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Der Euro: Alles muss raus!

Obwohl die Eurozone über lange Zeit hinweg ein stabiles wirtschaftliches Wachstum aufwies, wurde ihr nun die Diagnose „Schuldenkrise“ erteilt. Heilmittel sollen Sparprogramme sein, die den Lebensstandard der Bevölkerungen attackieren und Sozialleistungen in Frage stellen. Umfassende Demonstrationen, Streiks und Proteste als Reaktion auf die verhängten Maßnahmen sind in den besonders betroffenen Staaten an der Tagesordnung. Mit den tiefgreifendsten Einschnitten sieht sich momentan die griechische Bevölkerung konfrontiert, deren Staat im Gegenzug dafür, dass er Kredite von den übrigen Eurostaaten ermöglicht bekommt, eine straffe „Haushaltsdisziplin“ an den Tag legen muss, die sich schwerwiegend auf das Leben der Menschen auswirkt, ohne dass hierbei auch nur die geringsten Anzeichen für eine Verbesserung der Gesamtlage aufkommen.

Zugleich kursiert besonders in Deutschland der empörungsbesetzte Begriff der „Transferunion“, der wie eine Abwehrmauer gegen Mitgefühl und Solidarität zwischen den Bevölkerungen zu wirken scheint. Dennoch: die Alternative des Zusammenbruchs der Eurozone und die Wiedereinführung nationaler Währungen wird als etwas gehandelt, das es unbedingt zu vermeiden gilt, da die hiermit verbundenen Kosten gerade für Deutschland katastrophal wären.

Ein Teil der Antwort darauf, warum dies so ist, soll nachfolgend gegeben werden.

Zunächst ein paar einleitende Erläuterungen:

Wenn in der wirtschaftlichen Berichterstattung Begriffe wie „Deutschland“ oder „Griechenland“ verwendet werden, können hiermit jeweils im Einzelnen unterschiedliche Dinge gemeint sein. Gemeint sein kann etwa der deutsche Staatssektor, d.h. Gemeinden, Länder und Bund, mit ihren jeweiligen öffentlichen Finanzen. Gemeint sein kann jedoch auch Deutschland als eine Volkswirtschaft.

Unter Volkswirtschaft versteht man die Gesamtheit von Unternehmen, privaten Haushalten und Staat, sowie die wirtschaftlichen Beziehungen dieser Akteure untereinander, aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen, die sie zum Ausland unterhalten.

Wirtschaftswachstum meint hierbei, dass die Waren und Dienstleistungen (z. B. Kraftfahrzeuge, Friseurleistungen etc.), die diese Akteure erzeugen und miteinander austauschen, einen höheren Gesamtwert aufweisen, als dies z. B. noch im Vorjahr der Fall gewesen ist.

Gemessen wird das Wirtschaftswachstum dabei durch die Steigerung im Bruttoinlandsprodukt (BIP), das die Geldsumme der ausgetauschten Waren und Dienstleistungen erfasst.

Diese wirtschaftliche Aktivität kann man nun in mehrere Bereiche[1] unterteilen, von denen jeder zum Wirtschaftswachstum beitragen kann. Die deutsche Volkswirtschaft kann also durch die Zunahme in mindestens einem der folgenden Bereiche wachsen:

Bereich 1:   Konsum der privaten Haushalte (z. B. mehr Autokäufe, mehr Theaterbesuche etc.)

Bereich 2:   Konsumausgaben des Staates (dies meint, dass mehr Staatsleistungen, z. B. Bildungs-, Forschungs-, Gesundheitsleistungen erbracht werden)

Bereich 3:   Investitionen (von Unternehmen oder dem Staat, z. B. Straßenbau, Maschinenkauf)

Bereich 4:   Exportüberschuss (Wert der Exporte abzüglich der Importe)

Die Wirtschaftsleistung kann also dadurch wachsen, dass die privaten Verbraucher tiefer in die Tasche greifen, indem sie sich etwa mehr Möbel oder Kleider kaufen als im Vorjahr (Bereich 1). Sie kann dadurch wachsen, dass der Staat mehr für kurzfristige Leistungen ausgibt, indem er z.B. die Bildungsausgaben erhöht und mehr Lehrer beschäftigt (Bereich 2). Sie kann dadurch wachsen, dass die Unternehmen weitere Maschinen kaufen oder Geld für umweltfreundlichere Technologien ausgeben oder der Staat mehr Schulen und Krankenhäuser bauen lässt, also Geld für die Infrastruktur ausgibt (Bereich 3). Und sie kann schließlich dadurch wachsen, dass die Unternehmen oder sonstigen Akteure mehr Waren und Dienstleistungen in das Ausland exportieren (z. B. Maschinen) als von dort importieren (z. B. Wein), genauer: dass eine Steigerung in der Differenz zwischen Export und Import (= Export-überschuss) gegenüber dem Vorjahr erfolgt (Bereich 4).

