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Über Putins Rede, mediale Engführung und West-PR

Nach der Bevölkerungsabstimmung auf der Krim und der Aufnahme der Halbinsel in die russische Föderation hat Präsident Wladimir Putin eine Rede gehalten, die sicherlich viele Elemente davon wiederzugeben vermag, wie sich die Geschehnisse aus Sicht weiter Teile der russischen Bevölkerung darstellen. Zumindest dürfte sie eher mit den Wahrnehmungen vieler Russinnen und Russen übereinstimmen als jene Interpretationen, die in den Mainstreammedien hierzulande dargestellt werden und dem Denken westlicher Eliten (weniger der breiten Bevölkerung) entsprechen. So wurde die Rede Putins denn auch von den Mainstreammedien in der gewohnten Darstellungsweise wiedergegeben, die weniger um Verständigung und Aussprache bemüht zu sein scheint, als auf Machtkonfrontation zwischen einem “demokratischen, friedlichen und fortschrittlichen” Westen einerseits und einem “oligarchischen, rückständigen und undemokratischen” Russland andererseits setzt. So platzierte der Spiegel in seiner Darstellung der Putin-Rede z.B. das Frame des “Großmachtstrebens Russlands” (Spiegel: “Putin-Rede zur Krim-Krise: Der Großmächtige” [1]) unter Betonung der dieses Bild stützenden Passagen der Rede und gleichzeitiger Auslassung solcher Passagen, die dem Bild deutlich widersprechen.

Da es um die Pluralität und Argumentationstiefe der Mainstreammedien – die die öffentliche Meinung trotz Internet weiterhin grundlegend prägen dürften – schlecht bestellt ist, sei als Ergänzung zur Darstellung von Spiegel, FAZ & Co. auf die Auszüge aus der Rede von Putin verwiesen, die die jungeWelt darstellt. Diese wecken starke Zweifel am Großmachtstreben Russlands und legen in Anbetracht der berechtigten Aufzählung Putins, was das kriegerische, expansive und Völkerrecht brechende Vorgehen der Nato betrifft, nahe, dass es sich eher um eine Art Projektion eigener Motive westlicher Machthaber auf die Geschehnisse handelt1 [2].

Zur Putin-Rede siehe: “jungeWelt: Alles hat seine Grenzen” [3] (Wer die komplette Rede einsehen möchte, kann dies hier [4] tun.)

Um nicht missverstanden zu werden, sei noch einmal darauf verwiesen, dass ich keinesfalls Putin-Anhänger bin. Die Verhältnisse in Ost wie in West lassen es auch nicht zu, irgendjemandes Anhänger zu sein, der oder die es bis an die Regierungsspitze gebracht hat und somit zu den politisch gefilterten, systembejahenden Personen gehört. Da ich allerdings die wieder aufkommende Dichotomie im Denken (“WIR” vs. “DIE”, “GUT” vs. “BÖSE”), besonders beobachtbar bei den politischen und medialen Eliten, für gefährlich halte, sollen auch hier Informationen wiedergegeben werden, die man in den reichweitenstärksten Medien gern unter den Tisch fallen lässt, so dass sich die öffentliche Debatte hierbei häufig stark verengt. Hat Putin in Anbetracht der Befunde nicht etwa Recht, wenn er auf das Gebaren der USA verweist, die sich nun als Freiheits- und Völkerrechtsvertreter aufspielen, dabei jedoch bisher ausgiebig das “Recht des Stärkeren” haben walten lassen? Zitat aus der Putin-Rede:

