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Vermögensverteilung in der Eurozone: 15 Blicke hinter die Kulisse der “sozialen Marktwirtschaft”

2013 hatte die EZB Daten zur Vermögenskonzentration in der Eurozone veröffentlicht1 [1]. In Anbetracht der sog. „Hilfsgelder“, die aufgrund der Eurokrise über den sog. „Rettungsfonds“ (ESM) fließen2 [2], griff die Mainstreampresse [3] die Daten auf, um wieder einmal das falsche Bewusstsein zu stiften und Bevölkerungen unterschiedlicher Länder gegeneinander aufzubringen. Vielfach wurde einfach verglichen, wie hoch das mittlere private Nettovermögen in den einzelnen Ländern ist. Hierbei wurden die Nettovermögen jeweils jener Haushalte miteinander verglichen, die sich genau in der Mitte der Vermögensverteilung befinden (= Medianwert). Das sind hier allerdings irreführende Werte, da gerade jene Länder als relativ arm gelten können, die einfach eine sehr ungleiche Vermögensverteilung haben, in denen also der Haushalt in der Mitte zwar über wenig Vermögen verfügt, dafür jedoch die reichsten Haushalte in den entsprechenden Ländern besonders viel Vermögen auf sich vereinigen. So war dann auch schnell die Rede von den „armen Deutschen“ in der Eurozone.

Eine weitere Problematik bestand darin, dass überhaupt absolute Werte über die Ländergrenzen hinweg miteinander verglichen wurden. Die einzelnen Länder der Eurozone weisen nämlich u.a. unterschiedliche Rentensysteme auf. In einem Teil der Länder beruht die Altervorsorge ausschließlich auf angespartem Vermögen, das dann im Alter aufgebraucht wird. In anderen Ländern hingegen besteht ein Umlagesystem bei dem Altersvorsorge hauptsächlich dadurch erfolgt, dass Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung erworben werden (die jedoch nicht als Finanzvermögen berücksichtigt werden). Da die Vermögenserhebungen zudem auf der Ebene von Haushalten und nicht Einzelpersonen erfolgten, ist die jeweilige Haushaltsgröße ein weiterer Faktor der sich zwischen den Ländern teilweise stark unterscheidet3 [4].

Was sich über die Ländergrenzen hinweg besser vergleichen lässt, in der Mainstreampresse jedoch weitgehend ausgeklammert wurde, sind die Vermögensverteilungen. Vielen Menschen dürfte mittlerweile bekannt sein, dass Vermögen in der Regel recht ungleich verteilt ist. Das wirkliche Ausmaß der Vermögensungleichheit ist hingegen weithin unterschätzt, wie etwa Erhebungen in den USA4 [5] und Deutschland5 [6] belegen. Die starke Unterschätzung der Vermögensungleichheit ist hierbei über alle Parteigrenzen hinweg festzustellen, ebenso wie seltsamerweise selbst die Mehrheit der WählerInnen von konservativen und liberalen Parteien eine größere Vermögensgleichheit, sowie eine Vermögenssteuer befürwortet. Mit dem Aspekt der Vermögensungleichheit in der Eurozone wollte man sich bei der öffentlichen Verbreitung der Ergebnisse jedoch offenbar kaum beschäftigen. Dabei sind Verteilungsfragen nicht allein aus Gründen der Gerechtigkeit höchst relevant, sondern stehen auch in einem engen Verhältnis zur Demokratiefrage. Das gleiche Stimmengewicht an der Wahlurne ist schließlich das eine, Verfügungsgewalt über die Produktion, politische Einflussnahme durch Medienbesitz und Parteizuwendungen, die Gründung von ThinkTanks oder Verteilung von Forschungsgeldern hingegen etwas ganz anderes, das zudem leider recht gern vernachlässigt wird beim Hochhalten der real existierenden europäischen Demokratien.

