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Osborne, Gauck, Hollande, Lanz – Signale des Marktfanatismus

Wer das politisch-ökonomische Geschehen der letzten Tage verfolgte und den entsprechenden Interpretationsrahmen zur Einordnung der Ereignisse besaß, kam am zeitweiligen Bluthochdruck wohl nur vorbei, wenn er oder sie einen Hang zur buddhistischen Gelassenheit hatte, dem Umstand eingedenk, dass Leben Leiden ist und alles Leiden einst enden wird.

Nach mehreren Jahrzehnten Marktreligion, die nicht nur hierzulande von den ökonomischen, politischen und medialen Eliten tief in der Alltagsrealität verankert wurde, mehreren Jahrzehnten, in denen der demokratische Spielraum zugunsten der Marktfreiheiten abgebaut wurde, in denen das Konkurrenzprinzip in nahezu allen Lebensbereichen von unten (zwischen Individuen) bis ganz oben (zwischen Ländern und Ländergruppen) implementiert wurde und in der Folge die ökonomischen Ungleichheiten auf multiplen Ebenen explodierten (innerhalb der Bevölkerungen, zwischen Volkswirtschaften, zwischen Staats- und Privatsektor etc.), mehreren Jahrzehnten, nach denen die fanatische Idee der „Weisheit der Märkte“ spätestens im Moment der schweren Finanzmarktkrise ab 2007 hätte in sich zusammenfallen müssen, als es doch der von den Marktextremisten gehasste Staatssektor war, der mit Rettungspaketen, Garantien und Konjunkturimpulsen den Zusammenbruch verhinderte, dürfen wir nun mitansehen, wie das Totalversagen „der Märkte“ genutzt wird, um eben die totale Herrschaft dieser Märkte zu realisieren.

Nicht nur, dass Frau Merkel als Kanzlerin ihrer „marktkonformen Demokratie“, in der sie fast nur noch über „Wettbewerbsfähigkeit“ redet (und dieses Konzept offenbar von jenem der Produktivität nicht zu unterscheiden vermag), vor einigen Monaten ihre Machtbasis bestätigt bekam; nicht nur, dass die EU-Eliten sich offen zum europaweiten Demokratieabbau bekennen, da Demokratie die ökonomischen Prozesse störe; nun dürfen wir auch noch mitverfolgen, wie das Mutterland der Marktgläubigkeit seine Vertreter aussendet, um die Idee des europäischen Sozialstaats offen zum schlimmsten Feind zu erklären. Großbritanniens Finanzminister Osborne, ein adliger Millionär, stimmte die krisen- und kürzungsgebeutelten europäischen ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und Benachteiligten nun auf noch härtere Reformen ein. Tagesschau.de unterlegte seine Ausführungen hierbei mit einer Grafik zur Jugendarbeitslosigkeit, verschwieg dabei allerdings, dass diese gerade im Zuge der Kürzungsprogramme und Lohnsenkungen explodiert ist, welche v.a. Südeuropa im Zuge der Eurokrise auferlegt wurden.

Man halte sich also vor Augen: die Finanzmarktkrise ab 2007 ließ die Staatsschulden in die Höhe schnellen, und löste die sich anschließende Eurokrise aus, die ein Ergebnis der Konkurrenz zwischen den Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone ist (Stichwort: Lohn„zurückhaltung“). Die Kürzungsprogramme, die einigen Eurostaaten als Bedingung für die Gewährung von Kreditgeldern über EFSF, ESM oder EZB abverlangt werden, sind ein ökonomisches Verwüstungsprogramm. Und nun werden die desaströsen Ergebnisse dieser neoliberalen Attacken genutzt, um zum offenen Generalangriff überzugehen. Dabei wurde in den vergangenen Tagen auch noch das letzte Fünkchen Hoffnung zunichte gemacht, dass Herr Hollande nämlich den „Sozialisten“ in sich und entschlossenen Wettbewerbsbesessenen in der deutschen Politelite erkennt, um sich für ein soziales Europa einzusetzen und den Wettbewerb der Nationen als in den Untergang führende Idee zu entlarven. Aber nein, Herr Hollande schwenkte auf den Kurs der Fanatiker ein und ließ sich vom Agenda-2010-Außenminister Steinmeier in den Stand der neoliberalen „Realisten“ erheben, womit er nicht nur die nächste Prekarisierungsrunde für ganz Europa einleitete, sondern ebenso seine Abwahl durch die rechtsextreme Marine Le Pen.

Unterdessen bekannte sich Deutschlands oberster „Freiheits“vetreter Gauck endgültig dazu, dass es mit seiner Neutralität, mit dem Bundespräsidenten aller Deutschen, nicht weit her ist, und die Freiheit, die er meint, wirklich die reine Marktfreiheit ist, also die Freiheit der Wenigen, die sich auf dem Markt durchzusetzen vermögen (oder eben über genügend Vermögen verfügen, sich dem Markt nicht aussetzen zu müssen).

Wären diese Entwicklungen doch mehr Menschen transparent, sie könnten eine Zivilgesellschaft bilden, die sich dem Untergangsprojekt der neoliberalen Endphase entgegenstellt und müssten sich nicht wie Moritz Bleibtreu darüber wundern (siehe Minute 30:30), weshalb eine Sahra Wagenknecht in der Politinszenierung „Markus Lanz“ von zwei frustrierten Systemmarionetten angebrüllt wird, nur weil sie die haushoch überlegenen Argumente hat.

Ich schließe mich LostinEUrope an, wir erleben es live mit, das neoliberale Rollback.

 

Jascha Jaworski

2 Kommentare

  1. Ich gehöre in der letzten Zeit eher zur Bluthochdruck Fraktion. Das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben, selbst wenn mir Buddhisten sympathisch sind – nicht wegen ihrer Gelassenheit, sondern der wie ich finde richtigen Überzeugung, dass nur Erkenntnis zum Ende allen Leidens führt. Die Sache mit der Erkenntnis der Vielen ist angesichts der aktuellen Propaganda aber ein Projekt, das nur mit Bluthochdruck zu erreichen ist.

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