Nach der Auflösung des bipolaren Systems auf dem Planeten trat nicht größere Stabilität ein. Die entscheidenden internationalen Einrichtungen wurden nicht gestärkt, sondern leider oft geschwächt. Unsere westlichen Partner mit den Vereinigten Staaten von Amerika an der Spitze lassen in ihrer praktischen Politik nicht das Völkerrecht, sondern das Recht des Stärkeren walten. Sie beanspruchen in ihrer Auserwähltheit und Ausschließlichkeit, daß ihnen gestattet ist, das Schicksal der Welt zu bestimmen, daß nur sie im Recht sein können. […] Dort, wo sie gegen souveräne Staaten zur Gewalt greifen, bilden sie Koalitionen nach dem Prinzip »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«. Um Aggressionen den Anschein von Rechtsförmigkeit zu geben, erwirken sie Resolutionen internationaler Organisationen, gelingt ihnen das aus irgendeinem Grund aber nicht, ignorieren sie komplett den Sicherheitsrat der UN und die UN als Ganzes.

Wäre es nicht notwendig, die Völkerrechtsbrüche der Nato, sowie die Auswirkungen ihrer Kriege in öffentlichen Debatten ausgiebig zu diskutieren, um so auch die jetzigen Geschehnisse rund um die Ukraine aus erweiterter Perspektive reflektieren zu können? Zitat:

So war es, woran wir uns gut erinnern, 1999 in Jugoslawien. Es war schwer zu glauben, selbst den eigenen Augen wollte man nicht trauen, aber am Ende des 20. Jahrhunderts gab es wochenlang Bomben- und Raketenschläge auf eine europäische Hauptstadt – Belgrad – und darauf folgte eine wirkliche Intervention. Wo war denn die Resolution des UN-Sicherheitsrats dazu, die solche Handlungen erlaubt hätte? Es gab keine. Und danach kamen Afghanistan, Irak und die offene Verletzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Libyen, anstelle der Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone begannen auch dort Bombardements.

Der gebotene Protest und die ausgiebige öffentliche Auseinandersetzung über derartige Kriege, die mit Massensterben bis in die Millionenzahl (Irak) verbunden sind, wurde in den westlichen Ländern durch eine – in grundlegenden Fragen – regierungsunkritische bis willfährige Presse weitgehend verhindert. Siehe hierzu z.B. Kumar (2006), Media, war, and propaganda: Strategies of information management during the 2003 Iraq war [5]. Sich hierbei weiterhin als Leuchtfeuer der Demokratie aufzuspielen, ist mehr als verlogen und trägt zu friedlichen Konfliktlösungen wohl eher nichts bei. Eine solche Debatte wäre auch deshalb nötig, da die Frage ist, wessen Interessen die Nato mit Erweiterungspolitik und Konzepten der “responsibility to protect” [6], die Bombenhagel und viele unbeteiligte Opfer hervorbringen, eigentlich verfolgt. Darüber will man jedoch im Westen nicht diskutieren, zu viele und bohrende Fragen könnten aufkommen, die den Zielen der Eliten zuwiderlaufen könnten. Und so will man auch nicht Fragen darüber aufkommen lassen, wer welche Interessen im Ukraine-Konflikt gehabt hat und welche Mittel hierzu eingesetzt wurden. Zitat:

Es gab eine ganze Reihe gelenkter »bunter« Revolutionen. Verständlich war, daß die Menschen jener Länder, wo sich diese Ereignisse zutrugen, von Tyrannei genug hatten, vom Elend, vom Mangel an Perspektiven, aber diese Gefühle wurden zynisch ausgenutzt. Diesen Ländern wurden Standards auferlegt, die in keiner Weise ihrem Leben entsprachen, nicht ihren Traditionen, nicht der Kultur dieser Völker. Das Resultat waren nicht Demokratie und Freiheit, sondern Chaos, Ausbreitung von Gewalt, eine Reihe von Umstürzen. Der »Arabische Frühling« wurde zum »Arabischen Winter«.
Ein ähnliches Szenario wurde in der Ukraine verwirklicht. […] Dort wurde jetzt eine trainierte, gut ausgestatte Armee von Kämpfern hineingeworfen.