Schaut man nun jedoch auf die entsprechenden Daten der EZB-Studie, zeichnet sich ab, wie es jenseits von Wahlurnen um den politischen und wirtschaftlichen Einfluss in den Ländern der Eurozone bestellt ist:

 

Eurozone Vermögensverteilung [7]

 

Dargestellt sind die Vermögensanteile, die jeweils drei unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Ländern besitzen. Unterteilt wurde in die Gruppe der „unteren“ 80% der Haushalte (rot), der nächst reicheren 10% (grau), sowie der „oberen“ 10% der Haushalte (dunkelgrau). Die Länder wurden geordnet nach der Höhe des Vermögensanteils, den die Gruppe des reichsten Zehntels der Haushalte jeweils auf sich vereinigt. Während in den relativ jungen Marktwirtschaften Slowakei und Slowenien gemäß Erhebung auf das obere Zehntel der Haushalte bereits ein erheblicher Anteil von 33%, bzw. 36% des nationalen Privatvermögens entfällt, steigert sich dieser Wert auf bis zu 59%, bzw. 62% im Fall von Deutschland und Österreich. In diesen beiden Ländern besitzt das obere Zehntel der Haushalte also deutlich mehr als die Hälfte des Vermögens. Das Gesamtbild, das entsteht, ist recht eindeutig. Fast in allen Ländern der Eurozone besitzt das obere Zehntel der Haushalte mehr als die unteren 80% zusammen.

Wer hier also noch auf die konservative Norm der „Leistungsgerechtigkeit“ verweisen möchte, müsste somit rund 8 von 10 Personen bescheinigen, dass ihre Leistung in der Summe zu vernachlässigen ist, in Anbetracht dessen, was die reichste eine Person “leistet”. Die Verteilungsdaten können ebenfalls gelesen werden als Ergebnis der sie hervorbringenden „sozialen Marktwirtschaften“, die seit den 70er und 80er Jahren unter neoliberaler Aufstellung die historisch vorhandene starke Ungleichheit6 [8] nicht nur verfestigt, sondern seitdem noch deutlich verstärkt haben. In Anbetracht derartiger Zahlen sollten Begriffe wie „Demokratie“ und „soziale Marktwirtschaft“ in Diskussionen jedenfalls immer auch daraufhin überprüft werden, inwiefern sie falsche Assoziationen auslösen könnten, wenn jemand sie ins Feld führt, um über den Ist-Zustand in der EU ins Schwärmen zu geraten. Sozial und demokratisch geht anders.

 

Update 24.7.2017:

Wir haben die Daten der zweiten Erhebungswelle der EZB [9] verwendet, um die Grafik zu aktualisieren. Nun handelt es sich um die Ergebnisse für 18 Länder der Eurozone (ohne Litauen). Die Erhebung stammt größtenteils aus dem Jahr 2014.

[10]
 

  1. Siehe The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey, EZB, Juli 2013, http://www.ecb.europa.eu/home/pdf/research/hfcn/HFCS_Statistical_Tables_Wave1.pdf?8f73764897f49b052a0dae673b27b461 [11] [ [12]]
  2. Über die Unangemessenheit der Erzählung siehe z.B. attac Österreich zu Griechenland: “Griechenland->>Rettung<<: 77% flossen in Finanzsektor” [13], bzw. siehe die Auswirkungen der Kürzungsauflagen, z.B. hier [14], hier [15]oder hier [16] [ [17]]
  3. So liegen die meisten Einpersonenhaushalte laut Erhebung etwa in Finnland und Deutschland vor (jeweils 39,6% in der Stichprobe), während Portugal die wenigsten Einpersonenhaushalte im Ländervergleich aufweist (17,7% in der Stichprobe) [ [18]]
  4. Siehe z.B. Norton & Ariely, Building a Better America—One Wealth Quintile at a Time, 2011, http://www.people.hbs.edu/mnorton/norton%20ariely.pdf [19] [ [20]]
  5. DER PARITÄTISCHE, Gerechtigkeit in Deutschland: Einstellungen der Bevölkerung zu Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Steuerpolitik, 2013, http://2013.umfairteilen.de/fileadmin/download/dokumente/newsletter/umfrage_steuergerchtigkeit_2013_web.pdf [21] [ [22]]
  6. In Deutschland etwa hatten trotz Währungsreform und Lastenausgleich die alten Industriellen natürlich ihr Realkapital weitgehend behalten können [ [23]]