Ob eine Volkswirtschaft insgesamt wächst oder nicht, ist davon abhängig, wie die Summe der vier Bereiche aussieht. In einzelnen Bereichen kann daher ruhig eine Abnahme der Aktivität gegenüber dem Vorjahr erfolgen (z. B. weniger Investitionen), solange andere Bereiche stark zunehmen und diesen Rückgang ausgleichen (z. B. mehr privater Konsum).

Deutschland war nun schon immer ein Land, das viel exportiert hat. Doch erst der Exportüberschuss (Bereich 4) wirkt sich, wie erläutert, auch auf das Wirtschaftswachstum aus. Und gerade hier gab es eine interessante Entwicklung seit Ende der 90er Jahre.

Von 1994 bis 1999 war der Exportüberschuss gemessen am BIP nur sehr gering ausgeprägt und ist durchschnittlich auch nur leicht gestiegen (G1, unterste Linie). Das Wirtschaftswachstum (G1, oberste Linie)[2] beruhte hauptsächlich auf dem starken Anstieg im privaten Konsum (G1, zweite Linie von oben). Die Konsumausgaben des Staates und die Investitionen waren in dieser Phase relativ konstant geblieben (G1, zweite und dritte Linie von unten). D.h., das Wirtschaftswachstum in dieser Phase beruhte also hauptsächlich darauf, dass die Bevölkerung im Durchschnitt jedes Jahr mehr Geld für den privaten Bedarf ausgab.

Mit der Euroeinführung 1999 trat nun eine interessante neue Phase ein. Das Wirtschaftswachstum war ab hier nicht nur durchschnittlich geringer ausgeprägt (G2, oberste Linie), es beruhte von nun an hauptsächlich auf einer Zunahme der Exportüberschüsse (G2, unterste Linie). Zugleich blieben der private Konsum, sowie die Konsumausgaben des Staates (G2, zweite und dritte Linie von oben) relativ konstant. Die Investitionen hingegen nahmen durchschnittlich sogar ab (G2, zweite Linie von unten).

Es lässt sich also feststellen, dass seit der Euroeinführung das wirtschaftliche Wachstum kaum noch dadurch erzielt wird, dass die Verbraucher hierzulande mehr Geld ausgeben als im Vorjahr, um sich Dinge für den eigenen Bedarf zu kaufen. Wirtschaftswachstum beruht seit 1999 hingegen hauptsächlich darauf, dass mehr und mehr Waren aus Deutschland exportiert werden ohne dass gleichwertige Importe erfolgen.

Diese Exportüberschüsse bedeuten aber, dass sich andere Länder gegenüber Deutschland verschulden, denn wenn die exportierten Waren nicht entsprechend mit importierten Waren ausgeglichen werden (daher auch Exportüberschuss), werden sie dadurch vergütet, dass die anderen Länder entsprechend Zahlungen an Deutschland leisten, bzw. Kredite aufnehmen oder sich anderweitig verschulden. In diesem Sinne kann man also feststellen, dass Deutschland seit langer Zeit nicht etwa „über seinen Verhältnissen lebt“, sondern weit unter seinen Verhältnissen lebt, weil es mehr produziert als es im Inland verbraucht oder investiert. Man könnte also auch sagen, in Deutschland werden Maschinen oder Autos etc. produziert und in das Ausland verkauft, aus dem Ausland erhält Deutschland dagegen nur Schuldverschreibungen.

Wie kommt es jedoch zu dieser Entwicklung gerade seit 1999, die darauf hinausläuft, dass Wirtschaftswachstum hierzulande vermehrt darauf beruht, dass sich andere Länder gegenüber Deutschland verschulden?

Normalerweise steigt die Währung von Ländern, die wesentlich mehr exportieren als importieren  in ihrem Wert an, da das Ausland diese Währung auf dem Devisenmarkt stark nachfragt, um sich die entsprechenden Güter kaufen zu können. Dies führt dazu, dass die Währung „aufwertet“. Wenn also ein Land A dauerhaft mehr an Land B verkauft (exportiert) als es von dort kauft (importiert), steigt seine Währung gegenüber der Währung von Land B im Preis. Dies führt dazu, dass die Produkte für Land B teurer werden, die Produkte aus Land A dadurch weniger attraktiv sind und der Exportüberschuss schließlich zurückgeht. Land B wird nun zunehmend eher von anderen Ländern entsprechende Produkte kaufen oder diese selbst herstellen. Somit können Ungleichgewichte bei Export und Import also dauerhaft verhindert werden, was wiederum dazu führt, dass sich die eine Volkswirtschaft gegenüber der anderen nicht weiter verschuldet.