Elemente, die einem den Ausdruck der “gelenkten Revolution” näher bringen, liefert etwa ein kürzlicher Monitorbeitrag zur Ukraine:

“Der Kampf um das Erdgas in der Ukraine” [7] (5:20 min., Monitor, WDR, März 2014)

Ein Teil der Zahlungen zur “Demokratieförderung” in der Ukraine, auf die Frau Nuland stolz verwies, lässt sich auf der Homepage [8] einer der beteiligten “Förderinstitutionen”, nämlich des “National Endowment for Democracy” (NED) nachlesen, einer Institution, die aus dem Haushalt der US-Regierung finanziert wird und als halbstaatliches Instrument der US-Außenpolitik [9] gegründet wurde. Die NachDenkSeiten [10] hatten bereits darüber berichtet.

Auch mit PR-Videos wurde vor dem Putsch in der Ukraine gearbeitet. So berichtet das Portal Infowars.com [11] etwa von dem Video einer jungen, attraktiven Ukrainerin, die sich vom Maidan-Platz aus in emotional geschliffener Weise an den Zuschauer wendet und ihn dazu auffordert, das Video weiterzuverbreiten und Politiker zu kontaktieren, um Hilfe zu leisten. Hierbei stellt sie die Geschehnisse, die schließlich im Putsch gegen die ukrainische Regierung gipfelten, als Ergebnis allein einer Protestbewegung aus der ukrainischen Bevölkerung heraus dar, die sich gegen “Barbaren” richte, wodurch es ausschließlich um Freiheit zu gehen scheint:

“I Am A Ukranian” [12] (ca 2 min., auf dem YouTube Kanal von “Whisper roar”, einer Dokumentarfilm-Plattform finanziert vom marokkanischen Prinzen Moulay Hicham [13])

Das Video wurde nach Angaben des Portals Infowars.com [11] u.a. inspiriert durch Larry Diamond, einem Mitglied des Council on Foreign Relations, dem bekannten ThinkTank mit engen Beziehungen zum US-Außenministerium. In dem Artikel auf dem Portal werden weitere Verbindungen und Elemente dessen dargestellt, was Putin in seiner Rede unter dem Begriff der “gelenkten Revolution” thematisiert hat.

Abschließend sei noch auf ein Video der BBC verwiesen, das die besorgniserregenden rechtsextremen Gruppierungen darstellt, die sich in der Ukraine nun einen erheblichen Einfluss erworben haben und im Video klar als jene Kräfte benannt werden, ohne die der Protest vom Maidan wahrscheinlich kein Putsch geworden wäre2 [14]. Derartiges sollten die Medien auch hierzulande nicht verschweigen, spiegeln sich darin doch die verständlichen Sorgen v. a. der russischen Ethnie in der Ukraine wider, die Putin zur Rechtfertigung seines Vorgehens anführt:

“Neo-Nazi threat in new Ukraine” [15] (6:45 min., BBC Newsnight, Februar 2014)

Für die an Frieden orientierten Kräfte, die sowohl das Menschenrecht auf Freiheit, als auch das Völkerrecht hochhalten und sich gegen den Missbrauch berechtigter Bevölkerungsproteste wenden, der durch geopolitische Interessensvertreter betrieben wird – mögen diese nun aus dem Westen oder Osten kommen – sollte jedenfalls die Verbreitung solcher Informationen ein Anliegen sein, die die öffentliche Debatte vertiefen, Perspektivübernahme fördern und rücksichtslose geopolitische Interessen aufdecken, die mit den tatsächlichen Interessen und Lebenslagen der Bevölkerungen nichts zu tun haben.

 

  1. So muss es denn auch nicht verwundern, wenn der oben zitierte Spiegel-Artikel sich selbst widerspricht, indem einerseits Russland Großmachtstreben – und somit offenbar ein Expasionswunsch – unterstellt wird, andererseits jedoch am Ende des Artikels beklagt wird, dass Russland sich als einen Staat aufführe, der “sich selbst genügt” [ [16]]
  2. Für ein umfassenderes Bild der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Maidan siehe “Die Tragödie vom Maidan” [17], Hintergrund, Feburar 2014 [ [18]]