einen Begründungsversuch dazu wünscht, weshalb momentan hierzulande von keinem wirklich “tiefen Staat” die Rede sein kann (wie es ja auch die These im Vortrag war), sei auf einen Text von Wolf Wetzel verwiesen: “Jenseits eines blinden und tiefen Staates”

Wer sich für die Befugnisse der US-Geheimdienste speziell in Deutschland interessiert, sei auf den im Vortrag genannten Historiker Foschepoth verwiesen: “Die alliierten Interessen sind längst in deutschem Recht verankert”

Wer über die menschenverachtende Machtpolitik der westlichen Sphäre einen jüngeren historischen Abriss wünscht, sei noch einmal auf einen Text von Werner Rügemer verwiesen, der deutlich macht, wie demokratieverachtend besonders in der Außenpolitik gehandelt wird: “Die Wertegemeinschaft der lupenreinen Hurensöhne”

  1. Ich weiß, Marxist_inn_en würden mir nun ein abenteuerliches Klassenverständnis vorwerfen. []

Jascha Jaworski

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