Mit der Einführung des Euro ist diese Möglichkeit jedoch für viele Länder weggefallen. Da Deutschland und z. B. Spanien nun die gleiche Währung haben, kann Spanien die starken deutschen Exporte in das eigene Land nicht mehr verhindern, indem seine eigene Währung gegenüber der DM an Wert verliert. Hierdurch können die Produkte aus Deutschland nicht teurer werden und somit weniger attraktiv werden. Daher gab es jedoch auch nichts, das die weitere Verschuldung der spanischen Volkswirtschaft gegenüber der deutschen verhinderte. Da Unternehmen im Wettbewerb stehen und auf die besten Angebote zurückgreifen müssen, bleibt etwa einem spanischen Unternehmen nichts anderes übrig als weiterhin Maschinen aus Deutschland zu kaufen und nicht aus dem eigenen Inland. Was aber für das einzelne Unternehmen rational ist, ist für die gesamte spanische Volkswirtschaft fatal, da sie sich zunehmend verschuldet, doch hierzu später mehr.

Dass es also besonders durch den Euro zu einem Wettbewerbsvorteil für Deutschland kam, lässt sich auch daran beobachten, dass seit 1999 gerade in der Eurozone die deutschen Exportüberschüsse übermäßig zunahmen. Gegenüber den Ländern, die keinen Euro eingeführt haben, konnte Deutschland hingegen weniger Wachstum bei den Exportüberschüssen erzielen (G3).

Mit dem Euro als gemeinsamer Währung fiel der Ausgleichsmechanismus im Handel zwischen unterschiedlichen Volkswirtschaften also weg. Eine Volkswirtschat mit qualitativ guten und besonders günstigen Produkten konnte gegenüber anderen Volkswirtschaften nicht mehr dadurch an Wettbewerb verlieren, dass ihre Währung teurer wurde, da alle nun die gleiche Währung hatten. D.h., vorhandene Wettbewerbsvorteile konnten sich durch den Euro nicht mehr über Wechselkursänderungen ausgleichen, sie wurden gewissermaßen konserviert.

Dass Deutschland nun aber seine Wettbewerbsposition gegenüber den anderen Eurostaaten noch weiter ausbauen konnte, liegt daran, dass es nicht nur hochwertige Produkte zu günstigen Preisen anbot, sondern die Preise zusätzlich noch dadurch nach unten drückte, dass ein Niedriglohnsektor eingeführt wurde und die Löhne über Jahre nicht gestiegen sind. Von 2000 bis 2009 sind die Löhne in Deutschland durchschnittlich sogar um 4,5% gesunken, während sie in vergleichbaren Ländern deutlich gestiegen sind (z. B. Frankreich: + 8,5%)[3]. Diese Lohnsenkungen sind wohl nicht zuletzt Resultat der Reformen unter der Regierung Schröder (Stichwort: Agenda 2010)[4], wurden jedoch auch unter der nachfolgenden großen Koalition, sowie der schwarz-gelben Koalition nicht durch geeignete politische Maßnahmen (z. B. branchenübergreifender Mindestlohn) bekämpft.

Dass die deutsche Volkswirtschaft gerade durch diese Atmosphäre von Lohnstillstand und Niedriglohn immens gegenüber anderen Volkswirtschaften an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen konnte, lässt sich auch an der Entwicklung der sog. Lohnstückkosten beobachten. Die Lohnstückkosten geben an, wie groß der Anteil der Löhne an der gesamten Wirtschaftsleistung ist[5]. Da die Wirtschaftsleistung – also die Waren und Dienstleistungen – letztlich durch Arbeit hervorgebracht wird, sollten die Lohnstückkosten zumindest in dem Maße steigen, wie die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft steigt. Die Lohnstückkosten geben also an, inwiefern die arbeitende Bevölkerung an den erzeugten Werten beteiligt wird. Für Deutschland zeigt nun ein Vergleich innerhalb der Eurozone, dass die Lohnstückkosten seit Jahren auf der Stelle treten (G4) und erst im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 leicht gestiegen sind gegenüber 1999.

