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Schulden, Sparen und Geld auf volkswirtschaftlicher Ebene

Die Euro-Staaten werden unter dem politischen Skalpell von Frau Merkel dieser Monate zu schwäbischen Hausfrauen umoperiert. „Sparen“ lautet die Zauberformel. Den betroffenen Staaten werden Schuldenbremsen aufgenötigt, um das „Vertrauen der Märkte“ wieder herzustellen. Auf diese Weise soll zum einen zu moderaten Zinssätzen für Staatsanleihen zurückgefunden werden, zum anderen sollen die Unternehmen von der finanziellen Solidität der Zukunft überzeugt werden, auf dass sie wieder investieren und dadurch Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze ermöglichen. So zumindest die „Theorie“.

Weite Teile der Öffentlichkeit in Deutschland scheinen hierbei von der Notwendigkeit des Spardogmas überzeugt zu sein, Peter Zwegat und andere Schuldnerberater auf TV-Kurs würden es schließlich auch nicht anders anraten.

Verkannt wird hierbei leider, dass Volkswirtschaften keine RTL-Protagonisten in den roten Zahlen sind, sondern Gebilde rückgekoppelter Akteure, die Waren und Dienstleistungen produzieren und miteinander austauschen. Was ein Lehrer aufgrund von Schuldenbremsen weniger an Gehalt bekommt oder ein Staat weniger an Straßen bauen lässt, hat zugleich ein Theater weniger an Einnahmen durch den ausbleibenden Lehrer oder eine Baufirma weniger an Einnahmen durch den ausbleibenden Auftrag.

Wenn nun aber der Staat spart, die Privatpersonen aufgrund stagnierender Löhne und schlagseitiger Vermögensverteilungen[1] auch nicht mehr ausgeben können, bzw. wollen[2], und schließlich die Unternehmen nicht zusätzlich investieren, da sie die stagnierende Nachfrage durch Staat und Privatpersonen auch mit den bereits vorhandenen Produktionsmitteln bedienen können, wer soll dann eigentlich Wachstum herbeiführen, das doch so notwendig für die Wirtschaft ist?[3]

Wie in „Der Euro: Alles muss raus!“ bereits dargestellt, erzeugt Deutschland seit einiger Zeit sein Wirtschaftswachstum dadurch, dass es die Nachfrage anderer Länder abgreift, indem es unter der Schützenhilfe der einheitlichen Währung seine Exportüberschüsse von Jahr zu Jahr steigert, somit also sein Wachstum auf der zunehmenden Verschuldung anderer Volkswirtschaften beruhen lässt. Kommen in diesen Ländern erst die Sparprogramme in vollen Gang, dürfte also auch für die Wirtschaft hierzulande der letzte Wachstumsimpuls – die Flucht in steigende Nachfrage aus dem Ausland – wegfallen.

Wohin die Sparexzesse für die griechische Volkswirtschaft geführt haben, hat sich bislang deutlich gezeigt: Obwohl ein zunehmender Teil der Bevölkerung auf Essensausgaben oder gar Müllcontainer angewiesen ist[4], unter gesundheitsgefährdender Armut leidet[5] und sich durch explodierende Arbeitslosigkeit die Zukunft rauben lässt[6], steigt der Schuldenstand des Staats von Jahr zu Jahr.[7]

Der Sparwille alleine ist also kein Garant dafür, dass ein Staatssektor sich seiner Schulden entledigen kann, im Gegenteil, er kann sogar zu steigender Verschuldungslast führen, da Sparen durch Ausgabenkürzung die Wirtschaftsaktivität schwächen und dem Staat in der Folge wiederum weniger Einnahmen bescheren kann, wodurch er wiederum weniger in der Lage ist, die Schulden zu bedienen.

Zur Kenntnis nehmen könnte man bei dieser Betrachtung auf volkswirtschaftlicher Ebene jedoch noch einen weiteren grundlegenden Umstand: Dass nämlich die Geldvermögen der einen nicht existieren können ohne die Schulden der anderen.

Geld wird als gesetzliches Zahlungsmittel von der jeweiligen Zentralbank an die Banken ausgegeben. Hierdurch haben die Banken Schulden (= Verbindlichkeiten) gegenüber der Zentralbank, zugleich jedoch auch das prinzipielle Mittel, um diese Schulden wieder zu tilgen, nämlich das geliehene Zentralbankgeld. Auf der Grundlage dieses Zentralbankgeldes können die Banken nun jedoch Kredite an Unternehmen und Privatpersonen erteilen. Hierdurch wird etwa einem Unternehmen ein Kontoguthaben bei der Bank (= Forderung gegenüber der Bank) bereitgestellt. Zugleich hat dieses Unternehmen bei der Bank nun aber auch Schulden (= Verbindlichkeit gegenüber der Bank).

