Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken
2

Der Subtext der Eliten zur Ukraine-Krise

Die Ukraine wird bei aller Traurigkeit der Geschehnisse – Tote, Verwundete, Gewaltexzesse, Putsch, noch mehr Gewalt, Abspaltung eines Landesteils, die Gefahr des Bürgerkriegs, eine in Teilen rechtsextreme Regierung, faschistische Kräfte auf den Straßen und düstere Zukunftsaussichten, gekennzeichnet durch oligarchische Kontinuität einerseits und gnadenlos neoliberale Kürzungsprogramme andererseits – hoffentlich zumindest dazu beitragen, dass mehr und mehr Menschen auch in Europa wieder ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir es seit dem Ende der Sowjetunion und dem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus, der in der Verpackung der westlichen Demokratien daherkommt, eben nicht mit weitgehend ideologiefreien Zeiten zu tun haben, in denen man sich als Bevölkerungen aus den politischen Geschehnissen mehr oder weniger heraushalten kann, da nun alles Politische nur noch eine Art „Sachverwaltung“ zu sein scheint, die bloße Umsetzung der „Alternativlosigkeiten“, die auf undurchschaubarem Pfad irgendwie „im Interesse des Gemeinwohls“ betrieben wird.

Wer die Geschehnisse rund um die Ukraine verfolgte und dabei seine Medienquellen etwas diversifiziert hat, was dank des Internets ein Leichtes ist, der oder die dürfte schnell mitbekommen haben, wie einseitig, befangen, regierungsergeben und US-eifrig mit zweierlei Maß messend in den vermeintlichen Qualitätsmedien berichtet wird. Schaut man in die Leserkommentare von tagesschau.de (ja sogar Bild.de!), wird schnell deutlich, wie sich hier zwischen Journalistenzunft einerseits und Leserschaft andererseits ein teils tiefer Meinungscanyon aufgetan hat.

Woher kommt die Meinungskluft zwischen Mainstreammedien und Bevölkerung? Das liberal-plurale Demokratieverständnis, demgemäß nicht nur die Parlamentsabgeordneten die Interessen der Bevölkerung repräsentieren, sondern zugleich die Journalistinnen und Journalisten im Großen und Ganzen Volkes Ansichten widerspiegeln, dürfte sich hier wohl herausgefordert fühlen. Wer diesem Bild jedoch von vornherein nicht anhing, weil er oder sie etwa zur Kenntnis nahm, dass die bedeutenden Medieninstanzen in Formaldemokratien eben nicht bevölkerungsnah kontrolliert werden, sondern entweder in privatwirtschaftlich hoch konzentrierten Händen liegen oder eben unter regierungsnahem Einfluss stehen, zudem anzeigenkundenabhängig sind1, und wer bedenkt, dass Journalisten bestimmten Rekrutierungsmechanismen unterliegen, die nach Haltung und Habitus filtern, oder dass besonders exponierte Journalisten geradewegs zu den Teilnehmern transatlantischer Machtnetzwerke gehören, muss sich nicht wundern, wenn in einem für die Bevölkerung durchschaubar künstlich von oben befeuerten Konflikt, der Berg ausnahmsweise einmal nicht zum Propheten kommt (sich also in seiner Meinung angleichen lässt2), sondern dem Propheten stattdessen einen Stein an den Kopf wirft.

Doch sie sind hartnäckig, die Eliten, in ihrem Verständnis von der Demokratie als einem Konzept das zuvorderst auf Investitionsfreiheit beruht (siehe etwa TTIP). In die neoliberale Dauerkrise konnten sie ihre Bevölkerungen zwar führen und sich hierbei der Begleitmusik seitens medialer Steigbügelhalter sicher sein. Zu der nun ertönenden Marschmusik im Dienste langfristiger geopolitischer Absichten, die wieder einmal die Grausamkeit des Krieges vor der eigenen Haustür heraufbeschwören, mag die Bevölkerung hierzulande offenbar noch nicht marschieren. Möge es so bleiben!

Lassen wir die konfliktwilligen Eliten aber noch einmal mit ihrem Subtext zu Wort kommen, um uns vor Augen zu halten, wohin die Reise auch weiterhin gehen dürfte3:

„Liebe Bevölkerungen, im Grunde seid ihr Untertanen, doch im Zuge der Aufklärung entspricht es dem Usus, dass ihr euch Souverän nennen, und uns als in eurem Dienste stehend betrachten dürft. Wenn wir dann zu Weilen gegen andere Bevölkerungen, deren Einzelmitglieder eurer Lebenssituation eigentlich viel näher sind als wir es der euren jemals sein werden, etwas rabiater vorgehen, um dann statt der bisherigen Tyrannen jene plündernden Tyrannen oder neoliberalen Marionetten an die Spitze zu hieven, die in unserem Sinne sind, dann schaut am besten nicht hin, so könnt ihr besser schlafen. Arbeitet stattdessen schön fleißig, und passt aufeinander auf, dass auch jeder euresgleichen genügend Arbeitseifer an den Tag legt. Ihr solltet schließlich etwas zu tun haben, das möglichst jede Faser von euch in Anspruch nimmt, damit ihr nicht auf die Idee kommt, genauer in unsere Angelegenheiten hineinzuschauen. Wenn ihr daher mal ein wenig Spielraum habt, nutzt diesen, um euch neue Wohnungseinrichtungen und Autos zu kaufen! Um die wesentlichen Dinge der Welt kümmern wir uns nämlich, sie gehen euch nur insofern etwas an, als dass ihr nachplappern dürft, was wir euch in den Mund legen. Wenn jemand über Demokratiemangel klagt, dann erwidert einfach: >>Ich darf doch wählen!<<. Wenn euch jemand mit Reden von Überwachung zu beunruhigen versucht, dann sagt einfach: >>Ich habe nichts zu verbergen!<<. Wenn jemand von Armut spricht, dann sagt: >>Hier muss niemand hungern.<< Spricht jemand von schamlosem Reichtum, dann erinnert euch, was wir euch über die Leistungsgesellschaft beigebracht haben. Wenn jemand von Krieg spricht, dann erwidert, dass “Europa mit einer Stimme sprechen muss”. Habt ihr zu Weilen den Wunsch nach mehr Teilnahme und Anerkennung, dann kauft euch Schmuck oder schmückt euch mit dem einen oder anderen zusätzlichen akademischen Grad. Ihr seht, für jeden Geschmack und jedes Gemüt haben wir etwas Passendes vorgesehen. Geht Kegeln, ins Kino, in den Trachtenverein oder legt euch Meerschweinchen zu, aber um Himmels Willen, fragt nicht, warum die Vermögensverteilung auch (und besonders) hierzulande so schief ist, was und wer dafür verantwortlich war und ist, fragt nicht, welche Industriellen ihr Vermögen auf Leichenbergen machten, fragt nicht, wo wir oder unseresgleichen überall foltern lassen, fragt nicht, warum ihr marktkonform zu sein habt und weshalb trotz überbordenden Reichtums viele tausend Kinder jeden Tag weltweit durch Armut sterben…