Es zeigt sich deutlich: Während die anderen Staaten der Eurozone also die arbeitende Bevölkerung an der wachsenden Wirtschaft beteiligt haben, war dies in Deutschland nicht der Fall. Auf diese Weise konnte Deutschland also seine Wettbewerbsposition innerhalb der Eurozone auf Kosten der eigenen arbeitenden Bevölkerung ausbauen. Die Produkte wurden unschlagbar günstig und der Euro als gemeinsame Währung verhinderte zugleich, dass Deutschland durch eine verteuerte DM wieder an Wettbewerbsfähigkeit hätte verlieren können.

Das Bisherige zusammenfassend zeigt sich also, dass zumindest für die deutsche Exportindustrie der Euro ein Segen ist. Sie profitiert vom Klima der allgemeinen Lohndrückerei, indem sie ihre qualitativ hochwertigen Waren unschlagbar günstig herstellen kann. Während dies früher zu einer teuren DM geführt hätte und so die Nachfrage aus dem Ausland wieder hätte dämpfen können, konnte der gemeinsame Euro die deutschen Wettbewerbsvorteile nun geradezu in Stein meißeln.

Pointiert lässt sich also festhalten, dass die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Lohn verzichten, sich dadurch für die Herstellung äußerst wettbewerbsfähiger Produkte hergeben, die viele Eurozonenstaaten geradezu niederkonkurrieren. Das Ausland bekommt qualitativ hochwertige Produkte und die Unternehmenseigentümer der deutschen Exportbranche Schuldverschreibungen aus dem Ausland. Dies führt jedoch dazu, dass viele Volkswirtschaften der Eurozone sich gegenüber der deutschen Volkswirtschaft immer weiter verschulden.

Zunächst sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verschuldung von Volkswirtschaften hierbei etwas anderes ist als Staatsverschuldung. Von letzterer ist in den Medien fast ausschließlich die Rede. Staatsverschuldung bedeutet, dass der Staatssektor eines Landes gegenüber irgendjemandem verschuldet ist. Die Verschuldung einer Volkswirtschaft als Gesamtbilde bedeutet hingegen, dass ihre einzelnen Elemente (Unternehmen, Privatpersonen und Staatssektor) in der Summe gegenüber dem Ausland verschuldet sind.

Deutschland ist eine Volkswirtschaft, in der lediglich der Staatssektor verschuldet ist, die anderen Elemente (Unternehmen und Privatpersonen) weisen jedoch ein Nettovermögen gegenüber dem Ausland auf. Griechenland wiederum weist sowohl eine hohe Staatsverschuldung auf, als auch eine hohe Verschuldung der übrigen volkswirtschaftlichen Elemente gegenüber dem Ausland.

Stellt man die Staatsverschuldung der Auslandsverschuldung gegenüber (G5), zeigt sich, dass gerade jene Eurostaaten auf dem Finanzmarkt bisher in die größten Finanzierungsprobleme geraten sind, deren Volkswirtschaften gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung eine besonders hohe Verschuldung gegenüber dem Ausland aufweisen (Griechenland, Portugal, Irland). Deutschland, das zwar eine relativ hohe Staatsverschuldung aufweist, steht auf dem Finanzmarkt hingegen glänzend da. Kein Wunder, da die deutsche Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit schließlich auch ein enormes Vermögen gegenüber dem Ausland aufweist, so dass es dem Staatssektor prinzipiell möglich wäre, auf ein großes Vermögen im eigenen Lande z. B. durch Steuern zurückzugreifen.

Nun schließt sich das Bild:

Aus ausländischer Sicht: Deutsches Lohndumping führte und führt zu hoch attraktiven, weil qualitativ guten und zugleich preiswerten Produkten aus Deutschland. Ausländische Unternehmen und Privatpersonen müssen diese Produkte aus einzelwirtschaftlicher Vernunft heraus kaufen. Diese Situation kann sich nicht mehr wie damals über eine teure DM und die damit verbundene Abnahme der Attraktivität deutscher Produkte von selbst ausgleichen. Für die Volkswirtschaften der Eurozone ergeben sich daraus Probleme zunehmender Verschuldung gegenüber Deutschland. Die Staatssektoren der ausländischen Volkswirtschaften geraten in Finanzierungsschwierigkeiten auf dem Finanzmarkt und sind auf Hilfskredite anderer Eurostaaten angewiesen.