Gedanklich zu erweitern wäre dieses Wechselspiel von Forderungen und Verbindlichkeiten  noch um Dinge wie Aktien, Staatsanleihen, Finanzderivate etc., die für den Besitzer letztlich immer eine Form von Forderung gegenüber einem Unternehmen, einer Bank, einem Staat etc. sind und sich wiederum in Geld umtauschen ließen (z. B. Aktienverkauf an der Börse).

Durch dieses Gesamtwechselspiel von Forderungen und Verbindlichkeiten wird nicht nur die Existenz von Geld als Zahlungsmittel an sich ermöglicht. Es werden auch Methoden bereit gestellt, wie die einen, die gerade kein Geld als Zahlungsmittel verfügbar haben, vorläufig an das Zahlungsmittel der anderen gelangen (z. B. durch die Ausgabe von Anleihen), um hierdurch Handlungen (z. B. Investitionen) vorzunehmen, durch die sie wiederum in der Zukunft zu einer Rückzahlung des geliehenen Geldes und somit der Tilgung ihrer Schulden befähigt wären.

Würde niemand, also keine Bank, kein Unternehmen, kein Staat, keine Privatperson, Schulden auf sich nehmen, mit anderen Worten also Verbindlichkeiten eingehen, würde auch kein Geld im Wirtschaftssystem existieren. Hierdurch wäre jedoch kein Austausch von Waren und Dienstleistungen möglich. Das Wirtschaftssystem käme zum Erliegen.

Hat innerhalb dieses Systems nun jemand mehr Forderungen als Verbindlichkeiten, spricht man davon, dass er oder sie über Nettogeldvermögen verfügt. Dem gegenüber stehen muss dann jedoch immer jemand, der über mehr Verbindlichkeiten als Forderungen verfügt, d. h. ein negatives Nettogeldvermögen, bzw. Schulden aufweist.

Betrachtet man die Situation für Deutschland aufgegliedert nach den Wirtschaftsakteuren private Haushalte, Staat, finanzielle Kapitalgesellschaften (= Banken, Versicherungen, Investmentfonds etc.), nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften (= Unternehmen der sog. Realwirtschaft), sowie dem Auslandssektor (= Gesamtheit der Akteure im Ausland), zeigt sich folgendes Bild:

Die Grafik zeigt sehr schön auf, wie Nettogeldvermögen und Nettoschulden zwei Seiten derselben Medaille sind. Während in Deutschland die Unternehmen und der Staat unterm Strich verschuldet sind, haben auf der anderen Seite die privaten Haushalte ein positives Geldvermögen. Die privaten Haushalte haben also unterm Strich Forderungen gegenüber den Unternehmen und dem Staat. Dieser Umstand muss nicht besorgniserregend sein, da Unternehmen und Staat hierfür über Sachvermögen verfügen, mit dem sie fortwährend Einkommen erzielen. Durch das Sachvermögen und das Einkommen in der Zukunft sind die Geldforderungen der privaten Haushalte quasi „gedeckt“.

Die Banken und sonstigen finanziellen Kapitalgesellschaften haben unterm Strich[8] ein relativ geringes Geldvermögen, das im Beobachtungszeitraum mal im negativen, mal im positiven Bereich liegt.

Beim Ausland lässt sich beobachten, dass dieses unterm Strich ein zunehmend negatives Geldvermögen gegenüber Deutschland aufweist. Das Ausland verschuldet sich also gegenüber der deutschen Volkswirtschaft. Dies ist auf den bereits erwähnten Umstand zurückzuführen, dass Deutschland seit Jahren Exportüberschüsse aufweist. Es sind auch diese Schulden gegenüber Deutschland, die anderen Staaten in Europa zunehmend Probleme bereiten.

Man sieht also, dass Nettogeldvermögen nur dadurch zustande kommen können, dass jemand anderes bereit ist, sich unterm Strich zu verschulden, weil er oder sie entweder Einkommen in der Zukunft erwartet oder über Sachgüter verfügt, die im Zweifelsfalle zur Schuldentilgung herangezogen werden könnten.