Und liebe Untertanen, noch etwas: wenn die führenden Medien mal nicht ganz eure Meinungen zu repräsentieren scheinen oder ihr euch gar mit einseitiger Berichterstattung und platten Freund-Feind-Schemata konfrontiert seht, dann übernehmt diese Schablonen gefälligst mit der gebotenen Begeisterung in euer Denken und Fühlen. Wenn ihr oder eure Söhne für unsere Interessen dann wieder ins Feld gerufen werdet, dann fragt gefälligst nur >>Wann und wo?<<. Ihr habt uns gewählt – zumindest einige von uns -, und wir wissen schon, was wir tun! Und die Journalisten informieren euch stets pflichtbewusst und motivierend darüber, was wir von euch erwarten. Wir unterhalten zu diesen nämlich gute Beziehungen, so dass wir besonders im letzten Jahrzehnt wirklich innovative Ideen – erinnert euch etwa an die Agenda 2010 – dank medialer Unterstützung an euren grundlegenden Interessen vorbei realisieren konnten. Sie haben euch bisher recht zuverlässig in unserem Sinne das nötige Denken eingeflößt, das ihr pflicht- und schuldbewusst verinnerlichen konntet. Das wird auch weiterhin so sein, habt keine Sorge!

Und nun noch für diejenigen unter euch, denen unser bisheriges Angebot nichts ist und die sich lieber kritisch betätigen wollen: Solange eure Nachbarn, Freunde und Kollegen uns zusagen, dass sie sich dazu hergeben, jene Mehrheit zu bilden, gegen die ihr stets eine verschwindend kleine Minderheit seid, solange sie also, wenn sie zur Wahl gehen, ihre Stimme für uns mit kalkulierbarer Sicherheit abgeben, solange sie wohlwollend eure Aktivitäten belächeln, sich in ihrer Lebensrealität jedoch nicht bedeutsam von euch beeinflussen lassen, solange dürft ihr weitermachen mit euren drolligen Demobesuchen, mit den vor Fakten berstenden Anklageschriften, mit den unbequemen Fragen auf Diskussionsveranstaltungen, die wir uns vorbehalten, nicht zu beantworten. Auch ihr erhaltet so eure Rolle in unserem Stück: ihr seid die Pluralitätskasper, deren Existenz den anderen zugleich Beweis genug dafür ist, dass unsere Erzählung von der Demokratie keine Farce ist, wie ihr es stets beklagt. Und wenn euch dann ab und an mal ein Wasserwerfer von der Straße spült, Polizeikräfte ihr Gewaltmonopol etwas kreativer ausüben oder eure Wertüberzeugungen nicht so recht arbeitsmarktkonform sind, dann verübelt es uns nicht, wir sind schließlich nur Charaktermasken!“

Wer noch einen gelungenen Beitrag zur jüngsten Technik der Ausgrenzung von Meinungsabweichlern in Sachen Ukraine lesen möchte, sei auf den Telepolis-Artikel von Malte Daniljuk verwiesen: „Die wahrhaften Putin-Versteher“

 

  1. Die LeserInnen sind hierbei das Produkt, die Wirtschaft der Auftraggeber []
  2. Walter Lippmann, einer der geistigen Väter der PR-Industrie, Berater der Präsidenten Wilson, Roosevelt, Kennedy und Johnson, sowie führender Wegbereiter des Neoliberalismus sprach hier von Konsensfabrizierung, die von oben herab vorzunehmen sei, um die „verwirrte Herde“ (Lippmann) in die gewünschte Richtung zu scheuchen []
  3. Es handelt sich um eine leicht abgewandelte Version jenes Subtextes, der auch bereits zur NSA-Affäre angeführt wurde []

Jascha Jaworski

2 Kommentare

  1. Das ist ein sehr gelungener Artikel zu der Struktur und den Mechanismen unserer Fassadendemokratie, die uns subjektiv das Gefühl vermitteln soll, frei zun sein, obwohl wir auf unsere gesellschaftlichen Lebens-und Arbeitsverhältnisse nur einen marginalen Einfluss haben.
    Dabei finde ich den Abschnitt, in dem die “Eliten” zu uns sprechen, besonders gut. Eine schöne Mischung aus scharfer Analye und guter anschaulicher Polemik. Dieser Stil erinnert mich an Tucholsky. Weiter so!
    Andreas

Schreibe einen Kommentar zu Andreas Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.