Aus deutscher Sicht: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verzichten seit vielen Jahren auf reale Lohnsteigerungen, wie es der Produktivität des Landes entsprechen würde. Sie nehmen zunehmend unsichere und schlecht bezahlte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt an. Die Hochzeit von hoher Produktivität und Niedriglohn stellt deutsche Produkte konkurrenzlos in der Eurozone. Die fehlende Nachfrage im deutschen Inland aufgrund der Lohnstagnation wird durch Auslandsnachfrage und Exportüberschüsse ersetzt. Der Aufbau sinnvoller Strukturen im Inland wird somit eingetauscht gegen Schuldverschreibungen aus dem Ausland. Das Ausland profitiert jedoch nicht durch diesen Umstand, da es zunehmend in Zahlungsschwierigkeiten gerät, was schließlich auch dort Wirtschaftswachstum gefährdet.

Am Ende können Schulden auf diese Weise nicht mehr beglichen werden und wären somit abzuschreiben. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat somit doppelt verloren: Zum einen wird sie durch fehlende Lohnsteigerungen schon lange nicht mehr am Wohlstandszuwachs beteiligt, zum anderen muss sie als Bürge für andere Staatssektoren (und nicht zu vergessen vornehmlich auch Banken) zukünftige Sparprogramme über sich ergehen lassen.

Lösungen zu dieser grotesken Situation werden von vielen Ökonomen wieder und wieder genannt, sind jedoch leider in Mainstreampolitik und -medien nicht zur Kenntnis genommen worden. Kräftige Lohnsteigerungen hierzulande würden deutsche Produkte für das Ausland wieder teurer machen, die deutschen Exportüberschüsse senken und der Verschuldung anderer Volkswirtschaften gegenüber Deutschland ein Ende setzen. Wachstumsimpulse würden hierzulande nicht mehr durch die Exportüberschüsse erzielt, sondern dadurch, dass Privatpersonen, Unternehmen und der Staatssektor in Deutschland wieder mehr Nachfrage erzeugen. Die deutsche Volkswirtschaft würde sich hierbei nicht isolieren, sie könnte sogar im Export noch weiter zulegen, doch müsste eine verstärkte Kaufkraft hierzulande zugleich dazu führen, dass mehr Waren und Dienstleistungen des Auslands nachgefragt werden. Insgesamt wäre dann dafür gesorgt, dass der Außenhandel ein Handel Ware gegen Ware oder Dienstleistung gegen Dienstleistung wäre und nicht mehr die Einbahnstraße von Ware gegen sich auftürmende Schuldverschreibungen.

Die momentanen Sparprogramme innerhalb der Eurozone leisten hingegen nur eines: sie dämpfen die Gesamtnachfrage, so dass schließlich auch die deutsche Exportindustrie in Schwierigkeiten geraten wird, ohne dass dabei die Inlandsnachfrage dies ausgleichen könnte. Eine weltweite Rezession steht vor der Tür. Insofern wurde inspiriert durch eine Aussage des italienischen Wirtschaftsministers Tremonti[6] bereits festgestellt, dass auch Deutschland Passagier auf der Titanic ist, wenngleich in der ersten Klasse.

 
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Datenquellen:

http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zeitreihen.php?lang=de&open=aussenwirtschaft&func=list&tr=www_s310_b3013c

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Zeitreihen/WirtschaftAktuell/Basisdaten/Content100/vpi101a,templateId=renderPrint.psml

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Zeitreihen/LangeReihen/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Content100/lrvgr02j,templateId=renderPrint.psml

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/2-26042011-AP/DE/2-26042011-AP-DE.PDF

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/balance_of_payments/data/database

http://stats.oecd.org/index.aspx?DatasetCode=ULC_QUA

 


[1] Hierbei soll die sog. Verwendungsrechnung des BIP betrachtet werden.

[2] Zur Erinnerung: das BIP (oberste Linie) ergibt sich als Summe der Bereiche 1 bis 4 (untere vier Linien)

[3] Quelle: Global Wage Report – Datenblatt Deutschland 2010/2011, ILO, http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/download/wagereport_german_brief.pdf

[4] Zur Erinnerung: Durch diese sind nicht nur die sog. Lohnnebenkosten (also Löhne) gesenkt worden, sondern auch Sozialleistungen gekürzt, Zumutbarkeitsregeln verschärft und der Kündigungsschutz gelockert worden, so dass sich die Position der Arbeitnehmerschaft bei Lohnverhandlungen deutlich verschlechtert hat.

[5] Hier sind die nominalen Lohnstückkosten gemeint, diese ergeben sich als Quotient aus nominalen Lohnkosten und realem BIP.

[6] http://derstandard.at/1310511239350/Tremonti-Italiens-Wirtschaftsminister-warnt-EU-vor-Titanic-Gefahr

Jascha Jaworski

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