Sparen, sofern man denn keine Sachwerte wie Maschinen, Häuser oder Juwelen etc. anhäufen möchte, bedeutet auf volkswirtschaftlicher Ebene immer, dass man Geldforderungen gegenüber jemandem anhäuft, der bereit ist, sich zu verschulden. In diesem Bild wird jedoch auch klar, dass wenn der Staat seine Schulden auf lange Sicht reduzieren will, irgendein anderer Wirtschaftsakteur entweder sein Geldvermögen reduzieren muss, indem er einen Teil in Sachgüter überführt oder schlicht auf seine Forderungen verzichtet (= Gläubigerverzicht) oder eben ein anderer Wirtschaftsakteur bereit ist, sich wiederum in dem Maße zu verschulden, wie der Staat seine Schulden reduziert hat.

Betrachtet man die Konstruktion und Funktionsweise von Geld und Schulden also auf volkswirtschaftlicher Ebene, wäre eine eigentlich nahe liegende Möglichkeit, wie ein Staat seine Schulden reduzieren könnte, die Erhebung von Steuern auf große Vermögen. Da es sich bei diesen Vermögen häufig gerade um jene Forderungen handelt, die andere Wirtschaftsakteure als Schulden, also Verbindlichkeiten tragen müssen, würden derartige Steuern letztlich bloß Forderungen gegen Verbindlichkeiten streichen, ohne dass irgendjemandem hierbei seine Villa, seine Yacht oder sonstige nicht forderungsbasierte Dinge genommen würden. Es wäre quasi ein Akt auf dem Papier, der jedoch die Staatsschulden verkleinern und somit die hiermit geschürten Ängste, was die Schuldenlast für die kommenden Generationen betrifft, mindern könnte.

Was diese Ängste vor der Schuldenlast jedoch hierzulande betrifft, zeigt der kurze Blick in die obige Grafik, dass es sich bei der deutschen Schuldenlast nicht etwa um ein Problem der Gerechtigkeit zwischen den Generationen handelt (Stichwort: „Wir verfrühstücken die Zukunft unserer Kinder“), wie häufig behauptet wird. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Problem der Gerechtigkeit innerhalb einer jeden Generation, da das riesige Geldvermögen auf der Seite der privaten Haushalte sich in den Händen eines relativ kleinen Bevölkerungsteils befindet. Statt von einem Staatsschuldenproblem, könnten wir also eher von einem Problem der falschen Besteuerung und hiermit verbundenen Verteilungsgerechtigkeit sprechen.

Die nun verordneten Sparprogramme, die leider nichts von Vermögenssteuern wissen wollen, drohen schließlich alle Staaten der europäischen Währungsgemeinschaft in die Rezession zu treiben. Hierunter auch Deutschland, das nicht mehr wissen wird, wohin es seine Waren exportieren soll. Werden dann Sozialleistungen weiter gekürzt und steigt die Arbeitslosigkeit, nimmt der Unmut zu und wird nach dem Sündenbock gesucht, können diese Entwicklungen schließlich ein Problem aller Menschen in diesem und anderen Ländern werden.

Datenquelle:

Deutsche Bundesbank, Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung für Deutschland 2005 bis 2010, S. 25. http://www.bundesbank.de/download/statistik/stat_sonder/statso4.pdf

 


[1] Falls nicht bekannt: 10% der Bevölkerung z. B. in Deutschland besitzen mehr als 60% des Vermögens. Was das Geldvermögen im Speziellen betrifft, ist dieser Anteil noch um einiges höher, da besonders wohlhabende Menschen ihr Vermögen vornehmlich in Aktien oder sonstigen Finanzmarktpapieren anlegen, hingegen weniger in nicht-finanziellen Werten, da mehr als drei Eigenheime irgendwann auch unpraktisch werden.

[2] Die Vermögenden sparen schließlich auch, da ihre Bedürfnisse ja durch ihr Einkommen auf ein Zehn- bis Tausendfaches erfüllt sind.

[3] Es sei hier betont, dass Wachstum nicht mit Umweltzerstörung gleichgesetzt werden sollte. In vielerlei Hinsicht bräuchte nicht nur Deutschland Entwicklungen, die zu weiterem Wirtschaftswachstum, also dem Austausch von Waren und Dienstleistungen führen, da immense Bedürfnisse weiterhin ungedeckt sind. Die Universitäten quellen über, allgemein herrscht Bildungsnotstand, es herrscht Pflegenotstand. Doch Wachstum würde sich auch daraus ergeben, dass von umweltfeindlichen Technologien auf solche umgerüstet würde, die die Umwelt weniger belasten, allerdings bräuchte es hierzu Menschen, die die Möglichkeit hätten, sich die aufwendigeren und somit teureren Produkte auch zu leisten.

[8] also in der Differenz von Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber den anderen Wirtschaftsakteuren

 

Jascha Jaworski

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